Seilschaften der Straflosigkeit

Von Knut Henkel · · 2014/06

Guatemalas Justizsystem erlebt derzeit eine Rückentwicklung. So wurde die Richterin im Prozess gegen Ex-Diktator Ríos Montt unter fadenscheinigen Gründen abgesetzt. Eine ernüchternde Szenerie.

"Das Urteil des Ehrengerichts gegen Jasmín Barrios ist ein Skandal“, sagt Michael Mörth. „Es ist ein Schritt zur Untermauerung der Straflosigkeit in Guatemala und ein Attentat gegen die richterliche Unabhängigkeit.“ Der in Deutschland geborene Menschenrechtsanwalt kann seinen Unmut kaum verbergen. In den fast zwanzig Jahren seiner juristischen Tätigkeit in Guatemala hat er derartiges nicht erlebt. Barrios, eine der populärsten Richterinnen Guatemalas, ist Anfang April vom Ehrengericht des Kollegs der Anwälte und Notare Guatemalas (CANG) für ein Jahr vom Dienst suspendiert worden. Warum? Weil sie im Jahrhundertprozess gegen den Ex-Diktator Efraín Ríos Montt einem seiner Anwälte über den Mund gefahren war. Nichts Ungewöhnliches im Prozessalltag. Doch allem Anschein nach will das konservativ besetzte Ehrengericht ein Exempel an der international bekannten Richterin statuieren.

Barrios hat erst Anfang März in Washington eine Ehrung als „mutige Frau 2014“ von US-Präsidentengattin Michelle Obama entgegengenommen. Ausgezeichnet wurde sie, weil sie laut Laudatio „Tausenden von Ixil-Indios eine Stimme verliehen hat“, die während der Militärdiktatur von Efraín Ríos Montt systematisch verfolgt worden waren. Die ruhig und bestimmt auftretende Richterin war es, die den Jahrhundertprozess gegen den Ex-Diktator im April und Mai 2013 leitete und das Urteil gegen den 87-jährigen verkündete: 80 Jahre Haft wegen Völkermordes und Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Das Urteil war ein Meilenstein in der guatemaltekischen Rechtsgeschichte. „Mit dem Prozess klagten die Opfer ihr Recht auf Erinnerung ein, nehmen ihren Platz im historischen Gedächtnis Guatemalas ein und beenden eine Phase der kategorischen Leugnung historischer Fakten“, sagt Edgar Pérez. Er vertrat die Anklage in dem aufsehenerregenden Prozess und hat sein Büro genauso wie Kollege Michael Mörth in der Calle 1a von Guatemala Stadt. Dort, nur ein paar Steinwürfe von der zentralen Plaza de la Constitución und vom Park San Sebastían mit dem  Gedenkstein zu Ehren des ermordeten Bischofs Juan José Gerardi, befindet sich Guatemalas wichtigste Menschenrechtskanzlei. In dieser kämpfen Anwälte wie Pérez mit Unterstützung aus dem Ausland derzeit gegen eine beispiellose Rückentwicklung im Justizsektor.

Der Umgang mit Jasmín Barrios ist dafür nur ein Beispiel. Die Generalstaatsanwältin Claudia Paz y Paz, die noch Anfang Oktober 2013 als potenzielle Kandidatin für den Friedensnobelpreis gehandelt wurde, ein anderes. Ihr hat das Verfassungsgericht die Amtszeit um ein halbes Jahr beschnitten, von Dezember 2014 auf Mai 2014. Gleichwohl hat sich die in Spanien und Guatemala ausgebildete 47-jährige Kriminalexpertin zur Wiederwahl gestellt und kandidiert für eine weitere Amtszeit an der Spitze des Justizsystems.

Ihre Chancen stehen allerdings nicht allzu gut, denn obwohl ihre Erfolge für sich sprechen, gilt Präsident Otto Pérez Molina nicht gerade als Freund der energischen Frau. Sie hat es laut Berechnungen der UN-Kommission gegen Straflosigkeit in Guatemala geschafft, binnen vier Jahren die Quote der Straflosigkeit im Land von 97 Prozent im Dezember 2010 auf heute rund 70 Prozent zu senken. Verantwortlich dafür sind effektivere Strukturen im Justizsystem und der Mut, jede Straftat und jeden Straftäter auch zu verfolgen.

Korrupte PolizistInnen, einflussreiche Drogenbarone, aber auch Politiker landeten reihenweise auf der Anklagebank, was ihr international viel Respekt und zahlreiche Auszeichnungen einbrachte. Doch politischen Rückhalt hat ihr die effektive Arbeit nicht gebracht. Derzeit analysieren die Kommissionen, bestehend aus Delegierten der juristischen Fakultäten, VertreterInnen von Anwaltskammern und juristischen Organisationen, die Bewerbungen zahlreicher KandidatInnen. Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass Claudia Paz y Paz auf der sechsköpfigen Nominierungsliste landen wird. Warum?

„Weil die Seilschaften der Straflosigkeit sich stark machen und eine Aufarbeitung der Vergangenheit verhindern wollen“, so Michael Mörth. Auch der Präsident selbst, Ex-General Otto Pérez Molina, der in Quiché, in jenem Provinz im Einsatz war, wo besonders viele Massaker verübt wurden, hat wenig Interesse an einer starken Generalstaatsanwältin. Schließlich war nicht nur die Armee involviert in den schmutzigen Krieg gegen indigene Völker und die Guerilla, sondern auch viele einflussreiche Familien. Landgüter wurden als Armeestützpunkte zur Verfügung gestellt, Privatflugzeuge für Bombardements, wie Berichte und Zeugenaussagen belegen, die den Anwälten Edgar Pérez und Michael Mörth vorliegen. Handfeste Gründe, weshalb das Urteil gegen Efraín Ríos Montt vom Verfassungsgericht zehn Tage nach dessen Verkündigung (offiziell wegen juristischer Verfahrensfehler) wieder aufgehoben wurde, so Mörth. Das Verfassungsgericht sei von der Politik und dem einflussreichen Unternehmerverband CACIF unter Druck gesetzt worden und eingeknickt.

Das ist auch auf die fehlende Unabhängigkeit der Justiz zurückzuführen. Experten wie Iván Velásquez von der UN-Kommission gegen die Straflosigkeit in Guatemala (CICIG) monieren, dass es in Guatemala keine Richterkarriere gibt. „Wichtig ist es, dass die guten Richter im Amt bleiben. Wir brauchen mehr Kontinuität und mehr Professionalität und das derzeitige Verfahren ist nicht optimal. Es läuft der Unabhängigkeit der Justiz zuwider“, so der Kolumbianer, der im Oktober 2013 den Vorsitz der Kommission übernommen hat.

Velásquez mahnt zu Reformen, will den steinigen Weg zur Justiz ebnen und sie vor allem unabhängiger machen. Dem steht das derzeitige Verfahren in Guatemala im Weg, nach dem die Generalstaatsanwältin oder der Generalstaatsanwalt vom Präsidenten aus einer Kandidatenliste ernannt wird und es ein Wahlverfahren für die höchsten RichterInnen gibt. Sie werden alle paar Jahre von Kommissionen gewählt, die von juristischen Fakultäten und Berufsverbänden beschickt werden. Ein umstrittenes Prozedere, das laut Velásquez zahlreiche Möglichkeiten der Einflussnahme bietet.

So gibt es Universitäten, die allein deshalb eine juristische Fakultät unterhalten, um bei der Vergabe der Richterstellen ein Wörtchen mitreden zu können, bestätigt Rolando Alvarado. Er ist Rektor der Universität Rafael Landívar. Die von Jesuiten gegründete Universität gehört zu den angesehenen Bildungseinrichtungen des Landes. Auch Claudia Paz y Paz spazierte über den Campus in der 16. Zone von Guatemala-Stadt. Dort wird der juristische Nachwuchs frühzeitig in die Pflicht genommen und für ein halbes Jahr aufs Land geschickt, um denen zu helfen, die normalerweise keinen Zugang zur Justiz haben. Bufete popular, so viel wie Volkskanzlei, heißen die Kanzleien im Volksmund, die unentgeltlich diejenigen vertreten, die sich einen Anwalt nicht leisten können, aber einen Konflikt zu lösen haben.

„Sei es um das Sorgerecht, um Alimente, Land oder nach intrafamiliärer Gewalt“, erklärt Anna María Córdova. Sie ist angehende Juristin, arbeitet derzeit in Santiago Atitlán, einer Provinzstadt am von Vulkanen eingefassten Atitlán-See, am Centro de Administración de Justicia, kurz Caj, wie die Kanzlei formell heißt. Hier kommt die junge Frau mit einer ganz anderen Realität als an der Universität in Guatemala-Stadt in Kontakt und genau das ist Ziel der Volkskanzleien. „Der juristische Nachwuchs soll lernen, unter welchen Bedingungen das Gros der Bevölkerung lebt und welche Probleme dort relevant sind“, erklärt Rektor Rolando Alvarado. Soziale Verantwortung, Solidarität mit jenen, die nicht auf der Sonnenseite der guatemaltekischen Gesellschaft stehen, will der Jesuit den StudentInnen vermitteln.

Ein durchaus erfolgreiches Modell, hört man den Studierenden wie Anna María Córdova zu: „Für die armen Leute ist das Bufete der einzige Zugang zur Justiz. Viele Straftaten in Guatemala werden erst gar nicht angezeigt. Eine Kultur der Straflosigkeit ist weit verbreitet“, schildert die angehende Anwältin ihre Erfahrungen.

Vertrauen in das Justizsystem ist selten und dazu tragen Fälle wie jener von Efrain Ríos Montt oder die temporäre Suspendierung von Jasmín Barrios bei. Sie hat gegen ihre Suspendierung geklagt. Nun müssen die Gerichte entscheiden, ob ein Ehrengericht befugt ist, eine verdiente Richterin zu suspendieren. In jedem Fall ein Prozess mit Folgen. 

Der Autor ist Politikwissenschaftler und freiberuflicher Journalist mit Schwerpunkt Entwicklungspolitik.

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