Verantwortung, die wahr genommen werden muss

Von Redaktion · · 2002/07

Über das OMV-Engagement im Sudan diskutiert SÜDWIND-Redakteurin Lydia Matzka mit Rudolf Remler (Dreikönigsaktion, Sudan Plattform Austria), Michaela Reeh (Kommunikation und Corporate Responsibility, OMV), Christian Mücke (Clean Clothes-Kampagne), Ishraga Mustafa Hamid (Politologin, Publizistin) und Wilhelm Autischer (Experte für Nachhaltigkeit und Corporate Social Responsibility, Industriellenvereinigung) über die soziale Verantwortung von Unternehmen.

Seit 19 Jahren herrscht im Sudan ein blutiger Bürgerkrieg. Schon vor der Suche nach Erdöl sind durch den Krieg Millionen Menschen vertrieben worden, doch seit Beginn der Erdölförderung im Jahre 1997 verschlechterte sich die Lage der Bevölkerung in den umkämpften Gebieten. Seit 1997 ist auch die OMV in der Ölexplorationen tätig (im Rahmen eines Konsortiums mit Lundin, Petronas und Sudapet).

SÜDWIND: Die OMV fördere nicht nur Öl, sondern Ermordung, Vertreibung und eine „Politik der verbrannten Erde“, so der Vorwurf von MenschenrechtsaktivistInnen. Diese Vorwürfe weist die OMV zurück. Man fördere nicht nur Öl, sondern auch Entwicklung. Was sagt die OMV zu den Vorwürfen?

Reeh: Das stimmt so nicht. Die OMV ist Partner in einem Konsortium. Wir sind erst in der Explorationsphase, d.h. im Stadium der Öl-Aufsuchung. Im Jänner mussten wir unsere Tätigkeit aus Sicherheitsgründen suspendieren. Das war ein gemeinsamer Beschluss mit dem Konsortium aufgrund der eskalierenden Kriegshandlungen im Süden des Sudan.

Remler: Ich denke mir, dass die OMV ein gutes Beispiel dafür ist, wie Unternehmen mit Menschenrechten umgehen. Sie nehmen das Wort „Menschenrechte“ sehr oft in den Mund, das ist ja sehr werbewirksam, doch bei ihren Wirtschaftsaktivitäten spielen sie keine Rolle. Am Beispiel Sudan: Es gibt seit zweieinhalb Jahren unzählige Berichte über Menschenrechtsverletzungen im Sudan. Berichte von der UNO und verschiedenen NGOs über Morde, Vergewaltigungen, die systematische Zerstörung von Dörfern in den Ölgebieten. Kinder werden verschleppt, die Ernte zerstört und die Häuser niedergebrannt. So wird sichergestellt, dass die Menschen nicht mehr zurückkehren und die Ölfirmen dadurch in Ruhe nach Bodenschätzen suchen können. Da wird vorher aufgeräumt, damit die Ölfelder frei sind von Menschen. Doch wie ist die OMV bisher damit umgegangen? Noch am 20. März dieses Jahres wurde von der OMV behauptet, dass sie keinerlei Hinweise hätte, dass Zivilbevölkerung von Regierungstruppen bzw. Milizen aus den Explorationsgebieten vertrieben wurde.

Reeh: Es ist eine Tatsache, dass der Krieg in den letzten Monaten eskalierte. Im Süden des Sudan war es aus Sicherheitsgründen – für das Konsortium, für die Lundin-Leute und für die lokalen Mitarbeiter von Lundin – nicht mehr möglich, mit der Arbeit fortzufahren. Die OMV hatte nie Mitarbeiter vor Ort und konnte daher auch keine eigenen Beobachtungen von Menschenrechtsverletzungen in Block 5A und 5B machen, also dort wo die OMV im Rahmen des Konsortiums tätig ist. Lundin als Operator hat uns sehr wohl auf dem Laufenden gehalten. Doch wir haben mit Jänner suspendiert und konnten folglich im März keine Information haben, was vor Ort passiert. Wir haben sie auch jetzt nicht. Lundin hat sich nach Khartum zurückgezogen. Ein Aufenthalt im Süden und eine Weiterführung der Bohrungen ist derzeit nicht denkbar. Es ist auch nicht absehbar, wann eine Wiederaufnahme der Explorationstätigkeiten erfolgen kann.

Wir haben eine Politologin aus dem Sudan in unserer Runde. Ishraga Mustafa Hamid, wie schätzen Sie die Situation ein?

M. Hamid: Mich stört es ganz besonders, dass sich die OMV keine Gedanken über die lokale Bevölkerung macht. Die OMV und Lundin haben ihre Aktivitäten im Sudan nicht aus Rücksicht auf die lokale Bevölkerung ausgesetzt, weil erkannt wurde, dass Öl den Bürgerkrieg schmiert, sondern aus Sicherheitsgründen für die eigenen Mitarbeiter. Solange es keinen nachhaltigen Frieden im Sudan gibt, sollte nicht nach Öl gebohrt werden. Die Regierung in Khartum verwendet die Einnahmen aus dem Ölgeschäft für Kriegszwecke, um noch massiver gegen die Bevölkerung im Süden des Landes vorgehen zu können. Ich stimme zu, dass es den Bürgerkrieg bereits vor den OMV-Aktivitäten im Sudan gab, doch durch das wirtschaftliche Engagement bekam dieser Krieg eine neue Dimension und wurde angeheizt.

In der letzten Zeit wird von Unternehmen vermehrt „Corporate Responsibility“ verlangt. Wie stehen Sie, Wilhelm Autischer, als ein Vertreter der Wirtschaft zur Forderung, dass Unternehmen öffentlich sichtbar Verantwortung für die sozialen und ökologischen Auswirkungen ihrer Geschäftstätigkeiten tragen sollen?

Autischer: Der Begriff „Corporate Responsibility“ ist alles andere als neu. Natürlich hat sich das Verhalten und der Verantwortungsbereich der Wirtschaft verändert. Bedingt durch die Globalisierung, die Veränderungen in der Gesellschaft, durch Empowerment, die Konsumentenselbständigkeit. Die Politik hat Verantwortung an die Zivilgesellschaft abgegeben. Eine Firma hat prinzipielle Aufgaben, nämlich für die Zufriedenheit der Kunden, der Mitarbeiter zu sorgen und die Firma weiterzuentwickeln bzw. aufzubauen. Dazu ist es notwendig, dass Produkte gestaltet bzw. Dienstleistungen angeboten werden, die wiederum am Markt angenommen werden.

D.h. also, dass eine Firma das Recht hat, überall auf der Welt zu investieren, Hauptsache man schreibt schwarze Zahlen und die MitarbeiterInnen sind zufrieden?

Autischer: Das würde ich nicht so sehen. Mir gefällt der Ansatz nicht, dass die Unternehmen, die in einem Land investieren, wo Bürgerkrieg herrscht, auch gleichzeitig dafür verantwortlich sein sollen, was vor Ort passiert. Sonst gibt es nur die Alternative, ganz draußen zu bleiben. Ich kenne kein Problem, das durch Isolation und Ausgrenzung gelöst werden kann. Im Gegenteil: Ich sehe eine große Verantwortung bei jenen Firmen, die trotz unterschiedlicher Vorstellungen von Marktwirtschaft und Politik, die in vielen Teilen der Welt vorherrschen, das Risiko auf sich nehmen, auch in diesen Gebieten marktwirtschaftlich aktiv zu sein. Mit dem Transfer von europäischem Know-how in diese Regionen kann man auch bildungspolitische Akzente setzen.

Mücke: Die Frage: „Gibt es nur Rückzug? Ja oder nein?“ stellt sich in vielen Bereichen. Im Rahmen der Clean Clothes-Kampagne besteht die primäre Forderung darin, dass sich die Firmen eben nicht aus den Produktionsgebieten zurückziehen, sondern dass sie ihre Macht vor Ort dafür einsetzen, dass die Produktionsbedingungen für die lokale Bevölkerung menschenwürdig gestaltet werden. Trotzdem gibt es Fälle, in denen wir von dieser Grundhaltung Abstand nehmen müssen. Zum Beispiel produzierte die Firma Triumph in Burma in Industriebetrieben, die der Militärjunta gehören. Diese wurden mittels Zwangs- und Kinderarbeit errichtet. Sehr viele internationale Firmen hatten sich bereits aus dem Gebiet zurückgezogen. Auch die Exilregierung rief die Unternehmen dazu auf, sich aus dem Gebiet zurückzuziehen. Und die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) hat zu einem internationalen Boykott aufgerufen. Man muss sich schon fragen, ob es nicht Fälle gibt, in denen Rückzug die einzige Möglichkeit für Unternehmen ist. (Im Frühjahr hat Triumph dem Druck der Kampagne nachgegeben, Anm. d. Red.).

Remler: Auch die Sudan-Plattform hat in keinster Weise von der OMV gefordert, dass sie sich zur Gänze aus dem Sudan zurückzieht. Wir haben immer versucht, klarzumachen, dass die OMV eine Verantwortung hat, die auch von ihr wahrgenommen werden muss.
Ich denke, dass die OMV, als sie 1997 mit dem Sudan-Engagement begann, ihr Investment wenig durchdacht hatte. Es gab damals schon Berichte darüber, dass Bürgerkrieg herrscht. Heute zu sagen, dass man davon nichts wusste, ist für mich eine Vogel-Strauß-Politik und wenig glaubwürdig.

Kann bzw. soll man von Unternehmen verlangen, dass sie sich über die humanitäre und politische Situation vor Ort informieren bevor sie ihr Engagement starten?

M. Hamid: Ich vermisse bis heute von der OMV eine klare Stellungnahme an die Regierung in Khartum, in der sich das Unternehmen gegen die von der Regierung verübten Menschenrechtsverletzungen ausspricht. Vier Millionen Sudanesinnen und Sudanesen leben im Exil, die politische Situation und die humanitären Probleme sind überall auf der Welt bekannt. Ich war im Sommer im Sudan. Ich habe mit Flüchtlingen aus dem Südsudan gesprochen und die haben mir gesagt: „Öl hat uns den Tod gebracht.“ Ich bin auch nicht für einen Rückzug der OMV aus dem Sudan, doch ich erwarte mir, dass sie zum Frieden im Sudan etwas beiträgt. Die OMV hat ihre Tätigkeiten ausgesetzt, doch unter welchen Bedingungen wird sie zurückkehren?

Reeh: Aus heutiger Sicht ist nicht absehbar, wann eine Wiederaufnahme der Tätigkeiten erfolgen kann. Derzeit führt die OMV eine Evaluierung durch, die der OMV helfen soll, die Situation vor Ort einzuschätzen. Eine Fortsetzung des Engagements ist nur dann möglich, wenn die Verhältnisse vor Ort dies ermöglichen. Wir wollen Sicherheit für die Menschen.

Sicherheit für die MitarbeiterInnen oder die lokale Bevölkerung?

Reeh: Dort, wo man zuletzt gebohrt hat, sind weite Teile Sumpfgebiet. Mit unserer Evaluierung versuchen wir derzeit herauszufinden, inwiefern dort überhaupt Dörfer oder Siedlungen existieren oder Wanderbewegungen der nomadisierenden Volksgruppen stattfinden.

M. Hamid: Wird die OMV bei ihrer Studie von der sudanesischen Regierung unterstützt?

Reeh: Nein. In einem Konflikt, der so viele Facetten hat, gehen wir sehr vorsichtig mit Unterstützung von Regierung, Opposition, kirchlichen Vertretern, etc. um. NGOs fordern eine Stellungnahme von uns an die Regierung. Doch im Sudan passieren Menschenrechtsverletzungen von mehreren Seiten: Rebellen, Milizen, Regierungstruppen, etc. Wir verurteilen Menschenrechtsverletzungen generell, gleichgültig, wer der Aggressor ist. Eine Seite zu unterstützen und die andere als die falsche zu beurteilen, das maßen wir uns nicht an.

Kann dieser Anspruch überhaupt an die Wirtschaft erhoben werden?


Autischer: Ich denke, dass sich die Fragen nicht an die Wirtschaft, sondern an die Politik richten sollten. Kein Unternehmen kann sich anmaßen zu beurteilen, ob eine Lage unserem westlichen Standard entsprechend ist oder nicht. Jede Region hat eine andere Kultur, eine andere Geschichte, ein anderes Miteinander und eine andere Lebensweise. All das gilt es, primär zu akzeptieren und zu tolerieren. Menschenrechtsverletzungen zu beobachten bzw. zu unterbinden, dafür gibt es gewählte Institutionen und NGOs. Diese Gruppen der Gesellschaft müssen in die Pflicht genommen werden. Sie können nicht ihre Aufgaben an die Unternehmen abtreten. Eine Firma kann sicher nicht zu einer Regierung sagen, dass sie sich ändern muss.

Machen es sich Firmen da nicht zu einfach?

Mücke: Der Grund dafür, dass die „Corporate Social Responsibility“-Debatte in den letzten Jahren modisch geworden ist, ist ja gerade die Frage, ob die Verantwortung nur bei den Regierungen liegt oder eben auch bei den Unternehmen. Unserer Meinung nach muss ein gewisses Maß an Ressourcen und damit auch an Macht an ein gewisses Maß an Mitverantwortung gekoppelt werden. In der Bekleidungsindustrie zum Beispiel spielen große Konzerne Regierungen gegeneinander aus, die wiederum Mindestlöhne bewusst unter dem Existenzminimum ansetzen, weil sie um die Gunst der Investoren buhlen. Multinationale Konzerne verfügen allein schon wegen der Größe ihres Kapitals über mehr Macht als manche Regierungen, daher ist es legitim, von ihnen „Corporate Social Responsibility“ zu fordern.

Vielen Dank für die anregende Diskussion!

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