(Un)gewöhnlich unterwegs

Von Rudi Lindorfer · · 2004/07

Wer keine Zeit zum Reisen mehr hat, verreist. Die entsprechende Buchbegleitung macht auch beim Verreisen den Weg zum Ziel, meint der Buchhändler unseres Vertrauens

Urlaub, das ist die Zeit, in der der man die Erlaubnis hat (eine gewisse und immer zu kurze Dauer), vom Dienst fern zu bleiben. Heutzutage hat man in unseren Breiten ein Recht auf dieses Fernbleiben, mehr noch, man bekommt es bezahlt und so ist Urlaub auch zu einem Synonym für das Reisen, besser, Verreisen, geworden. Denn was „Reisen“ wirklich ist, lässt Nicolas Bouvier in „Die Erfahrung der Welt“ erahnen. Es ist die Beschreibung einer fast zweijährigen Reise, die der Autor mit dem Maler Thierry Vernet 1953/54 unternahm. Mit einem Fiat Topolino (16 PS) und einem Startkapital, das für vier Monate reicht – durch den Verkauf von Bildern und Artikeln an französischsprachige Zeitschriften wollen sie ihre Reisekasse immer wieder auffüllen – fahren sie „in sehr gemächlichem Tempo“ über die Balkanstaaten, die Türkei und Persien nach Afghanistan. Dabei entstand ein Buch, dessen Inhalt dem wunderbar treffenden Titel um nichts nachsteht: eine eindringliche, gefühlvolle, jeder Sensationsgier bare Beschreibung vom Reichtum der Kulturen, der Länder und ihrer Menschen.

Ein außergewöhnlicher (Afrika-)
Reisender ist Sven Lindqvist. Ausgestattet mit einem Laptop begibt er sich in „Durch das Herz der Finsternis“ auf eine Zeitreise in die kolonialistische Vergangenheit Europas. Sein Reisebericht ist eine Geschichte des Völkermords und des Rassismus. 1990 brach er abermals in die Sahara auf, dieses Mal mit Texten von Antoine de Saint-Exupéry, Isabelle Eberhardt, André Gide u. a. im Gepäck, die ihn seit seiner Kindheit begleiten. Nun dringt er durch die Oberfläche dieser Werke, besucht Schauplätze, findet Menschen, die seinen HeldInnen begegnet waren – und trifft auf koloniale Strukturen, auf Massaker und Ausbeutung. „Wüstentaucher“ ist wie „Durch das Herz der Finsternis“ Literatur- und Zeitgeschichte und Literatur zugleich.

Ungewöhnlich unterwegs ist der (Ex-)CIA-Agent Switters, keuscher Lebemann und pazifistisch veranlagter Anarchist – allerdings in einem Roman, nämlich „Völker dieser Welt, relaxt!“ von Tom Robbins. Eigentlich wollte er nur im Auftrag seiner Oma einem Papagei im Dschungel von Peru die Freiheit zurückgeben, doch dort trifft ihn der Fluch eines Schamanen, der ihn zwingt, die Welt fortan in einem Rollstuhl zu durchfahren. Er nistet sich in einem Nonnenkloster in der syrischen Wüste ein, um auszuspannen und um von hier aus die Welt zu retten.

Ebenso vergnüglich lässt sich der Weg zum Reiseziel mit „Glück“ von Will Ferguson überwinden. Der Roman ist eine treffliche Satire auf den Lebenshilfebuch-Markt. Ein Verlagslektor soll Ordnung in das Tohuwabohu der Aufzeichnungen eines Lebenshilfe-Gurus bringen, aber dem sagt das Ergebnis nicht zu. Trotzdem, das Buch wird verlegt – und zum Renner, verspricht es doch, dass alle LeserInnen schön, dazu reich, zufrieden, schlank sein und besseren Sex haben werden, kurz: Sie werden glücklich!

Schlussendlich der Aktualität wegen und ob Sie nun glücklich oder unglücklich sind, dass die Fußballeuropameisterschaft (für welches Team sich die Reise wohl ausgezahlt hat?) vorbei ist: Pino Cacucchi, Italiener und Wahlmexikaner, hat mit „Ein Wunder am Ende der Welt“ einen auch für NichtfußballerInnen witzigen Roman geschrieben, in dem Fußball eine wichtige Rolle spielt. Was hat es mit dem weißen „Dünger“ auf sich, den Don Álvaro laut Dorfbeschluss für die Fußballfeld-Markierung rausrücken muss? Erst schießt ein lahmer Stürmer 16 Tore, nachdem er das Zeug bei einem Sturz eingeatmet hat, und dann tauchen lauter dubiose Gestalten im 52-Seelen-Dorf auf.
Wir Verreisende, die nicht die Zeit haben, den Weg mit zum Ziel zu machen, können mit (diesen) Büchern einen Teil dieses Mankos ausgleichen; zumindest sorgen sie dafür, dass die Zeit wie im Flug vergeht – auch wenn man in einem bequemen Sessel sitzt.


Nicolas Bouvier: Die Erfahrung der Welt
Lenos, Zürich 2004. 443 Seiten, EUR 14,40

Tom Robbins: Völker dieser Welt, relaxt!
Rowohlt, Reinbek 2004. 636 Seiten, EUR 10,20

Sven Lindqvist: Wüstentaucher
Unionsverlag, Zürich 2004. 256 Seiten, EUR 9,20
Durch das Herz der Finsternis
Unionsverlag, Zürich 2002. 256 Seiten, EUR 10,20

Will Ferguson: Glück
List Verlag, München 2003. 448 Seiten, EUR 13,40

Pino Cacucci: Ein Wunder am Ende der Welt. Fischer, Frankfurt am Main 2004. 128 Seiten, EUR 8,20

Rudi Lindorfer ist Buchhändler von Südwind Buchwelt in Wien.

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