Kampf um den Regenwald

Von Gerhard Dilger · · 2010/03

Ecuadors Präsident Rafael Correa stellt das „Dschungel-statt-Öl“-Projekt in Frage – doch in der Öffentlichkeit wächst die Zustimmung für die visionäre Initiative.

Rosarote Delfine tollen in der Mitte des Flusses, kreischende Affen springen durch das Geäst der Urwaldriesen am Ufer. Ara-Pärchen und Papageienschwärme ziehen über den Himmel. Bei Einbruch der Dunkelheit schwillt das Vogelkonzert an. Hier, im ecuadorianischen Amazonasgebiet unmittelbar an der Grenze zu Peru, zeigt sich der Regenwald von seiner faszinierendsten Seite. 80 Fledermaustypen, 188 verschiedene Amphibien und Reptilien sowie 567 Vogelarten haben WissenschaftlerInnen im Yasuní-Nationalpark identifiziert, der als eines der artenreichsten Gebiete der Erde gilt. Er ist der traditionelle Lebensraum der Huaorani-Indígenas sowie der Tagaeri und der Taromenane, zweier Urvölker, die dem Kontakt mit den Weißen aus dem Weg gehen. Seit knapp drei Jahren macht unter dem Stichwort „Dschungel statt Öl“ eine von ecuadorianischen Ökologen entwickelte Idee Furore: Jenes Erdöl, das im östlichen Teil des Yasuní-Nationalparks lagert, dem Ishpingo-Tambococha-Tiputini-Korridor (ITT), soll im Boden bleiben. Es handelt sich um knapp 850 Millionen Barrel, ein Fünftel der landesweiten Ölreserven. Im Gegenzug, so der Plan, bringt die internationale Gemeinschaft 20 Jahre lang die Hälfte der vermuteten Deviseneinkünfte auf, 350 Millionen US-Dollar im Jahr.

Auch als Signal in Sachen Klimawandel taugt das Projekt: Die Ölförderung würde 410 Millionen Tonnen CO2-Emissionen verursachen. Doch Anfang dieses Jahres hat Präsident Rafael Correa, der die Yasuní-ITT-Initiative im Juni 2007 zum Regierungsprojekt erklärt hatte, wieder alles in Frage gestellt. Vehement zog er gegen seine eigenen Unterhändler und gegen mögliche Geldgeber ins Feld: „Wir haben es satt, als Kolonie behandelt zu werden“, schimpfte der Präsident, „das Einfachste für uns wäre es, dieses Öl zu fördern und sechs Milliarden Dollar dafür zu bekommen. Ich habe angeordnet, dass der Treuhandfonds zu diesen beschämenden Bedingungen nicht unterschrieben wird.“ Die Mittel sollten in einen unter dem Dach des UN-Entwicklungsprogramms geplanten Fonds fließen, „wo die Geldgeber die Mehrheit haben und entscheiden, wo investiert wird. Wenn das so ist, sollen sie ihr Geld behalten, und im Juni fangen wir an zu fördern“. Für seine MitarbeiterInnen, die 2009 engagiert weltweit für das Projekt geworben und in 20 Ländern Interesse signalisiert bekommen hatten, war das eine Ohrfeige. Sie traten zurück, allen voran Außenminister Fander Falconí. Den Treuhandfonds bezeichnete Falconí als „solides Instrument, das möglichen Beitragsländern Sicherheit gibt“. Doch er betont: „Wir haben immer klar gemacht, dass dabei die Souveränität des Landes gewahrt bleiben muss.“ Der Ökonom Alberto Acosta (siehe Interview in SWM 12/09), der 2007 als Energieminister den Staatschef dazu bewogen hatte, den innovativen Klimavorschlag zu lancieren, sieht in dessen nationalistischer Rhetorik ein Ablenkungsmanöver. Hinter dem Ausfall des Präsidenten vermutet er Erdölinteressen. In der Tat hat die Regierung im letzten Jahr auch den „Plan B“ zur Ölförderung vorangetrieben. Das Öl aus dem ITT-Gebiet könnte in einer Raffinerie verarbeitet werden, die in Kooperation mit Venezuela am Pazifik gebaut werden soll.

Was halten die Menschen in der Region selbst davon? In Pañacocha, einem Dorf am Amazonas-Nebenfluss Napo, hat man leidvolle Erfahrungen mit den Ölmultis gemacht. Heute sei die Umweltverschmutzung nicht mehr so offensichtlich wie in den 1980er Jahren, als Texaco am Oberlauf des Napo und seinen Nebenflüssen wütete, sagt Dorfvorsteher Nelson Rivadeneira: „Damals war der ganze Fluss mit einer schwarzen, fünf Zentimeter dicken Ölschicht bedeckt. Viele sind an Krebs gestorben.“ „Die Ölfirmen haben uns gespalten“, berichtet der Endvierziger. „Nie reden sie mit allen, sie greifen sich einzelne Leute oder Gruppen heraus und machen Versprechungen. Den Reichtum plündern sie, uns bleibt die Armut.“ Daran habe sich auch wenig geändert, seitdem die Staatsfirma Petroamazonas den US-Multi Oxy ablöste. Zwar begrüßt Rivadeneira die Yasuní-ITT-Initiative, allerdings fragt er: „Was haben wir davon? Wir brauchen mehr Know-how für die Verarbeitung unseres Kakaos oder der Hühner – und Absatzmärkte. Und dann müssen die Mittel gerecht und transparent verwaltet werden.“

Selbst in den Gemeinschaften, die direkt an den noch unberührten Teil des Nationalparks angrenzen, kennt man das Projekt nur vom Hörensagen. „Einmal ist Präsident Correa mit dem Hubschrauber hereingeschwebt“, berichtet Franklin Cox, der Bürgermeister der Kommune Aguarico. „Unser Haushalt kommt komplett aus den Abgaben der Ölfirmen“, sagt er, „doch immer mehr davon bleibt in Quito: 2007 bekamen wir 1,4 Millionen Dollar, die beiden darauffolgenden Jahre nur noch die Hälfte, und für 2010 ist noch alles offen.“ Auf dem Gebiet der weitläufigen, aber dünn besiedelten Kommune ist auch der spanische Konzern Repsol aktiv. Wegen der Verseuchung einer acht Hektar großen Fläche im Yasuní-Park hat Cox den Multi auf 3,1 Millionen Dollar Schadenersatz verklagt. Im Block 31, der an das ITT-Gebiet angrenzt, will Petroamazonas mit Dynamit nach Öl suchen. „Doch mit mir reden die nicht, sondern nur direkt mit den Leuten vor Ort. Sie bieten ihnen 40 Cent pro Hektar, das ist absurd“, sagt der Bürgermeister. „Natürlich bin ich dafür, das Öl im Boden zu lassen – wenn wir einen Teil des Geldes für echte lokale Entwicklung bekommen“, sagt Cox. „Der Yasuní könnte eine wunderbare Touristenattraktion werden.“ Schon jetzt träumt er von Trinkwassersystemen und einem Flugplatz. Das gilt auch für Nuevo Rocafuerte, einen 600-Seelen-Ort an der Grenze zu Peru. Und das, obwohl Vizepräsident Lenín Moreno hier geboren wurde, wie Blanca Acero erzählt. Sie selbst betreibt eine kleine Pension und sagt: „Unser Dorf lebt vom Tourismus, wie schön wäre es, wenn es dabei bliebe!“

Das Klimabündnis Österreich und andere Ländergruppen forderten die EU-Staaten auf, das „Dschungel statt Öl“-Projekt zu unterstützen. Im Gegensatz zu Deutschland, Spanien, Frankreich u. a. EU-Ländern hat Österreich noch keine Beteiligung an dem Treuhandfonds in Aussicht gestellt. Die europäischen Klimabündnis-Organisationen forderten Präsident Correa in einem offenen Brief auf, weiterhin zum Yasuní-Vorschlag zu stehen.
www.klimabuendnis.at

Nach drei Tagen Erkundungsmission auf dem Napo ziehen die von der NGO „Acción Ecológica“ eingeladenen UmweltaktivistInnen aus aller Welt in der Provinzhauptstadt Coca ein ernüchterndes Fazit: Die Regierung hat offenbar noch nichts unternommen, um die Yasuní-ITT-Initiative in Amazonien selbst bekannt zu machen. Für Esperanza Martínez von „Acción Ecológica“ steht fest: „Präsident Correa will sich die Förderoption offenhalten.“ Die kämpferische Bürgermeisterin Ana Rivas von der Indígena-Partei Pachakutik meint: „Es ist fantastisch, dass die Europäer den Regierungsvorschlag unterstützen wollen, aber der ist noch nicht vollständig. Die Behörden vor Ort müssen mitreden dürfen, ebenso die betroffenen Gemeinschaften, die Huaorani, die Kichwas, die Mestizen.“

Auch wenn Correa auf internationaler Ebene viel kaputt gemacht hat – in Ecuador selbst ist die Yasuní-ITT-Initiative durch die Diskussion der letzten Wochen erst richtig bekannt geworden. Der Staatschef musste zurückrudern und kündigte die Fortsetzung des Projekts an. Dabei schickte er allerdings widersprüchliche Signale aus. Einerseits warnte Correa vor einem angeblichen „grünen Imperialismus“. Anderseits bezeichnete er die Yasuní-ITT-Initiative als „Symbol für den weltweit erforderlichen Energie-Übergang“ – also hin zu einem „Post-Erdöl-Zeitalter“, worauf die ecuadorianische Öko-Szene seit einem Jahrzehnt hinarbeitet. Dass Ivonne Baki, die frisch gekürte Chefin des neuen Verhandlungsteams, flugs verkündete, die Industrieländer hätten eine „Verpflichtung“ zu zahlen, lässt nichts Gutes ahnen. Alberto Acosta vermutet denn auch, dass die Regierung zunächst den Treuhandfonds unterzeichnen wird. „Aber bald könnte Correa sagen, sie geben mir kein Geld, also muss ich fördern. Anschließend könnte er die Ölförderung freigeben.“ Daher fordert Acosta den Präsidenten auf, er solle sich öffentlich zu einem Förderverzicht im ITT-Gebiet und im angrenzenden Block 31 „bis zum Ende seiner Amtszeit in drei Jahren“ verpflichten. Der Bruch zwischen Correa einerseits und Acosta, den Umweltgruppen und den indigenen Bewegungen andererseits scheint unwiderruflich.

„Jetzt geht es um den Kern der Bürgerrevolution“, sagt Ex-Außenminister Fander Falconí, „eine moderne Linke muss sich auf eine Ökologie für die Armen stützen. Jedes Projekt des Wandels muss von der Umwelt ausgehen.“ Noch ist offen, ob dieses ökosoziale Lager bis zu den kommenden Wahlen 2013 zu einer echten Herausforderung für Correa werden kann. Ein neue Umfrage lässt hoffen: Demnach möchten 68 Prozent der EcuadorianerInnen über die Ölförderung im ITT-Gebiet per Referendum abstimmen, sogar drei Viertel lehnen sie ab. l

Gerhard Dilger lebt und arbeitet als Korrespondent mehrerer deutschsprachiger Medien in Porto Alegre, Brasilien, und besuchte kürzlich den Yasuní-Nationalpark.

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