Neue Optik

Von Robert Poth · · 2008/10

Auslandsverschuldung 2008: Der Süden borgt dem Norden Geld, die nächste Krise droht in Europa, und die UNCTAD attackiert einen Mythos.

Schulden- und Kapitalmarktkrisen verfolgten die Entwicklungsländer seit Beginn der 1980er Jahre wie eine Pest. Noch vor zehn Jahren schien der Süden in einer Falle zu stecken: Die Auslandsschulden nahmen rascher zu als die Exporterlöse, aus denen sie zurückbezahlt werden mussten. Das lag auch am Verfall der Terms of Trade – d.h. die Exportprodukte des Südens (eher Rohstoffe) wurden billiger, die des Nordens (eher Industriewaren) teurer. Statt mehr Wachstum durch mehr Investitionen, ihr theoretischer Zweck, bescherte die Auslandsverschuldung Lateinamerika und Afrika südlich der Sahara ein „verlorenes Jahrzehnt“, wenn nicht sogar deren zwei – unter Mithilfe von Weltbank und Internationalem Währungsfonds (IWF), unter deren Knute sie durch ihre Schulden gerieten.
Dazu kam die Liberalisierung des Kapitalverkehrs. Dadurch war es möglich, hohe Defizite in der Leistungsbilanz, meist Indiz einer Überbewertung der Landeswährung, durch kurzfristige Kapitalzuflüsse zu finanzieren (auch in Form von Portfolioinvestitionen oder „Hot Money“). Sind die Zinsen im Inland höher als im Ausland, liefert das Anreize, sich im Ausland zu verschulden, und begünstigt so genannte „Carry Trades“. Dabei werden in niedrig verzinsten Währungen aufgenommene Mittel in höher verzinsten Währungen veranlagt. Was den Effekt hat, die Überbewertung noch zu verstärken, bis es kracht, also das mobile Kapital fluchtartig das Land verlässt. Und es krachte auch – von der Tequilakrise (Mexiko 1994/95) über die Asienkrise (1997) bis zur Russlandkrise (1998), die Brasilien mit erwischte und indirekt den Kollaps der argentinischen Wirtschaft Ende 2001 auslöste.

Alles das schien nach einer „Radikalkur“ des Systems zu verlangen, zu der es bekanntlich nicht kam. Und doch zeigt sich heute, zehn Jahre Globalisierung später, ein völlig anderes Bild. Der vielleicht markanteste Unterschied: Die Entwicklungs- und Reformländer insgesamt haben es geschafft, sich in Nettogläubiger zu verwandeln – sie borgen also den reichen Ländern Geld -, und ihre staatlichen Investmentfonds spielen eine wichtige stabilisierende Rolle bei der Abfederung der Folgen der US-Finanzmarktkrise. Zwar nahmen ihre Auslandsschulden von 1998 bis 2007 von rund 2.400 auf 4.000 Mrd. US-Dollar zu. Doch gleichzeitig wuchsen ihre Währungsreserven um mehr als 4.000 Mrd. Dollar. Noch 2008 dürften sie den Wert von 5.000 Mrd. Dollar übersteigen, schätzt der IWF.
Wie drastisch die Veränderungen teilweise waren, zeigen Kennzahlen wie der Anteil der Auslandsschulden am Bruttoinlandsprodukt (BIP) oder des Schuldendiensts an den Exporterlösen. In Afrika südlich der Sahara fiel ihr Anteil am BIP von 1999 bis 2007 von 70% auf nur mehr 24% des BIP, wozu auch die Schuldenerlässe offizieller Gläubiger beitrugen. Flossen in Lateinamerika und der Karibik 1999 noch mehr als 50% der Exporterlöse als Schuldendienst aus der Region, lag dieser Anteil 2007 bei nur mehr 20,6%.



Wie das gelingen konnte, ist bekannt: Einerseits lernten die Krisenländer ihre Lektion und setzten (wie auch China) eher auf eine strategische Unterbewertung ihrer Währungen. Die wachsende Nachfrage aus Asien trieb die Rohstoffpreise in die Höhe, was mit der gleichzeitigen massiven Zunahme relativ billiger Industrieexporte aus China die Terms of Trade des Südens entgegen den historischen Trends verbesserte. Beides zusammen erlaubte, zumindest auf regionaler Ebene, rasches Wachstum und Exportüberschüsse, die zusammen mit Direkt- und Portfolioinvestitionen die Akkumulation von Währungsreserven ermöglichten – mit dem Löwenanteil, ca. 1.800 Mrd. Dollar, in China. Nicht zuletzt diese Devisenbestände ließen die Risikoprämien der Schuldnerländer sinken, was gemeinsam mit dem historisch niedrigen internationalen Zinsniveau den Schuldendienst reduzierte.
Doch nicht alle Trends sind positiv. Während die einen der Schuldenfalle zu entkommen scheinen, drohen andere in eine solche zu geraten: Die Länder Zentral- und Osteuropas (CEE) sowie der Ex-Sowjetunion (GUS) inklusive Mongolei haben ihren Anteil an der Gesamtverschuldung der Entwicklungs- und Reformländer seit 1998 auf knapp 40% verdoppelt. Die CEE ist nicht nur die einzige Region, wo die Verschuldung relativ zum BIP zugenommen hat, sondern auch die einzige mit einer stark negativen Leistungsbilanz (siehe Grafik) – ein typisches Szenario einer drohenden Währungskrise. Sollte es im Rahmen der nun wieder steigenden Risikoprämien dazu kommen, müssten sich die Regierungen der Region wohl vorwerfen lassen, aus Fehlern anderer nichts gelernt zu haben.



Zudem haben die insgesamt positiven Entwicklungen auch ihre Schattenseiten: Vor allem arme ölimportierende Länder ohne ausgleichende Einnahmen aus Rohstoffexporten geraten unter Druck, wobei sich die höheren Weltmarktpreise für Nahrungsmittel noch fataler auswirken dürften wie die höheren Ölpreise, so der IWF im Juli. Sie könnten also wieder gezwungen sein, letztlich unbezahlbare Auslandsschulden aufzunehmen.
Wachstum braucht kein Auslandskapital
In ihrem Trade and Development Report 2008 liefert die UNCTAD einen überfälligen Beitrag zur Demontage eines einflussreichen Mythos: Dass arme Länder mit geringen Ersparnissen auf Auslandskapital zugreifen müssten, um ihre Investitionsquoten erhöhen und Wirtschaftswachstum erzielen zu können. Mitnichten, heißt es dazu in Kapitel 4 („Domestic sources of finance and investment in productive capacity“): Für Investitionen braucht es keine Ersparnisse, denn sie können auch auf Basis der Fähigkeit des Bankensystems finanziert werden, per Kreditvergabe zusätzliches Geld „ex nihilo“ (aus dem Nichts) zu schaffen. „Der nominelle Wert der Erweiterung der Produktionskapazität des Unternehmens und der Produktion zusätzlicher Güter und Dienstleistungen, wofür der zusätzliche Kredit verwendet wurde, erhöht das Gesamteinkommen und schafft die realwirtschaftliche Entsprechung zur Erhöhung der Geldmenge. Aus dem höheren Cashflow des Unternehmens kann der Kredit zurückbezahlt werden.“
Im Web: www.unctad.org/en /docs/tdr2008ch4_en.pdf

Inwieweit die Entwicklungen der letzten Jahre trotz der drohenden wirtschaftlichen Flaute in den reichen Ländern andauern werden, beschäftigt die ganze Welt. Einen nicht übermäßig pessimistischen Ausblick liefert dazu die UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD) in ihrem Trade and Development Report 2008 von Anfang September, begleitet von den mittlerweile regelmäßigen Forderungen nach einer Eindämmung spekulativer Kapitalflüsse, einer multilateralen Koordination der Wechselkurspolitik, um Schulden- und Kapitalmarktkrisen vorzubeugen, und einem internationalen Konkursverfahren für staatliche Schuldner.
In Zusammenhang mit der neuen Rolle des Südens als Nettokapitalexporteur befasst sich die UNCTAD jedoch erstmals eingehender mit konventionellen ökonomischen Theorien, die den unterstellten positiven Effekten einer Auslandsverschuldung und Kapitalverkehrsliberalisierung auf ärmere Länder zugrunde liegen. Und kommt dabei zu folgendem Schluss: Im Prinzip brauchen ärmere Länder gar kein Auslandskapital, um Wachstum zu erzielen (siehe Kasten). Mit anderen Worten, das Problem mit der Auslandsverschuldung beruht – auch – auf falschen Theorien. Ob und wie Weltbank und IWF darauf reagieren, bleibt abzuwarten.

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