Neuer Blickwinkel

Von Karin Chladek · · 2010/04

Immer mehr internationale Nichtregierungsorganisationen (NGOs) werden von Menschen aus Afrika, Asien oder Lateinamerika geleitet. Ihr Hintergrund und ihre Erfahrungen geben neue Impulse in den Vorreiterorganisationen der Zivilgesellschaft.

Die erste war Irene Khan: Die aus Bangladesch stammende Juristin wurde 2001 Generalsekretärin von Amnesty International. Im Herbst 2009 trat Kumi Naidoo aus Südafrika sein Amt als Geschäftsführer von Greenpeace International in der Amsterdamer Zentrale an. Gleich zwei einflussreichen Organisationen steht der Inder Ashok Khosla als Präsident vor: der legendären Denkschmiede Club of Rome, die 1972 mit ihrem Report „Die Grenzen des Wachstums“ für Aufsehen sorgte, und der Weltnaturschutzorganisation IUCN.

Ashok Khosla war Direktor des UN-Umweltprogrammes UNEP und verließ die Vereinten Nationen, um sich Development Alternatives zu widmen, einer 1983 gegründeten nichtstaatlichen Organisation mit Sitz in Delhi. Development Alternatives setzt auf die Förderung von innovativen, oft sehr einfachen Technologien, die auf traditionellem Wissen basieren, und schafft so umweltfreundliche Arbeitsplätze für die ländliche Bevölkerung. Bauen, Kühlen, Energiegewinnung und Handwerk stehen im Vordergrund: Die Organisation entwickelt u. a. robuste Lehmziegel nach traditionellen Techniken, mit denen heute auch die indische Mittelschicht ihre neuen Häuser baut. Das Hauptquartier von Development Alternatives in Delhi entwickelt die alten Bautechniken weiter, die dem Klima gut angepasst sind. So ist der Stromverbrauch niedriger. Ein besseres Leben für mehr Menschen bei gleichzeitig geringerem Umwelt- und Ressourcenverbrauch – kein Wunder, dass der Gründer einer Organisation, die dies seit mehr als 25 Jahren umsetzt, beim Club of Rome auf reges Interesse stieß.

Wie wird der kulturelle Hintergrund der neuen führenden Köpfe den Fokus der großen, internationalen NGOs verändern? Die sozialen Faktoren, vor allem der Umgang mit enormen Einkommensunterschieden beschäftigen zivilgesellschaftliche Organisationen aus Ländern wie Indien, Südafrika und Bangladesch stärker als NGOs aus Industriestaaten. Ashok Khosla spricht in diesem Zusammenhang von den beiden entgegengesetzten Krankheiten „Affluenza“ und „Povertitis“: Symptomatisch dafür sind boomende Luxusbauten und wachsende Slums in Städten wie Mumbai. Die soziale Schere geht zwar auch in den Industriestaaten seit Jahren auseinander, doch die Herausforderungen in Ländern des globalen Südens sind weit größer. Das formt die Perspektive: Die so genannte „soziale Säule“ der Nachhaltigen Entwicklung rückt auch bei umweltorientierten NGOs in den Vordergrund. Das zeigt sich bei den Diskussionen rund um den Klimawandel, der mehr und mehr zur Frage der globalen Gerechtigkeit wird. „Der beste und günstigste Weg, den globalen CO2-Ausstoß zu reduzieren und damit das Klima zu schützen, ist es, mehr Schulen für Mädchen zu gründen“, sagt Ashok Khosla. „Komplizierte CO2-Lagerung unter der Erde wird nichts Vergleichbares für den Klimaschutz leisten können.“

Die Frage der Verteilungsgerechtigkeit wird immer stärker mit Umweltfragen verknüpft. Am bekanntesten ist das Konzept des Globalen Fußabdrucks, der den ungleichen Ressourcenverbrauch von Staaten, aber auch pro Kopf und zwischen Individuen mess- und sichtbar macht.

Wohlstand oder zumindest Auskommen für alle bei gleichzeitiger Umweltschonung – das ist die globale Herausforderung. Die Arbeit von NGOs aus so genannten Schwellenländern wie etwa Development Alternatives und was sie bereits erreicht haben, gibt Anlass für Optimismus. 600 MitarbeiterInnen arbeiten inzwischen für Development Alternatives, und noch viel mehr Inderinnen und Inder erwirtschaften durch den Einsatz der neuen, ressourcenschonenden Technologien selbst ein Einkommen. Die Verbindung von traditionellem und innovativem Wissen macht klimaangepasstes Wohnen ohne Umweltzerstörung möglich.

Auch neue Berechnungsmodelle lenken den Blick auf das Wesentliche: etwa der Happy Planet Index, den die britische Denkschmiede New Economics Foundation (nef) in Kooperation mit dem Ecological Footprint-Network seit 2006 erstellt. Der Happy Planet Index gibt an, welche Länder hohe Lebenserwartung und hohe „Lebenszufriedenheit“ mit so wenig Umweltbelastung und Ressourcenverbrauch wie möglich erreichen. Nummer 1 ist aktuell Costa Rica, allgemein schneiden lateinamerikanische Länder gut ab. Österreich liegt auf Platz 57, die USA auf Rang 114: Sehr viel Umweltverbrauch für wenig Zufriedenheit, so lautet das ernüchternde Ergebnis für das Land der „unbegrenzten Möglichkeiten“. Spannend ist, was sich hinter dem Ranking verbirgt: CostaricanerInnen haben eine etwas höhere Lebenserwartung und sind durchschnittlich zufriedener mit ihrem Leben und Einkommen als ein durchschnittlicher US-Amerikaner, ihr ökologischer Fußabdruck entspricht aber nur einem Viertel von dem eines US-Bürgers! Das bestplatzierte westliche Industrieland sind die Niederlande mit Rang 43 von 143 Staaten.

Karin Chladek ist Wissenschaftsjournalistin mit den Schwerpunkten Umwelt – Soziales – Nachhaltige Entwicklung. Sie leitet die Öffentlichkeitsarbeit von respect – Institut für Integrativen Tourismus und Entwicklung.

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