Reggae zwischen Offenheit und Intoleranz

Von Richard Solder · · 2013/05

Seit Jahren schwelt eine Debatte um Reggae-Künstler mit schwulenfeindlichen Texten. Capleton, einer von ihnen, gastiert am 13. Mai in Wien. Wie umgehen mit Homophobie in der Musik?

Der Song „Stand Tall“ des Jamaikaners Capleton ist Reggae in Reinkultur: Der Sound ist entspannend, der Rhythmus lädt zum Mitgrooven ein. Das Lied ist aber auch eines, das homophobe Lyrics beinhaltet: „Yes we haffi bun batty man“, „Ja, wir müssen Schwule verbrennen“, singt er. Der Satz ist kein Ausrutscher. Neben bekannten Reggae- und Dancehall-Größen wie Sizzla oder Bounty Killer ist Capleton ein Vertreter der so genannten Battyman-Tunes bzw. der „Murder Music“. Unter diesen Begriffen wird Musik zusammengefasst, die Homosexuelle abwertet oder sogar zur Gewalt gegen sie aufruft.

In den vergangenen Jahren ist im deutschsprachigen Raum eine Debatte darüber entstanden, ob VeranstalterInnen diese Musiker nicht mehr buchen sollen. Der deutsche Politiker Volker Beck von den Grünen forderte gar ein Einreiseverbot.

Als der Chiemsee Reggae Summer 2011 ein Capleton-Konzert ankündigte, regte sich Protest, nicht zuletzt im Web 2.0. Die Elektropunk-Band Frittenbude kündigte an: „Solange Capleton oder irgendein anderer homophober ‚Künstler‘ auf dem Chiemsee Reggae Summer spielt, ist unser Auftritt dort gecancelled.“

Die internationale Kampagne „Stop Murder Music“ rief vor ein paar Jahren den Reggae Compassionate Act ins Leben, der Musiker dazu verpflichten soll, von intoleranten Inhalten abzusehen. Mehrere Stars, darunter Beenie Man, Sizzla und Capleton, unterzeichneten das Papier. Strikt eingehalten wird es allerdings nicht.

Olaf Karnik findet die Idee, zu einem Konzert-Boykott aufzurufen, legitim. Der deutsche Wissenschaftler und Journalist ist u.a. Autor des Buches „Reggae in Deutschland“. Das oft vorgebrachte Argument, es handle sich bei Problemstellen um Metaphern, die die Hörerinnen und Hörer nicht für bare Münze nehmen dürfen, ist für ihn nur teilweise gültig: „Ja, es handelt sich um Bildersprache, aber nichtsdestotrotz, es geht um Worte“, so der Musik-Experte. Karnik erinnert daran, dass es in Jamaika auch tatsächlich zu Gewalt gegen Homosexuelle kommt. In Europa, befürchtet Karnik, könnte intolerante Musik durch den Zulauf bei rechten Parteien mehr Publikum bekommen als früher. „Treffen derartige Botschaften zunehmend auf ‚offene Ohren‘? Wir müssen in jedem Fall die Schwulen-Rechte stärken!“

Auch Michael Osayande alias „3gga“ sieht die Gefahr von aggressiven Lyrics darin, dass sie von manchen ernst genommen werden könnten. Der gebürtige Nigerianer und nunmehrige Wahlwiener macht seit 13 Jahren hier Musik, allem voran Reggae. Die Homophobie-Debatte bezeichnet er als die „größte Kontroverse in der Szene derzeit“. 3ggas Alben beinhalten keine homophoben Inhalte. „Mich geht das ganz einfach nichts an, welche sexuelle Neigung jemand hat“, erklärt er.

Zum Nachdenken brachte ihn ein Missgeschick: „In Nigeria bin ich mit problematischen Reggae-Texten aufgewachsen, aber wir haben nicht genau gewusst, was sie bedeuten“, so 3gga. „Als ich dann in meiner Anfangszeit in Wien einmal in einem Club zur Musik in ein Mikrofon gefreestylt habe, ist mir was mit ‚batty man’ rausgerutscht.“ Das Wort gehörte für ihn ganz einfach zum Slang. Ohne dass man ihm Bescheid sagte, kam ein Mitschnitt davon in Umlauf. „Als ich dann hörte, was da drauf war, erschrak ich. Ich wollte das nicht! Danach habe ich mir überlegt, wofür meine Texte stehen sollen.“

Von Konzert-Boykotts oder Verboten hält er nichts: „Damit machst du die Sache nur noch größer. Die Stars wissen, dass sie durch Provokation mehr Anhänger bekommen.“ Dialog wäre für ihn nach wie vor die beste Lösung: „Ich war vor Jahren auf einem Konzert von Sizzla, bei dem viele homophobe Lyrics vorkamen. Als er etwas später wieder nach Wien kam, war er einverstanden, darauf zu verzichten. Nach diesem Konzert dachte ich mir: ‚Es geht ja offenbar mit geänderten Texten, also why not?‘“

Einige Künstlerinnen und Künstler zeigen, dass Reggae ganz ohne Homophobie erfolgreich sein kann. In unseren Breitengraden etwa Mono & Nikitaman, Gentleman oder Nosliw. Dieser Umstand verändert etwas in der ganzen Szene, glaubt Olaf Karnik. Um aber im Reggae-Mutterland Jamaika einen Wandel einzuleiten, müsste sich dort nicht zuletzt die Politik bewegen: „Homosexualität wird in Jamaika noch offiziell bestraft. Da muss man sich nicht wundern, wenn unter Künstlern Homophobie Normalität ist“, sagt Karnik.

Auch Michael Osayande alias 3gga glaubt, dass man auf dieser Ebene ansetzen muss: „Homosexualität ist in Nigeria illegal, es wird totgeschwiegen.“ Würden die Gesetze verändert, könnte sich die Gesellschaft dem Thema ganz anders nähern. Und mit ihr die Musik.

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