Theater und Justiz

Von Birgit Fritz · · 2008/05

Der bekannte brasilianische Theaterpädagoge Augusto Boal besuchte auf Einladung des österreichischen Justizministeriums Wien.

Mit „Theater ins Parlament“ titelte das Südwind-Magazin die September-Ausgabe von 1994: ein ausführliches Interview mit Augusto Boal über seine Vorstellungen vom Theater als Ort der Befreiung und der Bewusstseinsbildung. Vierzehn Jahre später besuchte der für den Friedensnobelpreis 2008 nominierte Brasilianer wieder Wien, diesmal auf Einladung des Justizministeriums.
Augusto Boal, der am 16. März 77 Jahre alt wurde, leitete am 8. April einen Workshop für RichterInnen und StaatsanwältInnen sowie RichteramtsanwärterInnen und hielt einen Tag später vor 450 Menschen in Anwesenheit von Ministerin Maria Berger einen Vortrag im Justizpalast.
Wie die Justizministerin in ihren einleitenden Worten erklärte, ist die geografische Lage des Justizministeriums in Wien, inmitten von Theatern, Museen und anderen kulturellen Einrichtungen, mit ein Anstoß dafür gewesen, im Ministerium politik-, kunst- und kulturübergreifende Aktivitäten zu setzen.
Theater der direkten Demokratie
Julian Boal, der Sohn von Augusto, über Unterdrückung und Emanzipation.
Während der brasilianischen Militärdiktatur lebte Augusto Boal im Exil in Frankreich; sein Sohn Julian lebt heute noch dort und entwickelt das Theater der Unterdrückten weiter. In Wien legte er vor VertreterInnen von NGOs und Forumtheater-Gruppen skizzenhaft seine Überlegungen zu Theater, Gesellschaft und Politik dar. Beim Theater der Unterdrückten verwandelt sich das Publikum zur Bühne, die ZuseherInnen werden zu AkteurInnen, das Theater wird zu einem Instrument der direkten Demokratie.
Wichtig ist für Julian Boal die Festlegung von objektiven Kriterien für Unterdrückung – und die Organisierung jener gesellschaftlichen Gruppen, die von einer anderen, mächtigeren, benachteiligt werden (z.B Frauen, MigrantInnen, ArbeiterInnen). „Es gibt keine Emanzipation ohne Organisation.“ Doch Vorsicht sei angebracht, so Boal jr., denn alle – auch fortschrittliche – Parteien, Gewerkschaften, Bewegungen können sich in ihrem Innern antidemokratisch entwickeln.
red
Mit der Einladung Boals, der in den Jahren 1991 bis 1995 in Rio de Janeiro als Stadtrat das legislative Theater entwickelte, ist der Ministerin eine eindrucksvolle Veranstaltung gelungen, die auf weitere spannende Entwicklungen schließen lässt.
Der Workshop, den Boal exklusiv für die Justiz leitete, war rasch ausgebucht. Das Interesse war groß, die TeilnehmerInnen kamen nicht nur aus der Beamtenschaft des Ministeriums und von Gerichten in Wien, sondern auch aus anderen Bundesländern. Wie eine Teilnehmerin bemerkte, wurde das ungewöhnliche Angebot, mit Mitteln des Theaters das eigene Berufsbild zu reflektieren und darüber hinaus von der vielfältigen Arbeit von Boals Team in Brasilien zu erfahren, überaus positiv aufgenommen. Seit dem Amtsantritt der Regierung von Lula da Silva Anfang 2003 arbeitet das CTO Rio (Zentrum des Theaters der Unterdrückten) hauptsächlich in den Bereichen Pädagogik (in Schulen), Kultur (in Zusammenarbeit mit so genannten „Kultur-Punkten“) und in Gefängnissen. In dieser Arbeit knüpft das CTO Rio an das Werk des größten lateinamerikanischen Volksbildners Paulo Freire an, das auch für Boals Theater namensgebend war, der Pädagogik der Unterdrückten.

Im Workshop mit Boal führte die Reise durch die Übungen aus dem Fundus des Theaters der Unterdrückten, wie in der Methode üblich, von einer Demechanisierung von alltäglichen, aber auch beruflich bedingten Routinen bis hin zur Sensibilisierung für die Grenzen von sich selbst sowie der anderen und später dann auch zum Thema Leadership. Besonders eindrucksvoll war die Übung zum aktiven Zuhören, bei der die TeilnehmerInnen gebeten wurden, sich blind von Situationen zu erzählen, in denen Unrecht geschah und die dann beide, sowohl ErzählerIn als auch ZuhörerIn, in einem Menschenbild darstellen sollten. Die unterschiedlichen Wahrnehmungsweisen waren eklatant. In vielen kurzen Gesprächen wurde der Nutzen dieser anderen Art des Lernens im Anschluss an den Workshop diskutiert.
Wie Boal erwähnte, ist es das oberste Ziel des Theaters der Unterdrückten die Menschheit zu „humanisieren“, und dies sei nur möglich, wenn man verlerne, in den eingefahrenen Kategorien zu denken und Menschen nur in ihrer gesellschaftlichen Funktion zu sehen, und sie stattdessen in ihrer Gesamtheit wahrnehme. Isolation bedeute immer Unterdrückung und glückliches, nachhaltiges Lernen erfolge im Kollektiv, im Austausch mit den anderen, in dem auch Differenzen anerkannt werden.
Der revolutionäre Theatermacher Boal, dessen Methoden weltweit angewandt werden, wird vermutlich bald wieder nach Österreich kommen, wenn in Graz und anderen österreichischen Städten das Weltforumtheaterfestival 2009 stattfinden wird.

Für weitere Informationen:
www.theatreoftheoppressed.org
www.arge-forumtheater.at
www.tdu-wien.at
www.paulofreirezentrum.at

Die Autorin ist Theaterpädagogin und Lektorin für transkulturelle Theaterarbeit am Institut für Internationale Entwicklung der Universität Wien.

Basic

Berichte aus aller Welt: Lesen Sie das Südwind-Magazin in Print und Online!

  • 6 Ausgaben pro Jahr als Print-Ausgabe und/oder E-Paper
  • 48 Seiten mit 12-seitigem Themenschwerpunkt pro Ausgabe
  • 12 x "Extrablatt" direkt in Ihr E-Mail-Postfach
  • voller Online-Zugang inkl. Archiv
ab € 25 /Jahr
Abo Abschließen
Förder

Mit einem Förder-Abo finanzieren Sie den ermäßigten Abo-Tarif und ermöglichen so den Zugang zum Südwind-Magazin für mehr Menschen.

Jedes Förder-Abo ist automatisch ein Kombi-Abo.

84 /Jahr
Abo Abschließen
Soli

Mit einem Solidaritäts-Abo unterstützen Sie unabhängigen Qualitätsjournalismus!

Jedes Soli-Abo ist automatisch ein Kombi-Abo.

168 /Jahr
Abo Abschließen