Lippenbekenntnisse

Von Axel Veiel · · 2001/06

Mohammed VI. übernahm im Juli 1999 die Herrschaft über Marokko. Sein Modernisierungskurs wurde im In- und Ausland positiv bewertet. Doch der Wandel erschöpft sich bisher nur im Symbolischen, meint

Es ist still geworden um Marokko. Für ein Land, das derart der Veränderung bedarf, bedeutet das nichts Gutes. Da ist nach wie vor die Armut. Wie schwer sie auf der Bevölkerung lastet, hat kürzlich ein Manager des Bayer-Konzerns durchblicken lassen. Als potentielle KundInnen seines Unternehmens kämen nur noch fünf bis zehn Prozent der MarokkanerInnen in Frage, beklagte Fritz Koring, der Sprecher von ”Bayer Nordafrika“. Der Rest sei in die Armut abgeglitten.

Unverändert groß ist auch der Bildungsnotstand. Die Hälfte der Bevölkerung kann nicht lesen und schreiben. Ganz zu schweigen von der Geißel der Korruption. Sie wird nach Auskunft des Generalsekretärs von Transparency International, Bachir Rachdi, ”systematisch betrieben, in kleinem wie in großem Maßstab“.

Derweil funktioniert die Justiz schleppend oder gar nicht, und die Pressefreiheit leidet unter Zensur und Verbot, sobald eines der klassischen Tabuthemen berührt ist: die Monarchie, die Zugehörigkeit der Westsahara zum Königreich, die Vetternwirtschaft der Eliten.

Wobei unbotsame JournalistInnen auch die wirtschaftliche Keule zu spüren bekommen. So wurde die kritische Wochenzeitung ”Le Journal“ nach einem Artikel über Außenminister Mohammed Benaissa, der zu seiner Zeit als Botschafter in Washington beim Kauf einer Residenz angeblich überhöhte Beträge abgerechnet haben soll, zur Kasse gebeten: Ein Gericht verurteilte das Blatt zu umgerechnet 2,9 Millionen Schilling Schadenersatz, was nach Auskunft der beiden Chefredakteure Ali Amar und Aboubakr Jamai das Wnanzielle Aus bedeutet. Aber gab es da nicht einmal einen Hoffnungsträger, einen jungen König, der angetreten war, sein Reich von Grund auf zu erneuern?

Das waren noch Zeiten. Vor knapp zwei Jahren hatte Mohammed VI. nach dem Tod des Vaters das Zepter übernommen. In geradezu atemberaubendem Tempo war der Thronfolger vorangeschritten. Der junge Monarch besuchte die Berber im Jahrzehnte lang vernachlässigten Rifgebirge. Er entließ den für Willkürherrschaft und Unterdrückung stehenden Innenminister Driss Basri. Zahlreiche andere wenig demokratisch gesonnene Würdenträger des Regimes mussten ebenfalls ihren Hut nehmen, angefangen vom Chef der Geheimpolizei bis hin zum Leiter des staatlichen Fernsehens. Nach der von distanzierter Kühle geprägten Herrschaft Hassan II. hatte ein ”Staatsoberhaupt zum Angreifen“ die politische Bühne betreten.

Aber dann, nach all den Gesten guten Willens, als es an der Zeit gewesen wäre, die vielfach beschworenen tiefgreifenden Reformen in Angriff zu nehmen, da schien der Schwung auf einmal verpufft. Aber was heißt da tiefgreifende Reformen! Eine Revolution von oben hätte der Herrscher schon anzetteln müssen, um in dem heruntergewirtschafteten Königreich das Fundament eines modernen demokratischen Staates zu legen.

Wie etwa soll in einem Land, in dem der Prunk der Paläste und die Misere der Massen derart aufeinander prallen, Erneuerung ohne eine gewisse Umverteilung gelingen? Aber von den Reichen auf einmal Steuern zu kassieren, ja unrechtmäßig Erworbenes in Frage zu stellen, so weit soll die Erneuerung dann offenbar doch nicht gehen. So wie Presseberichte über Klientelwirtschaft offenbar das gewünschte Maß an Meinungsfreiheit überschreiten oder die Ausstattung des zum Debattierklub verkommenen ”Nationalen Komitees zur Bekämpfung der Korruption“ mit Initiativrechten anscheinend ein Übermaß an Transparenz wäre.

Wenn sich der Wandel bisher allerdings überwiegend im Symbolischen erschöpft, muss dies nicht allein am Monarchen liegen. Im Gegenteil. Es fehlt nicht an Hinweisen, wonach Mohammed VI. mehr möchte als er kann, ja darf. So will etwa Aboubakr Jamai, einer der Chefredakteure von ”Le Journal“, aus Palastkreisen erfahren haben, der König habe sich gegen ein Verbot der Zeitung ausgesprochen, das dann aber gleichwohl verhängt wurde und mehrere Wochen in Kraft war. Der Makhzen, jenes Geflecht einflussreicher Marokkaner im Umfeld des Palastes dürfte es vor allem sein, der von lieb gewordenen Privilegien nicht lassen mag und dem Wandel Grenzen setzt.

So unterschiedlich freilich auch die Vorstellungen sein mögen, die der Monarch, der Makhzen und die marokkanische Bevölkerung von der Dringlichkeit grundlegender Reformen hegen – in einem scheinen sie sich samt und sonders einig: Die vor gut einem Vierteljahrhundert völkerrechtswidrig annektierte Westsahara wollen sie nie und nimmer in die Selbstständigkeit entlassen.

Würde der König hier Zugeständnisse machen, bekäme er es nicht nur mit den Eliten des Landes zu tun, sondern auch mit seinem Volk. Allenfalls Autonomie sollen die Saharaouis nach dem Willen Rabats deshalb erhalten. Wenn es dazu käme, wäre es in diesem Fall nicht der marokkanische König, sondern die Völkergemeinschaft, die viel versprochen und wenig gehalten hätte.

Der Autor ist Nordafrika-Korrespondent mehrerer deutschsprachiger Medien mit Sitz in Madrid.

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