Probleme im Paradies

Von Redaktion · · 2008/05

Der Tourismus boomt weltweit – aber nicht alle sind damit glücklich, berichtet NI-Redakteur Chris Brazier.

Ich war fassungslos: War das tatsächlich derselbe Ort? Die Zeit, die ich 1981 in Ubud verbrachte, gehört zu den Reiseerlebnissen, an die ich am liebsten zurückdenke. Dieses Dorf in Zentralbali erhielt schon damals regelmäßig Besuch von Menschen aus dem Westen, die von seinem Ruf als Refugium für KünstlerInnen angezogen wurden. Aber es war ein Dorf, und meine Partnerin und ich waren die einzigen Gäste in der bescheidenen Pension, die wir über einen schlammigen Weg erreichten, der hinunter zur strahlenden Schönheit der Reisfelder führte.
Als ich 2006 zurückkehrte, fiel es mir schwer, die moderne Wirklichkeit mit der Erinnerung in Einklang zu bringen. Wo einst Enten im Gleichschritt durch den Regen zu den Feldern marschierten, war heute eine von Autos verstopfte Straße, gesäumt von Hotels, Restaurants und Geschäften, allesamt für TouristInnen.
Diese Geschichte könnte man natürlich von jeder anderen Ecke der Welt erzählen – die spanischen Megaressorts Benidorm und Magaluf waren ja auch einmal verschlafene Fischerdörfer. Und die Pioniere des Massentourismus sind stets die unerschrockenen RucksacktouristInnen, die den Ort in seinem „authentischen“, „unberührten“ Zustand entdecken. Cafés und Pensionen werden für sie errichtet, die Mundpropaganda tut das ihre, und mit jedem Jahr wird das Service besser, die BesucherInnen immer gewöhnlicher. Schließlich wird der Ort zu einem beliebten Reiseziel für jene Art von Leuten werden, die nur organisierte Reisen und Paketangebote buchen, und (in vielen Fällen) am Ende einen Niedergang erleben.
Die Zahl der Menschen, die ihren Urlaub im Ausland verbringen, nimmt weiterhin jedes Jahr zu. Europa ist mit einem Anteil von 54% nach wie vor die Top-Destination, aber ein Drittel reist heute in Entwicklungsländer; 1990 war es ein Viertel und 1982 ein Sechstel. Glaubt man dem Establishment der Reise- und Tourismusbranche, haben arme Länder, die es ansonsten schwer haben, Devisen zu verdienen, davon nur Gutes zu erwarten. Die gesamten Tourismuseinnahmen beliefen sich 2006 auf beeindruckende 733 Mrd. US-Dollar, und 75 Länder verzeichneten in diesem Jahr Einnahmen von mehr als einer Mrd. Dollar. Und der Strom der TouristInnen ist keine Einbahnstraße – die SüdkoreanerInnen brachten ihr Land mit ihren Tourismusausgaben 2006 erstmals in die Top-10, während BrasilianerInnen 33 Prozent und ArgentinierInnen 24 Prozent mehr ausgaben als 2005. 1)

„Der Tourismus ist ein wichtiger Faktor im Kampf gegen die Armut“, betont Francesco Frangialli, Generalsekretär der World Tourism Organization der Vereinten Nationen (UNWTO). „Für die meisten Entwicklungsländer … ist er ihr größter Einzelexport und ein wichtiger Treiber für Arbeitsplätze, Investitionen und wirtschaftliche Transformation.“ 2)
Diese Fakten sind unbestreitbar, vermitteln aber ein verzerrtes Bild. Erstens bleibt ein Großteil der Einnahmen aus dem Tourismus nicht im Gastland, sondern fließt zurück in die reichen Länder. Die Weltbank schätzt, dass 55 Prozent der Einnahmen aus dem internationalen Tourismus im Süden über ausländische Fluglinien, Hotelbesitzer und Reiseveranstalter oder Zahlungen für importierte Nahrungsmittel, Getränke und andere Produkte wieder in den Norden fließen.3) In manchen Ländern, besonders in der Karibik, können diese Abflüsse bis zu 75% ausmachen. Aber nicht bloß im Süden: Einer Studie zufolge wurden zwei Drittel der Tourismuseinnahmen im Mittelmeerraum von bloß zehn Reiseveranstaltern aus Nordeuropa eingesackt. 4)
Diese Devisenabflüsse sind bei weitem nicht das einzige Problem. Lokale Gemeinschaften werden auch gezwungen, wegen Tourismusprojekten ihr Land aufzugeben. Tricia Barnet, Mitarbeiterin der Organisation Tourism Concern, erinnert sich an einen kürzlichen Besuch in einem Luxushotel in Oman. „Man geht durch die Wüste und über die Berge und hinunter in diese klassische Bucht. An einem Ende ist das Ressort – ein schönes Gebäude im beduinischen Stil – und am anderen ein Fischerdorf, das früher die ganze Bucht einnahm; sie wurden ersucht, zu gehen und bekamen einen Pappenstiel dafür. Oben an der Straße wollen sie jetzt einen bewachten Schranken errichten, damit die Gäste mit ihren Passierscheinen sicher sind. Die Leute vom Dorf werden auch Passierscheine bekommen, aber nur für sich, was sie de facto von ihren Freunden, Verwandten und allen anderen abschneidet, die sie besuchen wollen.“

In Sri Lanka wiederum konnten Tausende, die durch den Tsunami von 2004 ihr Heim verloren, noch nicht in ihre ehemaligen Dörfer zurückkehren oder ihr früheres Leben fortsetzen – teilweise ebenfalls wegen Tourismusprojekten. Einheimische, darunter Fischer, wurden von Investoren überboten, die Ferienwohnungen kaufen.
Auch die Umweltfolgen des Tourismus können weit über die klimaschädlichen Emissionen von Düsenflugzeugen hinausgehen. Ein Extremfall ist die Entwicklung von Dubai als Luxusdestination. Dieses Scheichtum baut buchstäblich eine neue Welt – eine Art Laufstall für die reichsten BürgerInnen dieser Erde. Bereits berühmt wegen der markanten Form des 321 Meter hohen Hotels Burj al Arab (wo Suiten bis zu 28.000 US-Dollar die Nacht kosten können), hat Dubai Millionen Kubikmeter Felsen und Sand ins Meer kippen lassen, um völlig neue Inseln zu schaffen. Die bloß 70 Kilometer lange natürliche Küstenlinie des Scheichtums wird sich bei Fertigstellung des Projekts mehr als verdoppeln, jedes Stück Neuland mit luxuriösen Villen und Ressorts für die Reichen ausgestattet sein.
Umweltfolgen werden auch bei weniger ausgefallenen Tourismusprojekten selten berücksichtigt. Ein Beispiel ist Cancún auf der Halbinsel Yucatán, in einer Region, die von der mexikanischen Regierung nun „Riviera Maya“ genannt wird. Die Mittel für diesen enormen Ressortkomplex borgte sich Mexiko 1971 von der Interamerikanischen Entwicklungsbank (IADB), das erste derartige Darlehen für ein Tourismusvorhaben.
„Das Land war unglaublich billig, und es hatte alles, um Touristen anzulocken – schöne Strände, blaues Meer, Maya-Ruinen“, erzählte Araceli Dominguez, Besitzerin eines kleinen, umweltfreundlichen Hotels und bekannte Aktivistin, dem Schriftsteller Leo Hickmann. „Geplant war, auf der Insel Cancún innerhalb von 30 Jahren 30.000 Zimmer zu errichten. Aber dann begannen sie, die Lagunen auszubaggern und die Vegetation zu zerstören … Jetzt versuchen sie, Hotels in geschützten Gebieten zu bauen, weil es nicht mehr genügend guten Baugrund gibt … die Politiker sehen einfach nicht, dass Ökotourismus langfristig mehr Geld einbringen könnte als diese Hotelketten.“
Tourismusdarlehen von internationalen Finanzinstitutionen wie der Weltbank sollten nur für Projekte vergeben werden, die wirtschaftliche, soziale und Umweltkriterien erfüllen. In der Praxis bedeutet das wenig.

Tourismus schafft Arbeit, aber oft zu besonders ausbeuterischen Bedingungen und niedrigen Löhnen. Auch hier ein Beispiel aus Cancún, das nicht untypisch ist: „Etwa 90 Prozent der Hotelbeschäftigten erhalten nur den Mindestlohn. Im Schnitt sind die Gehälter kaum höher als vier Dollar pro Tag, während eine Wohnung monatlich 150 Dollar kosten kann. Hotels stellen Leute oft für 28 Tage ein, lassen den Vertrag auslaufen und nehmen dieselben Leute wieder auf. Häufig müssen Beschäftigte, die eine Stunde entfernt wohnen, 12 bis 14 Stunden täglich arbeiten.“ 5) Mehr als ironisch mutet dabei an, dass diese Menschen, die den Tourismus möglich machen, selbst nur sechs Tage Urlaub im Jahr haben und die spektakulären Strände nicht betreten dürfen.
Mit der langen Liste der Probleme des Tourismus könnten noch Seiten gefüllt werden – dabei haben wir noch nicht einmal den traurigen Aspekt des Sextourismus angesprochen. Man könnte leicht zum Schluss kommen, dass der Tourismus ein Katastrophengebiet ist, das Entwicklungsländer nicht einmal mit der Kneifzange anfassen sollten. Und doch wollen Regierungen weltweit immer mehr davon. Manchmal sind es lokale Eliten, die nach dem Geld der TouristInnen jagen, weil sie wissen, wie sie davon profitieren können, auch wenn für die Armen nichts übrig bleibt. In anderen Fällen mag es Verzweiflung sein – aus einem tatsächlichen Mangel an Alternativen.
Bei meinem Gespräch mit Peter M. Burns, Autor von „An Introduction to Tourism & Anthropology“, erinnerte er sich an seine Arbeit für ein Tourismusprojekt in Eritrea, knapp nach dem Ende des 30-jährigen Kriegs gegen Äthiopien „Wir waren im Büro der Tourismusministerin und sagten ihr all das, was Tourismus-Konsulenten üblicherweise sagen, also dass die Entwicklung langsam und sorgfältig stattfinden sollte – all das, worüber wir beide uns sofort einig wären. Dann gab es eine bedeutungsschwangere Pause, und sie sagte: ‚Naja, das ist ja ganz schön, aber meine Leute waren 30 Jahre lang im Krieg, die brauchen jetzt Arbeit, nicht in zehn Jahren. Wie werden Sie mir dabei helfen können, ihnen das zu verschaffen?‘ Wir waren sprachlos. Sie hatte uns mit einem Satz vernichtet.“
Warum ist Massentourismus der Hauptkompromiss mit der kapitalistischen Welt, zu dem sich Kuba in der Zeit der selbst gewählten Isolation entschlossen hat? Trotz der unerbittlichen Feindseligkeit gegenüber beinahe allen konventionellen westlichen Modellen hat die Castro-Regierung den Tourismus in großem Stil gefördert – nicht ohne Probleme. Kuba ist heute eine Gesellschaft, die in zwei Klassen geteilt ist, in eine, die Zugang zu Touristendollars hat und eine andere, die das nicht hat. Ist der Tourismus bloß jener Teufel im Angebot, der am wenigsten schädlich ist? Dass es aus Ländern jeder politischen Ausrichtung eine beständige Nachfrage nach Tourismus gibt, muss berücksichtigt werden – auch von jenen, die dem Tourismus mit dem größten Argwohn gegenüberstehen.

1) Quelle für alle Zahlen: UNWTO (www.world-tourism.org)
2) Rede vor dem Klimatreffen in Bali, Nov. 2007
3) www.un.org/ecosocdev/geninfo/afrec/subjindx/131envir.htm
4) Worldwide Fund for Nature, zit. in People and Planet, www.peopleandplanet.net/doc.php?id=1113
5) Tourism Concern, Sun, Sea and Sweatshops, 2005
6) Tourism Concern/Leeds DEC, zit. in Pamela Novicka, No-Nonsense Guide to Tourism, NI 2007

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