Kaltschnäuzig und gleichgültig

Von Andrew Meldrum · · 2006/04

Dass die Regierung in Simbabwe tatsächlich Armenviertel abreißen lässt, um die Opposition zu treffen, ist möglich. Sicher ist aber, dass großangelegte Zwangsräumungen in ganz Afrika ein Problem sind, berichtet New Internationalist-Autor Andrew Meldrum.

Unser Tsunami.“ So nennen Menschen in Simbabwe die großflächige Zerstörung städtischer Armenviertel, die Präsident Robert Mugabe im Mai vergangenen Jahres anordnete. Polizei- und Armeetruppen durchkämmten die Vororte der Hauptstadt Harare und ließen Häuser abreißen, die angeblich gegen die Bauordnung verstießen. Ganze Viertel wurden dem Erdboden gleichgemacht, als ob eine Naturkatastrophe hereingebrochen wäre. Hatcliffe, eines der Viertel, war von einem US-Hilfsprojekt aufgebaut worden und verfügte über alle erforderlichen Genehmigungen, sagen frühere BewohnerInnen. Eine Moschee, eine Kirche, ein Waisenhaus und eine Gesundheitsklinik wurden ebenso zerstört.
Erschütternde Augenzeugenberichte trafen aus der zweitgrößten Stadt Simbabwes, Bulawayo, aus der Stadt Mutare im Osten, dem Touristenzentrum Victoria Falls im Westen, den zentralen Bergbau- und Industriestädten Gweru und Kwekwe und aus Beitbridge ein, der Grenzstadt zu Südafrika. Im ganzen Land wurden Ziegelhäuser und Holzhütten mit Planierraupen niedergefahren; in manchen Gegenden wurden Flammenwerfer verwendet, anderswo Vorschlaghämmer.
Oft zwangen Beamte Menschen mit der Waffe in der Hand, ihre eigenen Häuser mit dem Hammer zu zertrümmern. Würden Planierraupen eingesetzt, so wurde anderen gesagt, müssten HauseigentümerInnen für jeden abgerissenen Raum bezahlen. Um dem Schaden noch den Spott hinzuzufügen, nannte die Mugabe-Regierung die Maßnahmen „Operation Murambatsvina“ – sinngemäß etwa „Raus mit dem Schmutz“ in der Shona-Sprache.

Dabei war das Leben für die Armen in Simbabwes Städten bereits hart genug – sie kämpfen mit einer Arbeitslosigkeit von 80 Prozent, einer Inflationsrate von 300 Prozent, verbreiteter Knappheit bei Grundnahrungsmitteln, Treibstoff sowie einem Schul- und Gesundheitssystem, das seinen Aufgaben immer weniger gerecht wird. Das Ausmaß der Zerstörungen in Simbabwe mag einmalig sein; Zwangsräumungen und die damit einhergehenden Menschenrechtsverletzungen sind es nicht – sie sind in ganz Afrika ein zunehmendes Problem. „Das Gemeinsame ist die Tendenz, Zwangsräumungen als ‚Entwicklungsmaßnahme‘ zu rechtfertigen“, meint Jean du Plessis, Koordinator des Centre on Housing Rights and Evictions (COHRE). „Das tragische Ergebnis ist in den meisten Fällen, dass die ärmsten und verwundbarsten Mitglieder der Gesellschaft noch größeren Risiken ausgesetzt werden.“
Nach einem COHRE-Bericht über Vertreibungen und Zwangsräumungen in Afrika zwischen 2000 und 2005 war es zwar in Simbabwe am schlimmsten. Aber die Regierung in Nigeria wird als einer der weltweit übelsten „Serientäter“ beschrieben, was die Verletzungen des Rechts auf angemessene Unterkunft betrifft. Der extremste Fall war die Vertreibung von 1,2 Mio. Menschen aus Rainbow Town in Port Harcourt. In Kenia hat die Regierung seit 2000 geschätzte 80.000 Menschen aus ihren Wohnungen vertrieben, und auch im Sudan und der Demokratischen Republik Kongo kam es in diesem Zeitraum zu massiven Vertreibungen.
Zwar gab es einige positive Entwicklungen: So konnte in Kenia durch Klagen und Verhandlungen eine Zwangsräumung verhindert werden, und auch in Accra, der Hauptstadt Ghanas, wurden zwei Räumungen vorläufig abgewendet. Nach offiziellen Plänen sollten dort bereits seit 2002 hunderte Häuser in der Siedlung Old Fadama abgerissen werden, um die Umweltsituation an der Korle-Lagune zu verbessern. Unterstützt von der Organisation „People’s Dialogue on Human Settlements“ legten die BewohnerInnen jedoch Einspruch gegen die Räumung ein und verbesserten die Zufahrtsstraßen, die Kanalisation und die Abfallentsorgung von Old Fadama, um allfällige Beeinträchtigungen der Lagune auf ein Mindestmaß zu beschränken.

Diese Anzeichen eines Fortschritts wurden jedoch durch die Ereignisse in Simbabwe überschattet. Seither gibt es laut COHRE Berichte, wonach auch in Malawi, Kenia und Südafrika neue Zwangsräumungen geplant sind.
Das enorme Ausmaß der Zwangsräumungen in Simbabwe hatte selbst erfahrene WohnrechtsaktivistInnen überrascht. Zwar wurden die abgerissenen Häuser in den Medien als Holzbaracken oder Hütten beschrieben, doch waren viele davon ansehnliche Ziegelhäuser mit Strom- und Wasseranschluss. Zumindest zwei Kinder und ein Erwachsener kamen durch umstürzende Mauern ums Leben. Außerdem fanden die Zwangsräumungen in der kalten Jahreszeit statt, wenn die Temperatur nachts fast bis auf den Gefrierpunkt sinkt. Die tausenden neuen Obdachlosen drängten sich frierend inmitten ihrer Habseligkeiten aneinander, und Berichte über Todesfälle durch Infektionskrankheiten ließen nicht lange auf sich warten.
Präsident Robert Mugabe gab sich über die Proteste der internationalen Gemeinschaft überrascht. Er erklärte, der Abriss der Häuser wäre bloß Teil einer Stadterneuerungskampagne. Aber noch während seiner Erklärung wurden Familien auf Lastwägen verladen und in Anhaltelager außerhalb der Städte oder in ländliche Gebiete transportiert. Nach Vorschriften, die noch aus der Zeit der Herrschaft der weißen Minderheit stammen, werden die Wohnorte der Eltern oder Großeltern in den Ausweisen eingetragen, und dorthin wurden auch Tausende verfrachtet, obwohl viele dort keine lebenden Verwandten mehr hatten.

Als sich die Berichte über das entstandene Leid häuften, ordnete UN-Generalsekretär Kofi Annan eine Untersuchung der Vorfälle durch Anna Tibaijuka an, die Direktorin von Habitat, der UN-Organisation für Wohnung und Unterkunft und höchstrangige afrikanische UN-Beamtin. Ihr Bericht, der am 22. Juli 2005 vorgelegt wurde, war ein vernichtendes Urteil über die gesamte Kampagne. Insgesamt 700.000 Menschen verloren ihre Unterkunft, ihre Lebensgrundlage oder beides, berichtete Tibaijuka, und 2,4 Mio. waren unmittelbar betroffen. Sie warf der Regierung kaltschnäuzige „Gleichgültigkeit gegenüber menschlichem Leid“ vor und empfahl, die Verantwortlichen vor Gericht zu stellen.
Die Mugabe-Regierung tat nichts dergleichen, und so lancierte die UNO im September einen Hilfsappell für 30 Mio. US-Dollar, um die Ärmsten der Betroffenen mit Lebensmitteln, Wasser, provisorischen Unterkünften und Decken zu versorgen. Mittlerweile setzte die Regierung ihre Kampagne gegen die Armen in den Städten fort. In Bulawayo stürmte die Polizei neun Kirchen und nahm rund 600 Menschen fest, die in den Gotteshäusern Zuflucht gesucht hatten. Auch sie wurden in ein Anhaltelager außerhalb der Stadt gebracht. Es gibt zahlreiche Spekulationen darüber, warum die Mugabe-Regierung diese Räumungen und Vertreibungen anordnete. Nur wenige – wenn überhaupt jemand – glauben Mugabes Beteuerungen, dass die Situation in den Städten des Landes verbessert werden sollte. Bisher sind nur wenige neue Häuser in Bau, und sie sind für treue Gefolgsleute der Regierungspartei ZANU-PF bestimmt, ebenso wie die neu ausgestellten Konzessionen für Verkaufsstände.
Glaubwürdiger erscheint vielen, dass Mugabe mehr Kontrolle über die Städte gewinnen wollte – oder sogar einen Präventivschlag gegen eine mögliche Revolte in den Vorstädten führte, wie manche AnalystInnen in Simbabwe meinen. In den städtischen Wahlkreisen wurde seit den Wahlen von 2000, als die Opposition 80 Prozent der städtischen Mandate erobert hatte, stets gegen Mugabe gewählt. In den Städten wehrte man sich auch gegen die Versuche der Regierung, die Preise zu kontrollieren. Essenzielle Güter, die in den Geschäften zu den amtlichen Preisen nicht erhältlich waren – vom Maismehl über Speiseöl bis zur Zahnpasta – wurden auf der Straße zu höheren Preisen verkauft. Die Straßenverkäufer folgten einfach dem Gesetz von Angebot und Nachfrage, wurden aber von der Mugabe-Regierung als Kriminelle gebrandmarkt; sie gab sich auch der Illusion hin, mit der Vernichtung der improvisierten Stände der Geldwechsler den Schwarzmarkt für Devisen beseitigen zu können. Tatsächlich blüht er natürlich weiter, nur besser verborgen.

Ob Zwangsräumungen nun als Mittel der politischen Repression oder im Rahmen einer rücksichtslosen Stadtplanung eingesetzt werden, ein Problem für die arme Bevölkerung Afrikas werden sie bleiben. Ohne Systeme, die die Achtung der Rechte aller BürgerInnen garantieren, auch jener der Armen in den Slums, werden sie nicht bekämpft werden können. „Afrikanische Regierungen müssen die Wohnungspolitik zu einer Priorität machen“, sagt Mawuse Anyidoho, Koordinator des Afrika-Programms von COHRE. „PolitikerInnen müssen den politischen Willen haben, sich mit den Problemen zu befassen, die zu einer Ausbreitung von Slums führen und nicht sie bloß niederreißen, wenn sie zu einem Schandfleck geworden sind.“

Copyright New Internationalist

Andrew Meldrum lebt und berichtet aus Südafrika. Er wurde von Robert Mugabes Sicherheitskräften aus Simbabwe ausgewiesen.

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