Unheilige Allianz

Von Gerhard Klas · · 2012/07

Narendra Modi, Hindu-Nationalist und Ministerpräsident des Bundesstaates Gujarat, fordert die nationale Politik heraus. Einheimische Geschäftsleute und internationale Anleger schätzen den rechtsextremen Politiker, der für ein investitionsfreundliches Klima sorgt.

Das beste Beispiel für effektive Regierungsführung und beeindruckende Entwicklung findet man in Gujarat“, heißt es in einem jüngst veröffentlichten Bericht des US-Kongresses über Indien. Während der letzten Dekade ist in diesem indischen Bundesstaat die Wirtschaft um jährlich etwa zehn Prozent gewachsen. Das weckt Begehrlichkeiten und lässt Ereignisse, die die Attraktivität dieses Investitionsstandortes beeinträchtigen könnten, gerne in Vergessenheit geraten. Dabei erscheint es wie eine Ironie der Geschichte, dass diese Phase des Wirtschaftswachstums in Gujarat ausgerechnet mit einem der blutigsten Pogrome im unabhängigen Indien eingeleitet wurde.

Es ereignete sich im Windschatten der Anschläge des 11.September: Am 28. Februar 2002 vergewaltigte, brandschatzte und tötete ein rasender Mob von Hindu-Nationalisten mehr als 2.000 Muslime in Gujarat. Die Empörung der Weltöffentlichkeit hielt sich damals in Grenzen. Narendra Modi, der Ministerpräsident des Bundesstaates, hielt schützend seine Hand über die Täter. Er ist Mitglied der Bharatiya Janata Party, der indischen Volkspartei, dem politischen Arm der rechtsradikalen Hindunationalisten. Gestützt auf die indische Mittelschicht stellte sie zwischen 1998 und 2004 bereits die Regierung in Neu Delhi.

„Indien zuerst – alles andere kommt danach“, tönte Narendra Modi auf Kundgebungen der BJP während des Wahlkampfes 2009, als in Indien ein neues Unterhaus gewählt wurde. „Die größte Sache ist die Nation, unser Gefühl, unsere Identität – all das verdanken wir dem nationalistischen Ansatz der Bharatiya Janata Party, unserer Indischen Volkspartei.“

Modi ist ein charismatischer Redner. Er peitscht seine Worte regelrecht ins Publikum. Manchmal liegt in seiner Stimme, seiner Gestik, seiner Mimik etwas Bedrohliches, und er formt seine Hände langsam zur Faust, als wollte er etwas zerquetschen. Modi nennt seinen Wohnsitz nie beim offiziellen Namen „Ahmedabad“, sondern nennt die Millionenstadt und boomende Wirtschaftsmetropole „Karnavati“. Das ist der alte Name Ahmedabads, als die Stadt noch klein und unbedeutend war. Der heutige Name bezieht sich auf den Sultan Ahmed Shah, der Ahmedabad im 18.Jahrhundert groß und zur Hauptstadt seines nordindischen Reiches gemacht hatte. Auch im Sprachgebrauch ist Modi bemüht, das kulturelle Erbe des Islam in Indien zu ignorieren. Als „Sultanat“ bezeichnet der Ministerpräsident hingegen die amtierende Regierung unter Führung der Kongress-Partei in Delhi. Er wirft ihr unter anderem vor, mit Blick auf muslimische Wählerstimmen nicht hart genug gegen Terroristen und das Nachbarland Pakistan vorzugehen.

Bis heute hat sich Narendra Modi nicht bei den Opfern des Pogroms von 2002 entschuldigt und leugnet selbst jede Verantwortung. Dabei hat er das Pogrom als legitimen Racheakt bezeichnet und die Order ausgegeben, den marodierenden Mob gewähren zu lassen. Seiner politischen Karriere hat das bisher nicht besonders geschadet: Zweimal wurde der Ministerpräsident seitdem in seinem Bundesstaat mit absoluter Mehrheit wiedergewählt. Während seiner Amtszeit hat er zahlreiche neue Gesetze in Gujarat eingeführt, unter anderem ein „Religionsgesetz“: Will ein Hindu zum Christentum oder Islam konvertieren, muss er zuvor die Genehmigung der Regierung einholen.

Modi gilt heute als erfolgreichster Politiker der Indischen Volkspartei. Indienweit hat die BJP bei Wahlen und Umfragen in den letzten Jahren nirgends so gut abgeschnitten wie in Gujarat.

Hindu-Nationalismus wird aus verschiedenen Quellen genährt

Mit wenigen Ausnahmen kommen alle Führungsfunktionäre der Indischen Volkspartei BJP aus den Reihen der Kaderorganisation Rashtriya Swayamsevak Sangh, kurz RSS – auch Narendra Modi ist seit seiner Kindheit Mitglied. Sie gilt als das Rückgrat der hindunationalistischen Bewegung und zählt mehrere Millionen Mitglieder.

Sie organisieren sich bei den Treffen der „Shakas“, von denen es in ganz Indien etwa 30.000 gibt. Sie finden im Freien statt, gleichen militärischen Aufmärschen und sind die Keimzellen der RSS.

Gegründet wurde die RSS 1925 in der Großstadt Nagpur. Bis heute betrachtet die Kaderorganisation RSS die Geschichte Indiens als steten Kampf der Hindus gegen Angriffe von außen auf ihre Religion und Kultur, etwa von den christlichen Kolonialherren im 19. und 20. Jahrhundert oder von den muslimischen Dynastien, die zuvor den Subkontinent beherrscht hatten. Anders als Gandhi betont die RSS nicht das friedfertige und tolerante Wesen des Hinduismus, sondern verfolgt eine kriegerische und autoritäre Variante. Der 1973 verstorbene Madhav Golwalkar, „Guru“ der RSS, formulierte 1938 in seinem Buch „We and our Nationhood defined“ (Wir und unsere nationale Identität) eine Art Manifest des Hindu-Nationalismus. Demnach müssten auch alle Nicht-Hindus in Indien die Sprache und Kultur der Hindus annehmen und die Hindu-Religion „achten und verehren“. Allen, die sich verweigern, sollten die Staatsbürgerechte entzogen werden.

„Hindutva“ – wörtlich übersetzt „das Wesen des Hinduismus“ – heißt das Rezept der Nationalisten, um eine der ältesten Religionen der Welt für ihre Sache zu vereinnahmen. Aber der Hinduismus ist anders als das Christentum, der Islam oder das Judentum keine monotheistische Religion, sondern verehrt mehrere zehntausend Götter und Göttinnen und erlaubt ein höchst individuelles Glaubensverständnis.

So stieß denn auch der Versuch, das „Wesen“ des Hinduismus verbindlich zu definieren, anfangs auf wenig Begeisterung. Aufschwung erhielt die Bewegung jedoch durch die Politik des „Teile und Herrsche“ der britischen Kolonialregierung, die verschiedene Religionsgruppen gegeneinander ausspielte. Im Jänner 1948, ein Jahr nach der indischen Staatsgründung, erschoss ein RSS-Anhänger Gandhi, den bekanntesten Anführer der Unabhängigkeitsbewegung, weil dieser gegenüber Muslimen zu nachgiebig gewesen wäre.
G.K.

Die aus der Unabhängigkeitsbewegung hervorgegangene Kongresspartei galt vielen – trotz aller Korruptionsaffären und Ränkespiele – als Garant des postkolonialen Konsenses, dass alle Inderinnen und Inder irgendwann an Wohlstand und Fortschritt teilhaben würden. Spätestens mit der Marktöffnung und der Aufgabe planwirtschaftlicher Elemente war dieser Konsens jedoch aufgekündigt. Die indischen Eliten bereicherten sich schamloser denn je und die soziale Schere geht bis heute immer weiter auseinander. Die Hindu-Nationalisten sind gewissermaßen der Kitt, der den korrupten Eliten des Landes Macht und Wohlstand sichert. Sie suggerieren den niederen Kasten einen vermeintlichen gemeinsamen Kampf und lenken soziale Unzufriedenheit um in Hass auf andere Religionen und Minderheiten.

Die „Hindutva-Bewegung“, deren politischer Arm die BJP ist, zählt viele Millionen AnhängerInnen in allen Teilen Indiens. Sie organisiert sich in Gewerkschaften, Wohlfahrtsverbänden, religiösen Gemeinschaften und Kulturverbänden. Achtzig Prozent der 1,2 Milliarden InderInnen sind Hindus. Eine „unterdrückte Mehrheit“, sagen die Hindutva-Anhänger, die unter den Hindus eine – wenn auch große und wachsende – Minderheit darstellen. Sie sehen sich durch Muslime, aber auch Christen und Kommunisten sowie alle Hindus bedroht, die ihre Ausgrenzungspolitik gegenüber Minderheiten nicht teilen. Gründerväter der Hindu-Nationalisten bewunderten Adolf Hitler und den italienischen Faschismus.

Heute ist die BJP größte Oppositionspartei, die in mehreren indischen Bundesstaaten regiert. Aber vor allem Gujarat mit seinen 50 Millionen EinwohnerInnen ist zum Vorzeigemodell geworden. Narendra Modi ist der wirtschaftlich erfolgreichste indische Ministerpräsident und wird im In- und Ausland gelobt. Sein Bundesstaat ist ein Anlegerparadies und hat die geringste Anzahl von Streiktagen in Indien. Nirgendwo werden zu Gunsten von Investoren Kleinbäuerinnen und -bauern schneller enteignet als in Gujarat. Kein Bundesstaat in Indien weist ein vergleichbares Wachstum des Bruttoinlandsprodukts auf. Ratan Tata, der vielzitierte indische Liebling der westlichen Wirtschaftspresse, lässt dort das billigste Auto der Welt – den Nano – bauen. Er hatte 2008 das Angebot Modis dankend angenommen, in dessen Bundesstaat seine Produktionsstätte zu errichten, nachdem es im links regierten Bundesstaat Westbengalen zu Protesten und Widerstand gegen die Vertreibung der ansässigen Bevölkerung gekommen war. Das Angebot war großzügig garniert: Ratan Tata, der Vorsitzende des Familienkonzerns, erhielt von Narendra Modi 500 Hektar Land, Steuernachlässe und einen Kredit von mehr als 130 Millionen Euro, den er in zwanzig Jahren mit nur 0,1 Prozent Zinsen zurückzahlen kann. Bei der Unterzeichnung des Abkommens lagen sich der Chefminister und der Konzernchef lange und herzlich in den Armen.

Aber auch ausländische Autohersteller, z.B. Ford, General Motors und Peugeot sowie der deutsche Chemieriese Lanxess wissen die Investionsbedingungen in Modis Bundesstaat zu schätzen. Sie haben große Produktionseinheiten aufgebaut und hunderte von Millionen Dollar investiert. Der indische Milliardär Mukesh Ambani, einer der reichsten Männer der Welt, sieht Gujarat und seinen autoritären Ministerpräsidenten als Vorbild für den Rest Indiens. „Bruder Narendra ist ein Anführer mit einer großen Vision – und er hat die Kraft, diese Vision Realität werden zu lassen“, lobte Ambani den in Kreisen der Opfer als „Killer Modi“ bezeichneten Staatsmann. In politischen Kreisen gilt Narendra Modi mittlerweile als wichtigster Herausforderer des amtierenden Premierministers Manmohan Singh.

Die indische Schriftstellerin Arundhati Roy kann die Begeisterung indischer sowie internationaler PolitikerInnen und Investoren nicht teilen. „Aus der Geschichte Deutschlands kennt man die historische Verbindung zwischen Konzernen und Faschismus“, warnt sie im Hinblick auf diese politischen Entwicklungen in Indien.

„Nur für Hindus“ steht auf Schildern vor einigen Wohnblöcken der Mittelschicht in Ahmedabad, die von Sicherheitsdiensten bewacht werden. Viele Muslime und andere Minderheiten leben hingegen in ärmlich anmutenden Vierteln am Rande der Großstädte in Gujarat. Indien, die viel zitierte „größte Demokratie der Welt“, ist dabei, hart erkämpfte Errungenschaften zu opfern – auf dem Altar des sakrosankten Wirtschaftswachstums. Damit bietet sie der größten rechtsradikalen Bewegung der Welt den besten Nährboden, um weiter zu wachsen.

Gerhard Klas arbeitet als Journalist und Autor für deutschsprachige Printmedien und den Hörfunk.

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