Mutige Schwestern

Von Irmgard Kirchner · · 2005/03

Frauen werden weltweit benachteiligt und meist in der Opferrolle gesehen. Trotzdem: Bewunderung für Frauenmut ist angesagt.

Der Welt fehlen 100 Millionen Frauen. Sie sind deutlich früher gestorben als ihre männlichen Altersgenossen; eine Folge von Ungerechtigkeit und Benachteiligung bei Ernährung und Gesundheitsfürsorge. Diesen Preis für die Ungleichheit der Geschlechter hat der Wirtschaftswissenschaftler und Nobelpreisträger Amartya Sen ausgerechnet.
70 Prozent der weltweit Armen sind Frauen, die 70 Prozent der unbezahlten Arbeit leisten. Die Benachteiligung von Frauen ist – mit wenigen Ausnahmen – allen Kulturen gemeinsam, in den ärmsten wie den reichsten Ländern.
Die Ungleichheit der Geschlechter hat viele und sich verändernde Gesichter. Indien und Pakistan, Bangladesch und Sri Lanka sind sicher keine Vorzeigeländer in punkto Frauenrechte. Man denke nur an die Praxis der Witwenverbrennung, an Ehrenmorde oder die gezielte Abtreibung weiblicher Föten. Und doch haben und hatten diese Länder weibliche Staatsoberhäupter, was in den USA, Deutschland oder Japan nie da gewesen und auch für die Zukunft nicht absehbar ist.

Seit den 1990er Jahren ist das Thema „Frauen in der Gesellschaft“ fixer Bestandteil jeder nationalen und internationalen entwicklungspolitischen Agenda. Nicht zwingend steht eine feministische Sichtweise dahinter. Frauenförderung ist schon aus reinem Effizienzdenken entwicklungspolitisch gerechtfertigt. Eine Gesellschaft, die jene Mitglieder schwächt, die sich um das Schwache sowie um das sich erst Entwickelnde kümmern, schwächt sich selbst als Ganzes. Jeder Mann wird von einer (untergewichtigen? ungebildeten? verletzten?) Frau geboren.
Die Entwicklungspolitik hat in den vergangenen Jahrzehnten viel Erfahrung im Bereich Frauenförderung gesammelt. Es geht um den Zugang zu Bildung, Grund und Boden und Kapital, um politische Partizipation, um die Überwindung von direkter und struktureller Gewalt.
Und es wurde viel erreicht und viel wieder verloren: durch Kriege, Fundamentalismen oder neoliberale Sparprogramme. (Wobei die Frauen in den Industrieländern sich des erkämpften Fortschrittes sicherer sein dürfen als ihre Schwestern in armen, unstabileren Staaten.)

Am 8. März ist Internationaler Frauentag. Viel wird geschrieben werden über Frauen als Opfer. Und weniger über den Mut der Frauen. Jedes noch so gut geplante „Frauenförderungsprogramm“ braucht Frauen, die es wagen und wünschen. Die den Mut aufbringen zum Tabubruch: Frauen, die sich in Männerdomänen bewähren, die (höhere) Bildung anstreben, die gesellschaftlich und politisch mitreden wollen, die gegen die Beschneidung ihrer Töchter kämpfen, die sich ein unabhängiges Einkommen erwirtschaften. Diese Frauen rebellieren nicht gegen einen anonymen Klassenfeind oder gegen eine ungerechte Struktur. Sie stellen sich gegen ihnen sehr Nahestehende(s): Väter, aber auch Mütter, Brüder, Ehemänner, die guten Sitten, den gesellschaftlichen Konsens. Sie teilen mit dem Klassenfeind Tisch und Bett. Der Tabubruch ist oft mit nichts Geringerem als sozialem Ausschluss verbunden. In vielen Gesellschaften haben Frauen keine wirkliche andere Wahl als zu heiraten. Allein stehende Frauen werden geächtet. Daher wirkt die Drohung: Welcher Mann wird eine unbeschnittene oder eine hoch gebildete Frau heiraten wollen?
Die weltweite Ungleichheit der Geschlechter ist groß. Noch größer jedoch ist der Mut, dagegen zu kämpfen.

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