Mit Sonia an die Spitze

Von Brigitte Voykowitsch · · 1999/09

Die Frage, ob nach den kommenden Parlamentswahlen Rom – auf Sonia Gandhis italienische Herkunft anspielend – oder der Hindu-Gott Ram die Geschicke Indiens lenken sollen, schlägt im südasiatischen Subkontinent hohe Wellen.

Sonia Gandhi ließ sich Zeit. Erst Anfang August gab sie ihre Kandidatur bei den Parlamentswahlen bekannt, die wegen der Größe Indiens üblicherweise gestaffelt stattfinden: Diesmal an insgesamt fünf Tagen zwischen 5. September und Anfang Oktober. Erst um den zehnten Oktober wird also feststehen, ob Sonia Gandhi Chancen auf das Premiersamt hat.

Mitglieder der Kongreß-Partei geben sich zuversichtlich. „Wir sind auf dem Weg zum Comeback“, heißt es da. „Sonias Führung macht den Unterschied.“ Erstmals seit 1991, als Ex-Premier Rajiv Gandhi im Wahlkampf einem Selbstmordattentat zum Opfer fiel, geht der Kongreß wieder mit einem Mitglied der Nehru-Gandhi-Dynastie in die Kampagne. Vor dem letzten Urnengang vor knapp eineinhalb Jahren hatte Rajivs Witwe lediglich für die Partei geworben. Doch selbst das, will man im Kongreß glauben, habe mehrere Dutzend Mandate gebracht, wenn auch, wie schon 1996, erneut nur den zweiten Platz hinter der hindu-chauvinistischen Indischen Volkspartei (BJP).

Diesmal will die Grand Old Party des Subkontinents wieder an die Spitze gelangen, eine Hoffnung, der ExpertInnen wenig Chance auf Erfüllung einräumen. Sie verweisen dabei mehr auf den Zustand des Kongresses und auch auf Sonias Persönlichkeit als auf deren italienische Herkunft (sie stammt aus Triest) . Die hatte ja im Frühjahr, als die BJP-Regierung ein Mißtrauensvotum im Parlament verlor und vorgezogene Neuwahlen unumgänglich wurden, plötzlich wieder für Aufregung im Land gesorgt.

Die BJP selbst äußerte öffentlich Zweifel an Sonias Loyalität gegenüber Indien. Schon tauchte wieder der alte Slogan der Hindu-Nationalisten auf, ob denn nun „Rom oder Ram (ein Hindu-Gott)“ die Herrschaft gebühre. Manche Medien ergingen sich aufs Neue genußvoll in Geschichtchen über Spaghetti, Sole und Amore. InderInnen warfen die Frage auf, ob denn ein Land mit fast einer Milliarde EinwohnerInnen wirklich „eine italienische Haufrau“ an der Spitze benötige, die bis heute nur „anglisiertes, keusches“ Hindi spreche. Andere entgegneten, daß der Dienst am Land wohl kaum vom Ort der Geburt abhänge, und erinnerten, wie schlecht es um den BürgerInnensinn vieler im Lande Geborener bestellt sei.

Selbst im Kongreß rumorte es. Drei führende Mitglieder stellten sich plötzlich gegen „die Italienerin“, die dem Erfolg der Partei nicht zuträglich sei. Ein dramatisches Spektakel folgte: Sonia legte den Parteivorsitz zurück, ließ sich dann von Parteigetreuen und AnhängerInnen bitten und anflehen, kehrte zurück, schloß die Rebellen aus, die mittlerweile ihren eigenen Kongreß gegründet haben, und etablierte sich fest an der Spitze.

Rechtlich stünde einer Bestellung Sonias zur Premierministerin jedenfalls nichts im Wege. Die indische Staatsbürgerschaft besitzt sie, auch wenn Kritiker anmerken, daß sie diese erst eineinhalb Jahrzehnte nach ihrer Hochzeit mit Rajiv – den sie beim Studium in England kennengelernt hatte – im Jahre 1968 annahm. Die Witwe selbst hat oft genug betont: „Ich bin eine Tochter von Bharat Mata, der Mutter Indien. Bis zum letzten Atemzug werde ich zu Indien gehören.“ Hinreichend bekannt hat sie sich auch zur „Dynastie“, die drei Premiers mit ingesamt 37 Jahren Amtszeit stellte: Jawaharlal Nehru, des ersten Regierungschef des 1947 unabhängig gewordenen Indien, dessen Tochter Indira Gandhi und deren Sohn Rajiv. Der Name Gandhi kam durch Indiras Ehemann Feroze Gandhi, einen Journalisten, auf die Familie – dieser stand jedoch in keinem Verwandtschaftsverhältnis zu Mahatma Gandhi.

Schon nach Rajivs Ermordung im Mai 1991 wollte der Kongreß Witwe Sonia als neue Parteichefin. Doch sie, die bereits den Mord an Indira 1984 miterlebt hatte, verwehrte sich, lebte mit Sohn Rahul und Tochter Priyanka weiter ein Leben in Abgeschiedenheit und zog höchstens aus dem Hintergrund ein paar Fäden. Vergeblich hatte sie schließlich Rajiv, einen ausgebildeten Piloten, von der Politik fernhalten wollen. Als dessen jüngerer Bruder Sanjay, den Indira Gandhi zum Nachfolger heranzog, tödlich verunglückte, sah sich Rajiv verpflichtet, an Indiras Seite zu treten.

Erst Ende 1997 begann sie, sich öffentlich für den – infolge von Korruption und innerer Zerstrittenheit stark diskreditierten – Kongreß zu engagieren, 1998 übernahm sie den Vorsitz. Die Partei jubilierte. „Zwanzig Jahre wird uns nun Sonia führen, dann haben wir Priyanka“, hieß es optimistisch. Doch Sonia, bremsen Kritiker, hat nicht die Aura eines Nehru, das Charisma einer Indira oder den Charme Rajivs.

Wenn Sonia nun im Wahlkampf wieder alte Slogans des Kongresses bemühte – Indiras „Garibi hatao“, Kampf der Armut, oder die unumgänglichen Behauptungen, daß nur der Kongress dem Land Stabilität garantieren und dessen säkularen Charakter bewahren könne – so steht doch fest: Die Partei, die Indien 45 seiner bisher 52 Jahre Unabhängigkeit regierte, hat große Teile ihrer Wählerschaft verloren: Angehörige höherer Kasten an die BJP, Mitglieder niederer Kasten, Dalits (Unberührbare) und viele Muslime an diverse regionale Parteien.

Lediglich 141 der insgesamt 545 Sitze hatte sie im letzten Parlament inne. Die BJP dagegen, die 1996 und 1998 mandatsstärkste Einzelpartei geworden war, hatte im Wahlkampf eine große Trumpfkarte – ihren jüngsten Erfolg im Konflikt mit Pakistan um Kaschmir, der eine neue Welle des Patriotismus in Indien auslöste.

Sonia hat dem noch nicht mehr als Versprechungen und den Namen der Dynastie entgegenzusetzen.

Die Autorin ist Auslandsredakteurin der Tageszeitung „Der Standard“ und bereist häufig Indien, zuletzt im vergangenen Juli.

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