Schreckgespenst Flüchtlinge

Von Herbert Langthaler · · 2004/06

Die vielen obdachlosen AsylwerberInnen sind auch einer Weisung des Innenministers zuzuschreiben, die den Bürgermeistern die letzte Entscheidung für die Unterbringung von Flüchtlingen aufbürdet. Eine Recherche im niederösterreichischen Puchenstuben zeigt, dass es auch anders gehen kann.

Kein Flüchtling soll mehr auf der Straße stehen, versprach Ernst Strasser den Hilfsorganisationen vor Weihnachten. Zu Ostern waren immer noch Tausende obdachlos. Obdachlose AsylwerberInnen stellten in den letzten zehn Jahren einen permanenten Skandal dar. Ab 1. Mai 2004 hat der Staat endlich die Verantwortung für die Versorgung von bedürftigen Fremden übernommen.
Vorbereitungen und Start für dieses von Bund und Ländern im Verhältnis 60 zu 40 finanzierten Grundsicherungs-Modell waren chaotisch. Schon im Herbst hatte der Innenminister die für die Bundesbetreuung zuständigen Beamten versetzt oder in Pension geschickt. Sobald feststand, dass die Länder ab 1. Mai 2004 die Flüchtlingsbetreuung übernehmen würden, weigerte sich Strasser, die Verantwortung für die u. a. durch eine EU-Richtlinie vorgeschriebene Aufnahme und Versorgung aller bedürftiger AsylwerberInnen zu übernehmen.
Die humanitären Nichtregierungsorganisationen (NGOs), die seit Jahren mehr oder weniger stillschweigend für die Versäumnisse des Staates eingesprungen waren, konnten die verzweifelten Menschen beim besten Willen nicht mehr unterbringen. Als vor Weihnachten die Situation eskalierte, ließ man sich auf einen Kompromiss ein, bei dem den NGOs bis zum 1. Mai zumindest 60 Prozent der Kosten für ihre Notquartiere bezahlt wurde.

Eine Verordnung des Innenministers, dass zur Unterbringung von Flüchtlingen in einer Gemeinde erst die Zustimmung des Bürgermeisters gegeben werden müsse, sorgte für eine zusätzliche Verschärfung der Situation. In mehreren Gemeinden (wie in Wöllersdorf im südlichen Niederösterreich) wurden Pläne, leer stehende Objekte mit AsylwerberInnen zu besiedeln, durch mehr oder weniger „spontane“ BürgerInnenproteste vereitelt. Auch Bürgermeister, die persönlich nichts gegen eine Flüchtlingspension im Ort gehabt hätten, fürchteten um ihre Wiederwahl und sagten ab.
Dass es auch anders geht, zeigte der Bürgermeister von Landeck in Tirol, Engelbert Stenico, der kurz vor den Gemeindewahlen seine Zustimmung für eine Flüchtlingsunterkunft gegeben hatte. Trotz einer aggressiven FPÖ-Kampagne mit dem Schreckgespenst Flüchtlinge gewann der Bürgermeister Stimmen und Mandate und wurde mit fast 70 Prozent wieder gewählt.

Besuch in Puchenstuben: Obwohl schon Anfang Mai, liegt im Gemeindegebiet unter den Bäumen noch Schnee. Lifte und Loipen im Winter, ein geheiztes Schwimmbad, Tennisplätze und ausgedehnte Wanderungen im Sommer und ein herrlicher Ausblick das ganze Jahr laden in der kleinen Fremdenverkehrsgemeinde Puchenstuben (303 EinwohnerInnen) im südwestlichen Niederösterreich zum Bleiben.
Das tun aber immer weniger TouristInnen. Sehr zum Leidwesen des Bürgermeisters Christian Kogler. Muss er doch nicht nur in seiner politischen Funktion um sinkende Steuereinnahmen, sondern auch um seine privaten Einkünfte als Pensionsbesitzer bangen. „Es geht leider immer mehr in Richtung Tagestourismus“, klagt Kogler. Das ist auch der Grund, warum immer wieder Pensionen in Puchenstuben in Schwierigkeiten geraten. Ein Betrieb mitten im Ort wurde in ein Pflegeheim umgewandelt. „Und hier waren während der Bosnien-Krise Flüchtlinge untergebracht“, zeigt Kogler auf eine andere Herberge. „Aber damals war das kein Thema, die sind einfach gekommen.“ Dank Innenminister Strasser ging es diesmal nicht ganz so reibungslos.
Kogler hatte schon vor seiner Entscheidung wichtige MultiplikatorInnen wie die Volksschuldirektorin und den Gemeindearzt eingebunden und die Bevölkerung gemeinsam mit Vertretern der Volkshilfe bei einer öffentlichen Veranstaltung informiert. „Natürlich sind da viele Bedenken gekommen, aber die konnten wir ausräumen. Erst die politische Ebene hat die Emotionen hochgehen lassen.“ Als Kogler unter bestimmten Auflagen der Umwandlung einer Pension in eine von der Volkshilfe Österreich geführte Flüchtlingsunterkunft zustimmte, reagierte die ÖVP-Fraktion im Gemeinderat mit einem Gegenantrag. Dieser wurde von Koglers SPÖ-Mehrheit abgelehnt, und die acht tschetschenischen Familien – insgesamt 45 Menschen , davon über 20 Kinder – konnten einziehen.
Seither kümmert sich der Bürgermeister persönlich um ein reibungsfreies Verhältnis zwischen Einheimischen und Flüchtlingen. Konflikte werden schon in einem Frühstadium aufgegriffen und gemeinsam gelöst. „Wir schauen halt, dass keine Mauer aufgebaut wird, dass die Flüchtlinge herauskommen, dass die Puchenstubner ins Haus hineingehen.“
Die Volksschule erfüllt bei der Integration der AsylwerberInnen eine zentrale Rolle. Zu den zwölf einheimischen Kindern sind jetzt 14 Flüchtlingskinder dazugekommen, eine zusätzliche Lehrkraft gibt es deswegen nicht. Vorerst geht es vor allem um den Spracherwerb. Die Kinder werden noch teilweise getrennt unterrichtet. Turnen, Zeichnen und Singen lernen sie allerdings gemeinsam.

Die Pension Alpenblick liegt etwas erhöht am Rand des Dorfes. Man sieht von hier weit ins Ötscherland. Wir werden von einer munteren Kinderschar empfangen, die uns stolz ihre Fahrräder präsentiert. Im ersten Stock ist eine Gruppe von Frauen in der Küche am Werken. Männer sind bis auf einen mit einer Fußverletzung keine zu sehen.
Es herrscht gute Stimmung. Claudia Nowak wohnt selbst in Puchenstuben. Sie ist eigentlich von der Volkshilfe als Administratorin für 20 Stunden angestellt, aber wenn es ein Problem gibt, ist sie fast immer zur Stelle. Das Verhältnis zur Bevölkerung beschreibt sie als sehr gut. „Natürlich gibt es welche, die sitzen in ihren Häusern und warten nur, dass was passiert, dass sie losschimpfen können.“
Aber sonst überwiegen bei weitem Interesse und Hilfsbereitschaft. Viele Kinder haben Fahrräder bekommen, Kleider, Fernseher und sogar Computer wurden gespendet. Gerade der Konflikt um die Einquartierung der Flüchtlinge scheint in Puchenstuben und Umgebung positive Energien freigesetzt zu haben. „Immer wieder fragen Leute, wie sie uns helfen können.“
Ein pensionierter Oberstudienrat mit Russischkenntnissen hält zweimal in der Woche einen Deutschkurs ab, ein grüner Abgeordneter aus dem nahen Scheibbs bringt den Flüchtlingen immer wieder Zeitungen aus der Heimat. Jetzt wird gerade versucht, die Satellitenschüssel am Haus in Betrieb zu setzen und gemeinsam begonnen, den Hausgarten zu bestellen.
Vor allem die Frauen haben so einen ausgefüllten und strukturierten Arbeitstag. Die Männer leiden am Arbeitsverbot für AsylwerberInnen – und Hausarbeit ist für sie tabu. Eine neue Bestimmung im Bundesbetreuungsgesetz, die zumindest gemeinnützige Arbeit in der Gemeinde zu ortsüblicher Entlohnung erlaubt, könnte da vielleicht Abhilfe schaffen.
Bei aller auch medial heftig verbreiteten Harmonie findet Anny Knapp von der asylkoordination Österreich doch eines problematisch: „Wenn wie hier in Puchenstuben Flüchtlinge nur unter der Auflage aufgenommen werden, dass sie in Familien und aus demselben Land kommen, frage ich mich, was mit den vielen allein stehenden Männern geschehen soll, die den Großteil der Flüchtlingsbevölkerung ausmachen.“

www.asyl.at

Der Autor ist Ethnologe und Publizist und langjähriger Mitarbeiter der „Asylkoordination“ in Wien.

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