„Unsere Staaten gaben der Jugend keine Chance“

Von Simon Inou · · 2005/09

Der nigerianische Musiker Femi Kuti und seine Band Positive Force verbinden kämpferische Songs mit politischen Botschaften. Simon Inou sprach mit Kuti über politische Kunst in Afrika, über Missstände und Lösungsansätze.

Südwind: Niemand kann heute über Femi Kuti reden, ohne den väterlichen Hintergrund zu erwähnen. Ihr Vater Fela Anikulapo Kuti gilt als Gründer des Afrobeats und hat mit seinen politischen Botschaften ein Riesenpublikum erreicht. Sie haben 2000 den von ihm gegründeten Club „African Shrine“ in Lagos neu eröffnet und ihn wieder zu einem sozialen Zentrum gemacht. Sehen Sie sich als Nachfolger ihres Vaters oder gehen Sie einen eigenen Weg?
Femi Kuti:
Natürlich hat mich mein Vater sehr beeinflusst. Teile von ihm sind in mir, aber ich bin Femi Kuti.

In Ihren Liedern geht es immer um soziale sowie politische und wirtschaftliche Probleme des heutigen Afrika. Wie positionieren Sie sich musikalisch?
Musikalisch betrachtet gibt Afrika sehr viel an die Welt. Musik ist bis heute der eigentliche und unkorrumpierte Botschafter Afrikas. Ich setze nur den Weg fort, den viele vor mir vorbereitet haben. Wir singen nicht nur um des Singens willen. In meinen Liedern versuche ich, unsere politische und soziale Situation darzustellen.

Aids, Armut, Korruption, aber auch die Entwicklung von Demokratien in manchen Staaten stellen den Kontinent vor große Probleme. Welchen Weg soll Afrika einschlagen?
An dem Tag, an dem wir AfrikanerInnen nicht mehr zuerst an unsere Bäuche denken, wird es uns besser gehen. Wenn wir über unsere Probleme ehrlich und seriös nachzudenken beginnen, statt auf Europäer zu warten, die sie uns erklären, wird das schon ein Fortschritt sein. Ich lebe in Lagos und brauche keinen Fremden, der kommt und mir meine Gesellschaft erklärt. Ich weiß was Armut ist. Ich lebe in einer Umgebung, wo viele elternlose Kinder wohnen, wo es keine Sozialversicherung gibt, wo Frauen und Männer viele Probleme haben. In Lagos gibt es noch Orte, wo es keine Elektrizität gibt – mehr als 40 Jahren nach der Unabhängigkeit! Du arbeitest am Abend und plötzlich verschwindet das Licht. Gesundheit, Ernährung, und Bildung sind die Fundamente eines stabilen Staates. An dem Tag, an dem wir Afrikanerinnen und Afrikaner selbst auf uns aufpassen, sind wir schon einen Schritt nach vorne gekommen.

Die Situation, die Sie eben beschrieben haben, zwingt Jugendliche aus vielen Ländern Afrikas, ihre Zukunft in Europa, den USA und sogar in Asien zu suchen. Was sagen Sie zu diesem Phänomen?
Ein junger Mensch ist voller Träume und will sie mit allen Mitteln erreichen. Es ist überall auf der Erde so, dass Jugendliche für Ihre Träume kämpfen. Unsere Staaten gaben dieser Jugend keine Chance, unsere Politiker haben nichts für sie unternommen. In den 1950ern und 1960ern wollten Kwame N’Krumah und Patrice Lumumba mit dem Panafrikanismus ein politisch selbstbewusstes Afrika aufbauen. Was wollten viele andere politische Führer? Sie träumten von Europa und Nordamerika. Für die Führungselite waren diese Regionen das Vorbild schlechthin. Die Konsequenzen sehen wir heute.

Viele afrikanische Staaten sind heute wirtschaftlich und politisch nicht mehr selbständig überlebensfähig. Sie werden von der Entwicklungshilfe vorwiegend aus Europa und den USA erhalten.
Afrika soll lernen, sich selbst zu helfen. Es ist möglich. Entwicklungshilfe? Sehen Sie, wie die USA dem Irak geholfen haben? Sie töten Tausende von Irakern und schicken danach Medikamente. Ist das wirklich Hilfe? Europa und Nordamerika vergessen oft, dass sie ohne die Kraft schwarzer Sklaven nicht dort sein würden, wo sie heute sind. Mehr als zehn Millionen Menschen haben kostenlos jahrzehntelang für Unternehmen gearbeitet, die heute weltweit agieren. Die Afrikaner müssen auch beginnen, sich selbst oder andere Afrikaner, die etwas Positives geschafft haben, zu schätzen.

Kann kulturelles Show-Business wie aktuell Bob Geldofs Live 8 oder 1985 Live Aid für Äthiopien Afrika wirklich helfen?
Ich höre immer: „Spenden Sie für die Armen.“ Viele spenden, aber Afrika wird ärmer. Wie können wir diese Mathematik verstehen? Der größte Skandal war das Beispiel von Äthiopien, das Sie erwähnt haben. Sind die Äthiopier heute zufrieden? „We are the world, we are the children…“ – für die Äthiopier war es ein Flop und für die Organisatoren, weiße wie schwarze, ein großes Geschäft.


AutorenInfo: Simon Inou lebt als Journalist in Wien. Er ist Mitbegründer und Chefredakteur von Afrikanet.info, dem Internetportal über schwarze Menschen in Österreich, 2005 ausgezeichnet mit dem Interkulturpreis. Inou sprach mit Femi Kuti anlässlich eines Konzerts in der Szene Wien.


„Sie haben uns beschissen
Gestern erzählten sie uns
Dass wir heute gewinnen werden
Also kämpften wir unter Leiden
Für diesen neuen demokratischen Wechsel
Aber die Wahrheit dabei ist
Dass sie sich verstellt haben
Um ihre krummen Wege weiterzugehen
Oh ja, sie haben uns beschissen.“

Aus Booklet AFRICA SHRINE/Femi Kuti CD
Tropical Music 68843 mit frdl.Genehmigung/Verlag FKO

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