Sich hinlegen und sterben

Von Christine Kohlmayr · · 2010/03

Adalet Ağaoğlu

Roman. Aus dem Türkischen von Ingrid Iren. Unionsverlag, Zürich 2009, 509 Seiten, € 22,90

Die Türkische Bibliothek des Unionsverlags präsentiert in zwanzig Bänden die Meilensteine der türkischen Literatur von 1900 bis in die Gegenwart. Dazu zählt Adalet Ağaoğlu, eine der bedeutendsten Erzählerinnen der zeitgenössischen türkischen Literatur. „Sich hinlegen und sterben“ ist ihr erster, stark autobiographischer Roman aus dem Jahr 1973.

Die Autorin war Teil der ersten Generation der Töchter der Republik und konnte trotz traditioneller Erziehung ihr nun staatliches Recht auf Bildung durchsetzen. Adalet Ag˘aog˘lu wurde in ihrer Jugend im Sinne der offiziellen Ideologie gedrillt. Mit Aussprüchen von Atatürk wurde ihr eingetrichtert, sich dem Westen zu öffnen, sich zivilisiert zu benehmen und stolze Türkin zu sein. Danach zu handeln, galt als ihre vaterländische Pflicht. Ihre Jugend war geprägt von Spannungen zwischen den alten Moralvorstellungen der Elterngeneration und dem westlich orientierten Kemalismus.

Die Hauptprotagonistin, Aysel, legt sich mit vierzig Jahren in einem Hotelzimmer in Ankara zum Sterben hin. Ihre Intention gleicht der von Anna Karenina und Madame Bovary. Nur – wird sie auch wirklich sterben? In diesem Zimmer lässt sie langsam die letzten dreißig Jahre ihres Lebens Revue passieren und erkennt, dass sie nicht sterben kann, weil „sterben erfordert zu wissen, dass man gelebt hat“. Am Ende ihrer Bilanz fühlt sie sich, als hätte sie „einen Blumentopf gesprengt“ und könne sich nun langsam in der Erde ausbreiten. Mit diesem Gefühl trennt sie sich zugleich von dem Gedanken, ein nützliches Kind für das Vaterland sein zu müssen. Denn, so fragt sie sich, soll man sein Volk und Vaterland mehr lieben als sich selbst? Sie erkennt: „Lieben heißt wissen. Was ich am besten gelernt habe, ist, ‚Leitsprüche herzusagen‘.“ Und diese Erkenntnis verhilft ihr zum Weiterleben.

Die Struktur des Romans erhält zusätzlich eine interessante Prägung durch die Verflechtung von Vergangenheit und Gegenwart. Ein wunderbarer Roman für fortgeschrittene LeserInnen.

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