Sprechen Sie Afrikanisch?

Von Christian Gratzer · · 1999/03

„Hilfe, Polizei!“ bedeutet nicht immer, daß sich jemand hilfesuchend an die Ordnungshüter wendet. Tausende hier lebender und teilweise eingebürgerter Afrikaner und Afrikanerinnen können ein gar nicht schönes Lied davon singen, was das Stigma schwarzer Hau

Gips an Armen und Beinen, innere Blutungen in Ellenbogen und Knien, Gehirnerschütterung, blutunterlaufener Penis, neun Tage Krankenhausaufenthalt: So endete im November des vergangenen Jahres für den österreichischen Betriebswirt Dr. C. eine Begegnung mit vier Wiener Polizisten, nachdem er zuvor mit seinem Wagen einige Meter gegen die Einbahn gefahren war.

C. ist Afro-Österreicher, für die amtshandelnden Polizisten hingegen ein „Nigger“ und die seien, so glauben sie zu wissen, „alle Drogendealer“. Deshalb mußten sie ihn „lahm“ machen. Erst als er über Herzbeschwerden klagte, wurde er ins Spital gebracht. Der diensthabende Primarius stellte „deutliche Mißhandlungsspuren“ fest. Noch heute klagt Dr. C. über Schmerzen und ist in medizinischer Behandlung. Sein Knie wird dauerhafte Schäden behalten

Die Zahl rassistischer Polizeiübergriffe hat in den letzten Monaten alarmierend zugenommen. In immer kürzeren Abständen berichten Medien über prügelnde Polizisten. Die Wiener Anti-Rassismus-Hotline (Tel: 01/ 17 600 17) verzeichnete allein im Zeitraum von Oktober 1997 bis vergangenen Dezember 55 Anrufe wegen Polizeiübergriffen – meist wurde den Opfern ihre Hautfarbe zum Verhängnis.

Ein Diplomat, der einen Fruchtsaft trinkt, wird aufgrund „verdächtiger Schluckbewegungen“ von Polizisten niedergeschlagen. Ein Mann überquert eine Straße und wird von Polizisten festgenommen. „Weil er der einzige Schwarze war“, wird später eine Beamtin erklären. Davor wird er am „Tatort“ noch geschlagen und rassistisch beschimpft, weil er der Aufforderung „Gib die Drogen her!“ nicht Folge leistet – er hat keine.

„Hilfe, Polizei!“ bedeutet nicht immer, daß jemand nach der Polizei ruft.

Kilian Okanwikpo, Generalsekretär der Vereinigung für Demokratie in Afrika (ADA), organisiert gemeinsam mit der Volkshilfe seit zwei Jahren Schulungs- und Seminarprogramme für die Wiener Exekutive. Ziel ist es, durch einen Dialog zwischen Exekutive und AfrikanerInnen vorhandene Vorurteile abzubauen. Bei den TeilnehmerInnen der bisherigen Programme konnte erreicht werden, daß „sich das Verhältnis entspannt“. Zu tun gibt es aber noch viel, wie nicht nur die gewaltsamen Übergriffe beweisen.

Bis vor einem Jahr führten österreichische Sicherheitskräfte in ihren Ermittlungscomputern SchwarzafrikanerInnen als „Neger“ und „Mischlinge“. Bezeichnungen, die zwar mittlerweile aus den Computern verschwunden sind, aber von etlichen Beamten gegenüber AfrikanerInnen nach wie vor verwendet werden.

„Wer nicht weiß ist, wird in diesem Land diskriminiert“, kritisiert Araba Evelyn Johnston-Arthur, die Vorsitzende von Pamoja (Bewegung der jungen afrikanischen Diaspora in Österreich). Deutlich wird dies unter anderem bei Stellen- und Wohnungsinseraten mit dem Beisatz „nur (für) Inländer“.

Eine 23jährige Afro-Österreicherin mußte diese Erfahrung vergangenes Jahr in Graz machen. Sie bewarb sich als Verkäuferin bei der Großbäckerei Auer. Ihr Vorstellungsgespräch dauerte aber nur einige Sekunden: „Menschen afrikanischer Herkunft werden nicht eingestellt, egal welche Staatsbürgerschaft sie jetzt haben“, teilte ihr eine Mitarbeiterin mit. Laut Geschäftsführung handelte es sich dabei lediglich um ein Mißverständnis – das aber auf großes Verständnis etlicher Kunden stieß: Sie teilten in Leserbriefen mit, daß sie dort kein Brot mehr gekauft hätten, wenn sie von einer schwarzen Verkäuferin bedient worden wären.Diskriminierungen aufgrund ihrer Hautfarbe erleben AfrikanerInnen fast täglich: auf der Straße, mit Nachbarn, am Arbeitsplatz, in der Schule oder in Lokalen. Letzgenannter Bereich machte 1998 den Großteil der mehr als 2.500 Anrufe bei der Anti-Rassismus-Hotline aus. Noch immer gibt es Lokale, die Schwarzen den Zutritt verwehren.

In einer Disco im Norden von Graz geben die Türsteher gleich zu verstehen, daß sie keine „Neger“ reinlassen. Ein rassistisches Vergehen, das klagbar ist, wie in der vor kurzem von Pamoja und Helping Hands herausgegebenen Broschüre „Know your rights“ nachzulesen ist.

Jedoch ist man auch vor Gericht nicht vor bösen Überraschungen gefeit. So sorgte erst im vergangenen Herbst eine Richterin für Empörung, als sie in einer Verhandlung Afrikaner als „Bimbo“ und „Neger“ bezeichnete. Konsequenzen hatte diese rassistische Entgleisung keine. Justizminister Michalek verteidigte in seiner Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage der Grünen die Richterin: „Die Verwendung dieser Formulierungen diente nur der Wahrheitsfindung und hatte keinen rassistischen Hintergrund.“

Ein großes Problem bereitet den AfrikanerInnen die derzeitige Fremdengesetzgebung. Der somalische Flüchtling Sharif Ahmed ist an diesen Gesetzen verzweifelt. Von der Abschiebung bedroht, erhängte er sich im März des vergangenen Jahres am Platz der Menschenrechte in Graz. Von vielen Betroffenen wird diese Gesetzgebung als „pervers und kontraproduktiv“ betrachtet, berichtet Ditutu Bukasa vom Forschungsinstitut für afrikanische Perspektiven. Immer wieder sind Beratungsstellen damit konfrontiert, daß AfrikanerInnen, die seit Jahren in Österreich leben, plötzlich von der Ausweisung bedroht sind.

Aufgrund dieser Erfahrungen verwundert es wenig, daß sich viele der rund 10.000 in Österreich lebenden SchwarzafrikanerInnen hier nicht wohl fühlen. Eine vom Wiener Integrationsfonds durchgeführte Umfrage bei 100 Afrikanerinnen ergab, daß sich zwei Drittel der befragten Frauen nur mangelhaft oder überhaupt nicht integriert fühlen.

Bei einem von den Grünen Mitte Jänner im Parlament veranstalteten Hearing machten VertreterInnen von afrikanischen Organisationen etliche Vorschläge zur Verbesserung der Situation der AfrikanerInnen in Österreich. So sollten Maßnahmen, die den Dialog zwischen den Bevölkerungsgruppen verbessern, gefördert werden.

Wie notwendig dies wäre, zeigt die Studie des Wissenschafters Erwin Ebermann, Universitätslektor am Institut für Afrikanistik in Wien. Während niemand der Befragten ein Problem hätte, seine Wohnung an Italiener oder Amerikaner zu vermieten, werden Schwarzafrikaner als Mieter von einem Fünftel abgelehnt. Ein Drittel würde sie nicht für hochqualifizierte Arbeiten nehmen.

Die Sozialwissenschaftlerin Hilde Weiss führte im vergangenen Herbst eine österreichweite Rassismus-Studie durch. Nur sieben Prozent der 2.000 befragten Personen finden Afrikaner sympathisch, berichtet sie dem SÜDWIND-Magazin.

„Gerade in Kindergärten und Schulen wären Begegnungen mit Afrikanerinnen und Afrikanern wichtig, um das Entstehen von Vorurteilen von vornherein zu verhindern“, ist sich Okanwikpo sicher. Zur Zeit werden aber in der Schule nur allzuoft rassistische Vorurteile angelernt, wird von Pamoja kritisiert. In einem Musikbuch ist zum Beispiel folgende „Weisheit“ nachzulesen: „Im Gegensatz zu Weißen kennt die Religion der Neger keine gottesfürchtige Anbetung“.

Ein großes Hindernis für viele AfrikanerInnen ist der beschränkte Zugang zum Arbeitsmarkt. So ist es Studierenden überhaupt verboten, zu arbeiten. Auch dadurch wird ein Dialog zwischen Angehörigen der afrikanischen Community und der österreichischen Mehrheitsbevölkerung erschwert. „Warum sind Afro-Österreicher nicht im österreichischen Staatsdienst zu finden, obwohl viele für verschiedenste Beamtenaufgaben qualifiziert wären“, fragt sich Okanwikpo. Staat und Länder könnten in diesem Bereich integrationsfördernde Akzente setzen.

Auch durch den mangelnden Dialog weiß die österreichische Bevölkerung wenig über Afrika und die hier lebenden AfrikanerInnen. Die eigene Unwissenheit wird oft damit kompensiert, den anderen Dummheit zu unterstellen. „Menschen mit weißer Hautfarbe sind begabter“, meint jeder fünfte Österreicher laut der Rassismus-Studie der Soziologin Weiss. Vor vier Jahren durfte sich ein damals noch angesehener Journalist wochenlang über den „niedrigeren IQ der Schwarzen“ auslassen – in einer Qualitätszeitung wohlgemerkt. Ob solcher Behauptungen könnte es einem die Sprache verschlagen. Nicht den in Österreich lebenden AfrikanerInnen, wie die Studie von Ebermann zeigt: Denn diese sprechen im Durchschnitt fünf verschiedene Sprachen.

„Nur sieben“ beherrscht nach eigenen Angaben die Soziologiestudentin Beatrice Achaleke, die vor vier Jahren aus Kamerun nach Österreich kam. Das „nur“ ist angesichts der mehr als 200 verschiedenen Sprachen, die am afrikanischen Kontinent gesprochen werden, ernst gemeint. Lachen muß sie, wenn wißbegierige ÖsterreicherInnen sie ganz ernst fragen: „Sprechen Sie Afrikanisch?“

Der Autor ist Politikwissenschaftler und lebt in Wien.

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