Teufelsgruß und Jungfrau Maria

Von Redaktion · · 2017/10

Mittelamerika wird von Maras, mafiösen Jugend-Gangs, beherrscht. Welche Rolle Tattoos im Banden-Krieg spielen, berichtet Klaus Brunner aus San Salvador.

Sie stechen ins Auge, die Fotos der Maras. Zigtausende Jugendliche haben sich, ihr Leben und ihre Haut, den Gangs in Mittelamerika und Mexiko verschrieben.

Tätowierte Tränen unter den Augen stehen für begangene Morde oder gefallene Kameraden, meist Männer. Die Zahlen 13 und 18 sind der in Mittelamerika aktiven „Mara Salvatrucha 13“ bzw. der Bande „Barrio 18“ zuzuordnen, „La Vida loca“ steht für das verrückte Leben als Verbrecher. Die Haut der Mitglieder der Mara Salvatrucha ziert meist eine Hand mit Teufelsgruß und satanische Symbolik. In ihr Weltbild passen auch betende Hände und ein Rosenkranz.

Barrio 18 wiederum verweist mit dem in Mexiko hochverehrten Bildnis der Jungfrau von Guadalupe auf die Herkunft der Bande. Spinnennetze stehen für die Isolation im Gefängnis, Billardkugeln symbolisieren das Spiel des Lebens und Ortsnamen repräsentieren regionale Untergruppen, die so genannten Clicas. Es ist eine Wissenschaft, das System aus Zahlen, Symbolen, Maya-Schriftzeichen und englisch-spanischen Wortmischungen zu entziffern. Jorge Peña (Namen aus Sicherheitsgründen geändert) ist Kryptologe und bei den salvadorianischen Sicherheitskräften für die Entschlüsselung von Mara-Symbolik zuständig.

Anfänge in Los Angeles. Peñas Beruf ist relativ neu, aber er hat eine lange Vorgeschichte. In den 1980er Jahren waren auf der Flucht vor den Bürgerkriegen in Mittelamerika zehntausende Menschen nach Los Angeles emigriert. Dort waren sie wenig willkommen und Diskriminierung ausgesetzt. Als Reaktion gründeten salvadorianische Jugendliche die Mara Salvatrucha 13 (MS13). „Mara“ bedeutet Freundeskreis im salvadorianischen Dialekt, „Salva“ steht einer häufigen Interpretation zufolge für salvadorianisch und „trucha“ ist ein Slangwort für schlau bzw. wachsam. Dreizehn wird dem Buchstaben M im Alphabet zugeordnet. Platzhirsch in den Latino-Vierteln war zu diesem Zeitpunkt die „18th Street Gang“. Schnell entdeckte auch die MS13 Drogenhandel, Raub und Schutzgelderpressung als einträgliche Geschäftsfelder. Viele der jungen Mareros aus El Salvador waren im Krieg aufgewachsen und kannten keine Skrupel. Sie hoben das Gewaltniveau in Los Angeles auf ein bis dahin unbekanntes Level. Neben den afroamerikanischen Gangs wurde die 18th Street Gang – auch Barrio 18 genannt – als Hauptfeind auserkoren.

Markierte Rückkehrer. Kahlrasierte Köpfe, „Baggy Pants“ und Tätowierungen, oftmals auch im Gesicht: Für InsiderInnen waren Banden-Zugehörigkeit, Status und Verdienste für die Gruppe auf den ersten Blick erkennbar; auch im Gefängnis, wo viele landeten.

Nach Ende des Bürgerkriegs in El Salvador 1991 begann die US-Regierung bis zu vierzigtausend straffällig gewordene MigrantInnen nach Absitzen der Haft in ihre Herkunftsländer abzuschieben. Dort wurden sie nicht einmal registriert. „Wir konnten damals nicht damit umgehen. Auch die Tattoo-Sache verstanden wir nicht, so etwas hatte es zuvor nie gegeben“, erzählt Jorge Peña über die Anfänge seiner heutigen Tätigkeit.

Mit ihren tätowierten Gesichtern, ihren Erfahrungen in US-Gefängnissen und ihrer markanten Sprache, dem Spanglish, einer Mischung aus Spanisch und Englisch, wurden die zurückgekommenen Maras bei den kleinkriminellen, noch relativ harmlosen Jugendbanden in San Salvador bewundert. Die Rückkehrer, vorwiegend Männer, übernahmen die bestehenden Gangs kurzerhand. Ende der 1990er Jahre entstanden Ableger von MS13 und Barrio 18 auch in Honduras und Guatemala. Sie sind Todfeinde und liefern sich blutige Kämpfe um die territoriale Vorherrschaft. Ihren Lebensunterhalt verdienen sie sich vor allem mit mafiösen Geschäften. Kaum ein Betrieb – vom Restaurant bis zum Gemüsestand – der nicht Schutzgeld abliefern muss. Bleibt die Zahlung aus, gibt es Tote.

Die harte Hand der Regierung. 2003 begann die salvadorianische Regierung eine Politik der harten Hand. Diese erlaubte es den Sicherheitskräften, Verdächtige z.B. wegen einer Tätowierung zu verhaften. Tausende Jugendliche wurden auf Grund ihres Aussehens oder ihrer Wohnadresse eingesperrt. Die Gewalt war damit allerdings nicht zu stoppen. Arme Wohnviertel wurden noch weiter marginalisiert und die Banden bekamen noch mehr Zulauf. Die Behörden sprechen derzeit von fast 200.000 Bandenmitgliedern und Personen in deren Umfeld. In den völlig überfüllten Gefängnissen rückten die bis dahin eher lose verbundenen Clicas noch enger zusammen.

Als Reaktion auf die Politik der harten Hand hörten die Gangs auf, sich großflächig zu tätowieren. „Den klassischen Homeboy mit einer riesigen 13 oder 18 im Gesicht gibt es schon noch, aber das sind eher jene, die für Jahrzehnte im Gefängnis sitzen“, erklärt Saúl Hernandez, der Vizedirektor des Geheimdienstes von El Salvador. „Die Medien greifen dieses Bild weiterhin gerne auf, doch es verschwindet immer mehr.“ Dreißigtausend Mareros sitzen in salvadorianischen Gefängnissen ein. Sie sind streng nach Bandenzugehörigkeit getrennt, um noch mehr Tote zu verhindern. Dennoch werden von der Zelle aus Morde befohlen und die Geschäfte draußen koordiniert. Trotz Verboten wird in den Gefängnissen auch mit offenbar eingeschleustem Profi-Equipment tätowiert. Dass das möglich ist, zeigt wie stark die Vorherrschaft der Maras auch hinter Gittern ist.

Versteckt und verschlüsselt. Ihre Kollegen in Freiheit sind dazu übergangen, das illegal erwirtschaftete Geld in Restaurants, Transportunternehmen oder den Großhandel zu investieren. Dabei sind Tattoos im Gesicht und Verbrecher-Slang nicht hilfreich. „Auf der Straße sehen wir heute eher das Phänomen des sauberen Gangsters, der unauffällig auftritt, freundlich und gut angezogen ist. Man findet ihn in öffentlichen Ämtern, auf den Universitäten, sogar bei der Polizei“, erklärt Geheimdienstler Saúl Hernandez. Für viele Mareros ist ein Banden-Tattoo dennoch eine Frage der Ehre. Doch die Codes werden inzwischen weniger auffällig oder versteckt angebracht, etwa innen am Augenlid oder an den Geschlechtsteilen.

„Wir arbeiten teils Jahre an der Entschlüsselung der Zeichen und versuchen herauszufinden, wie die Clicas strukturiert sind“, sagt Jorge Peña. Inzwischen geht man von vier bis acht verfeindeten Gruppierungen in El Salvador aus. „Wir sehen jetzt öfters patriotische Symbole wie Flaggen oder die Telefonvorwahl 503. Das dient zur Abgrenzung von jenen Gruppen, die sich nach wie vor auf ihre Herkunft aus Los Angeles beziehen. Die neue Mara-Generation hat kaum noch Bezug zu den USA.“

Abkehr von der Gang. Es ist schwierig, einer Mara die Mitgliedschaft aufzukündigen, aber nicht unmöglich. Am erfolgversprechendsten ist die Bekehrung zum christlichen, meist freikirchlichen Glauben. Damit wird die Abkehr von allen Lastern gefordert und der moralische Wandel wird von den ehemaligen Gefährten aufs Genaueste kontrolliert. Ein Fest mit Alkohol, ein Joint oder eine außereheliche Affäre kämen einem Todesurteil gleich. Doch ein normales Leben scheitert oft auch daran, dass die Ausstiegswilligen keinerlei berufliche Eignung vorweisen können. Dazu kommt das Stigma der sichtbaren Mara-Tattoos. Sie machen eine Reintegration unmöglich. Im Jugend-Institut, einer Einrichtung in San Salvador, kann man sich Tätowierungen mit Laser entfernen lassen. Dies wird auch im Rahmen des Zeugenschutzprogrammes oft in Anspruch genommen, obwohl es ein absolutes Sakrileg im Wertekodex der Maras ist.

Seit 2015 sind die Maras in El Salvador als terroristische Organisationen eingestuft und Maßnahmen zu Prävention und Wiedereingliederung sind in den Hintergrund geraten. Ob die Gewalt in Mittelamerika in nächster Zeit abnimmt, ist derzeit nicht abzusehen.

Klaus Brunner arbeitet für HORIZONT3000 in Mittelamerika. Er hält Medienworkshops und schreibt für österreichische Medien.

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