Signal für Pluralismus

Von Redaktion · · 2012/04

Trotz Einschüchterung durch Polizei und Radikalislamisten formiert sich in Indonesien eine zivilgesellschaftliche Bewegung gegen Gewalt im Namen der Religion. Aus Jakarta berichtet Anett Keller.

Seit über einem Jahrzehnt terrorisiert die „Front der Verteidiger des Islam“ (FPI) Minderheiten in Indonesien. Genug ist genug, dachten sich Anfang Februar Hunderte von Demonstrierenden in Palangkaraya, der Hauptstadt Zentralkalimantans. Die Menschen, mehrheitlich indigene Dayak, setzten ein eindrucksvolles Zeichen zivilgesellschaftlicher Entschlossenheit: Durch die Besetzung des Flughafens hinderten sie führende Kader der FPI, die zur Eröffnungszeremonie ihres Regionalbüros anreisen wollten, an der Landung. Lucas Tingkes, Vize-Vorsitzender des „Rates der Dayak“ erklärte, seine Organisation setze sich für ein Verbot der FPI ein, weil diese Unruhe unter verschiedenen Gemeinschaften schüre. Seine Provinz sei hingegen bekannt für religiöse Harmonie, so Tingkes.

Die FPI operiert in Indonesien seit 1998, ihr werden enge Verbindung zu den Sicherheitskräften nachgesagt. Auf ihr Konto gehen zahlreiche Gewalttaten. Ihre überwiegend männlichen, meist in weiße Kleider gehüllten und martialisch auftretenden Anhänger haben es auf alle abgesehen, die sie als „unislamisch“ brandmarken.

Indonesien – ein gern genanntes Beispiel für religiösen Pluralismus in einer mehrheitlich muslimischen Gesellschaft – hat in den letzten Jahren eine Zunahme der Politisierung von Religion und von religiös motivierter Gewalt erfahren. Dass Mitglieder der FPI immer wieder Gewalt ausüben oder dazu aufrufen, ist ein ebenso wiederkehrendes Muster wie die vergleichsweise milden Strafen, zu denen sie danach verurteilt werden, wenn sie überhaupt vor Gericht gestellt werden.

So attackierten beispielsweise im Juni 2008 militante Muslime die TeilnehmerInnen einer friedlichen Demonstration für religiösen Pluralismus. Mehr als 60 Personen wurden verletzt. Zwar wurden der Sprecher der FPI, Munarman, und der Vorsitzende, Habib Rizieq Shihab, wegen der Gewalt zu eineinhalb Jahren Haft verurteilt – nach einem Jahr waren die beiden jedoch wieder auf freiem Fuß.

Kurz nach dem Sonntagsgottesdienst wurde im September 2010 Hasian Lumbantoruan Sihombing, ein führender Vertreter der Batak Christian Protestant Church (HKBP), in der Großstadt Bekasi östlich von Jakarta niedergestochen. Eine Pastorin, die ihm zu Hilfe eilen wollte, wurde von den Angreifern mit Stöcken geschlagen. Der Pastor selbst musste auf der Intensivstation behandelt werden. 13 Gewalttäter, unter ihnen der lokale FPI-Führer Murhali Barda, wurden zu Haftstrafen zwischen drei und siebeneinhalb Monaten verurteilt.

Auch im Februar 2011, als im westjavanischen Cikeusik rund 1.500 Islamisten die lokale Ahmadiyah-Gemeinde – eine pazifistische muslimische Reformbewegung – angriffen und drei ihrer Vertreter brutal ermordeten, spielte die FPI eine führende Rolle. Deden Darmawan Sudjana, ein Ahmadi, der versuchte, sich und seine Gemeinde zu verteidigen und dabei schwer verletzt wurde, wurde ebenfalls verurteilt. „Ungerechtigkeit für alle“, titelte damals die Jakarta Post. Nach Meinung von Elaine Pearso von Human Rights Watch zeigten die Urteile, „dass die Ahmadiya nicht nur von islamischen militanten Mobs eine gewalttätige Diskriminierung erfährt, sondern auch von der indonesischen Justiz“.

„Der Staat schützt seine Bürger nicht“, klagt auch Elga Sarapung, Leiterin der NGO Dian Interfidei, die sich seit 20 Jahren für überkonfessionellen Dialog einsetzt. „Er setzt gewaltbereiten Fundamentalisten nichts entgegen.“ Nachdem die FPI nun aus Kalimantan eine klare zivilgesellschaftliche Abfuhr bekam, appellierte Präsident Susilo Bambang Yudhoyono an die Organisation, sie solle sich doch fragen, warum sie von der Bevölkerung derart abgelehnt werde – an entschiedenen Worten gegen Gewalt lässt es das Staatsoberhaupt allerdings fehlen.

Während lange der Eindruck vorherrschte, die FPI sei angesichts einer schweigenden Mehrheit mächtiger als ihre zahlenmäßige Stärke vermuten lässt, formiert sich nun mehr und mehr Protest in Indonesiens Zivilgesellschaft. Die Aktion in Kalimantan inspirierte Gleichgesinnte in der Hauptstadt Jakarta, wo wenige Tage später ebenfalls Proteste gegen die FPI stattfanden. Schilder mit dem Slogan „Indonesien ohne FPI“ und einer Friedenstaube wurden hochgehalten.

Unter den Demonstrierenden war auch der bekannte Regisseur Hanung Bramantyo, gegen dessen Film „?“, einem Plädoyer für Pluralismus, die FPI im vergangenen Jahr mobil gemacht hatte. In „?“ hatte der Regisseur brisante Themen angepackt. Gleich am Anfang wird ein Pfarrer niedergestochen, eine der Protagonistinnen lässt sich von ihrem polygamen Ehemann scheiden und konvertiert vom Islam zum Katholizismus. Eine muslimische Kellnerin arbeitet – und das auch noch gern – in einem chinesischen Restaurant und erklärt den Gästen geduldig, dass Schweinefleisch streng getrennt von Huhn und Rind in der Küche verarbeitet wird. Und ihr – ebenfalls muslimischer – Mann opfert sein Leben, um eine Kirche vor einem Bombenanschlag zu retten.

Der Film trieb die Menschen scharenweise in die Kinos. In den Augen radikaler Islamisten stellte er hingegen eine große Gefahr dar. In der Großstadt Bandung wurde der Film auf Anordnung der Lokalregierung nach Protesten der FPI aus den Kinos genommen. Auch der private Fernsehsender SCTV beugte sich dem Druck der FPI und nahm den bereits für die Ausstrahlung eingeplanten Film wieder aus dem Programm. Bramantyo nahm nun öffentlich Stellung: Es sei ihm wichtig, auf friedlichem Wege gegen Intoleranz zu protestieren. „Den Islam zu verteidigen, ist eine gute Sache“, so der Regisseur unter Verweis auf den Namen der FPI. „Aber wenn das mit Hilfe von Drohungen passiert, wird daraus eine schlechte Sache.“

Dass die Zahl der HauptstadtaktivistInnen bei einer Demonstration in Jakarta mit mehreren Hundert deutlich unter den zuvor in sozialen Netzwerken geschürten Erwartungen lag, könnte mit Einschüchterungsversuchen sowohl von FPI als auch der Polizei zusammenhängen. Wie die Tageszeitung Jakarta Globe berichtete, hatte die FPI vorab erklärt, zwar keine eigenen Kader vor Ort zu haben, aber „ein paar Sympathisanten, die die Lage erkunden wollen“. Von der Polizei mussten sich die Organisatoren anhören, dass diese nicht verantwortlich dafür sei, wenn die FPI käme und dann etwas passieren würde. Tatsächlich griffen die Beamten nicht ein, als mehrere Männer den DemonstrantInnen Banner entrissen, einzelne Protestierende zu Boden warfen und prügelten. Dass es nicht zu schwereren Ausschreitungen kam, war der Besonnenheit der Demonstrierenden zu verdanken und nicht den Dutzenden Polizisten vor Ort.

Trotz dieses Klimas der Gewalt kündigte Tunggal Pawestri, Aktivistin der „Bewegung für ein FPI-freies Indonesien“, mehr Proteste gegen die FPI und die Politisierung von Religion für die kommenden Wochen an. Die Aktion in Kalimantan sende „eine klare Botschaft, dass Intoleranz im Namen der Religion und die Art ‚Moral‘, wie die FPI sie propagiert, keine Option für Indonesiens pluralistische Gesellschaft sind“, so Ismail Hasani vom Setara Institut für Demokratie und Frieden in Jakarta.

Wie so oft beim Mobilisieren von sozialen Bewegungen wird die Diskussion um die FPI auch via Facebook und Twitter weiter geführt. Eine Facebook-Unterstützer-Gruppe gegen die Präsenz der FPI in Kalimantan sammelte im Februar 6.000 UnterstützerInnen.

Innenminister Gamawan Fauzi reagierte auf den öffentlichen Druck, indem er ein Gesetz aus der Suharto-Zeit dafür verantwortlich machte, dass der Staat gewalttätige Gruppen nicht verbieten könne. Dessen Bestimmungen, so der Minister, seien „zu kompliziert, zu zeitaufwendig und zu wenig effizient”.

Eine von Fauzi und weiteren Politikern angeregte Revision des Gesetzes sehen MenschenrechtlerInnen jedoch mit gemischten Gefühlen, da sie eine Rückkehr zu staatlicher Willkür wie in Diktaturzeiten befürchten. Die bestehende Rechtslage reiche aus, um Islamisten rechtskräftig zu verurteilen, so Andreas Harsono von Human Rights Watch. Polizei und Staatsanwaltschaft müssten „deren Verstrickung in Gewalttaten, zum Beispiel bei Angriffen auf die Ahmadiyah-Gemeinde, nur endlich richtig untersuchen“.

Beispiel einer gewalttätigen FPI-Reaktion gegen eine Demonstration in Jakarta für religiöse Toleranz: www.engagemedia.org/Members/Rikky/videos/indonesiatanpaFPI/view

Anett Keller hat in Leipzig und Yogyakarta Journalismus, Politikwissenschaft und Indonesisch studiert und lebt als freie Journalistin in Indonesien.

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