Kulturschock in den Anden

Von Ralf Leonhard · · 2001/02

Eine Begegnung der besonderen Art: Österreichische Bäuerinnen besuchen ihre Kolleginnen in Ecuador. Und diese werden in einigen Monaten das Leben auf heimischen Höfen kennen lernen.

Am Anfang war das Erstaunen. Im Bergdorf Morocho, weit über 3000 Meter in der ecuadorianischen Sierra gelegen, mussten sich die Frauen erst einmal rechtfertigen. „Was wir da wollten, wurden wir gefragt“, erinnert sich Monika Schnitzberger aus Traunkirchen. Die Biobäuerin wurde erstmals in ihrem Leben für eine Großgrundbesitzerin gehalten. Für die misstrauischen Frauen in Morocho war die Sache klar: Weiße Haut, blonde Haare und dann noch mit Hosen bekleidet: Das sind Terratenientes. Nach und nach gelang es, das Eis zu brechen. Schnitzberger: „Wir haben von unseren Höfen erzählt und Fotos gezeigt. Dann war eine Verbindung da und schließlich eine Gesprächsatmosphäre.“ Soweit sich überhaupt ein Gespräch ergeben konnte, denn in dem Ketschua-Dorf sind nur die jungen Leute des Spanischen mächtig, die Österreicherinnen waren auf die Dolmetscherin angewiesen.

Von den 19 Frauen, die sich Ende September 2000 nach Ecuador aufmachten, um die Welt der Frauen am Äquator zu erkunden, waren die meisten zum ersten Mal in Übersee, einige saßen gar zum ersten Mal in einem Flugzeug. Dass die von der Österreichischen Bergbauernvereinigung (ÖBV) und der Südwind Agentur Niederösterreich West organisierte Reise tiefe Eindrücke hinterlassen würde, war also zu erwarten. Wie stark die Begegnung mit den Kolleginnen in den Anden selbst ihre Lebenseinstellung beeinflussen würde, hätten sich vorher allerdings die wenigsten träumen lassen. „Mehr Mut zum Widerstand“ hat Heidi Ammerer aus Großarl im Pongau gewonnen. Monika Schnitzberger hat ihren „Blick auf die Welt“ verändert: „Ich schau viel mehr auf die wesentlichen Sachen, auf das, was wirklich zählt.“ Waltraud Deubl aus Reichenau im Mühlviertel meint: „Man hat jetzt keine Ausrede mehr, dass man das nicht gewusst hat.“ Und Berta Kratz aus dem Lesachtal hat erkannt, dass Handeln überall not tut: „Ich war mir nicht bewusst, dass ich in meiner Heimat so viel tun kann.“

Die Reise unter kundiger Leitung von Monika Mlinar und Brigitte Ornauer führte in mestizische und indianische Dörfer im Hochland und der Ebene, aber auch in die Slums der Afro-EcuadorianerInnen in der Hafenstadt Esmeraldas, wo feste Arbeit unbekannt ist und ganze Stadtviertel aus den Müllhalden gewachsen sind. Die Frauen sahen die scheinbare Ausweglosigkeit, deren anschaulichster Ausdruck die zunehmende Kriminalität in den Städten und die massive Flucht in die Emigration sind.

Sie sahen aber auch, wie mit vergleichsweise bescheidenen Mitteln Großes geleistet werden kann. Etwa in Salinas, wo ein italienischer Pater eine Genossenschaft leitet, die den Menschen wenn nicht zu Wohlstand, so doch zu einer gewissen materiellen Sicherheit verholfen hat. Schafwolle wird dort verkauft und ein Schweizer Experte leistete Starthilfe für die Herstellung von Schokolade, die sich auf dem lokalen Markt bereits etabliert hat. Die Gemeinde, die früher vor allem von der Salzgewinnung aus heißen Quellen lebte, hat wieder eine Zukunft. Das kann man schon daran erkennen, dass die Jugendlichen, die nach Riobamba in die Schule geschickt werden, nach ihrer Ausbildung wieder zurückkehren.

Selbst Bergbäuerinnen wie Heidi Ammerer, die daheim in Großarl auf fast 1000 Meter Höhe Milchwirtschaft betreibt, zeigten sich beeindruckt vom schweren Leben der Landfrauen in Ecuador. Auch diese müssen die Wirtschaft oft allein betreuen, weil der Mann irgendwo in der nächsten Stadt arbeitet.

Zu den Mühen auf dem Feld, wo sie ohne Maschinen auskommen müssen, kommt die ständige Eifersucht. Denn dass die Männer sich mit anderen Frauen herumtreiben, wird als gesichert angenommen. Manche Ehemänner haben sogar eine Zweitfamilie in der Stadt und schicken kein Geld mehr. Andere kommen zwar am Wochenende nach Hause, sind dann aber den ganzen Sonntag besoffen und zu nichts zu gebrauchen. Trotzdem fragt sich Heidi Ammerer, wer ärmer ist: „Wir haben zwar materiell mehr, aber die Herzlichkeit, die Lebenslust“, der sie auf Schritt und Tritt begegneten, „die ist bei uns nicht zu Wnden.“

Auch in Ecuador machen sich immer mehr Frauen von ihrer traditionellen Rolle frei. Misshandlung durch den Ehemann wird nicht mehr als Selbstverständlichkeit hingenommen. In einem Dorf wurde eine Polizistin angeworben, die in Fällen von familiärer Gewalt einschreitet. Bei den Otavalos, einem indianischen Hochlandvolk, fanden die Besucherinnen sehr selbstsichere Frauen, die bei allen Entscheidungen mitreden. Auch das Verprügeln von Ehefrauen gilt dort nicht als Kavaliersdelikt.

Berta Kratz verließ das Land mit gemischten Gefühlen. Gern wäre sie geblieben, doch das Leben in den Städten würde sie nicht aushalten: „Man kann dort nicht in Freiheit leben. Weil es so gefährlich ist, hat man uns gesagt, wir dürfen nicht weggehen.“

Trotzdem überwiegen die positiven Eindrücke und das Fernweh ist geweckt. Mit einigen der starken Frauen aus den Anden wird es schon bald ein Wiedersehen geben, denn um die Jahresmitte kommen Frauen aus Ecuador auf Besuch nach Österreich.

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