Verschuldet und versklavt

Von Brigitte Voykowitsch · · 2001/06

Der Traum von einer Arbeit im Westen endet für viele Menschen aus dem Süden in einem Albtraum. Sie kommen meist als HaushaltsgehilfInnen nach Europa und finden sich dort als SklavInnen wieder.

Ich wurde in Mali von meiner Großmutter aufgezogen. Als ich noch ein kleines Mädchen war, ist eine Frau gekommen. Sie hat gefragt, ob sie mich mit nach Paris nehmen kann, damit ich mich dort um ihre Kinder kümmere. Sie hat meiner Großmutter erzählt, dass sie mich auf eine Schule schicken würde. Aber als ich nach Paris gekommen bin, hat sie mich nicht in die Schule geschickt. Den ganzen Tag über habe ich arbeiten müssen. Jeden Tag habe ich schon vor sieben Uhr morgens angefangen; ungefähr um elf Uhr abends war ich fertig; einen freien Tag habe ich nie gehabt. Ich musste auch dann arbeiten, wenn ich krank war. Geschlafen habe ich auf dem Fußboden und zu essen habe ich das bekommen, was sie übrig gelassen haben. Die Frau hat mich oft geschlagen. Sie hat mich mit dem Besen und irgendwelchen Küchengegenständen geschlagen oder mich mit einem Elektrokabel ausgepeitscht. Manchmal habe ich geblutet; noch jetzt habe ich überall Narben. Einmal war ich zu spät dran, um die Kinder von der Schule abzuholen. Meine Herrin und ihr Mann waren schrecklich wütend. Sie haben mich nackt ausgezogen, mir die Hände auf dem Rücken zusammen gebunden, und dann haben sie mich mit einem Draht ausgepeitscht. Dann hat sie mir Chilipulver in die Wunden und in die Vagina gerieben. Da bin ich bewusstlos geworden.“

Ihre Rettung verdankt die heute 22-jährige Seba einem Nachbarn, der Geräusche von Misshandlungen gehört hatte und die Polizei sowie das französische Komitee gegen moderne Sklaverei (Comité contre L’ Esclavage Moderne, CCEM) verständigte.

Mit ihrer Erfahrung, die der in England lehrende Soziologe Kevin Bales in seinem jüngst in deutscher Übersetzung erschienenen Buch ”Die neue Sklaverei“ aufgezeigt hat, steht Seba freilich nicht alleine da.

Die Sklaverei mag offiziell seit langem abgeschafft sein. Tatsächlich aber gibt es nach den Schätzungen von Bales heute weltweit 27 Millionen SklavInnen. Die häufigste Form ist dabei die Schuldknechtschaft, weitaus seltener die Leibeigenschaft und die, wie Bales sie nennt, Vertragssklaverei, bei der Menschen mittels eines völlig rechtmäßig wirkenden Vertrages in menschenunwürdige Ausbeutungsverhältnisse gelockt werden.

Während Schuldknechtschaft und Leibeigenschaft vor allem außerhalb der westlichen Welt zu Wnden sind, ist die Vertragssklaverei weltweit – und auch im Westen – im Ansteigen begriffen.

Die in London ansässige Organisation AntiSlavery International kann mit zahlreichen Beispielen das Schicksal von so genannten Hausangestellten – zumeist Mädchen oder Frauen – belegen, die mit ihren Arbeitgebern in westliche Hauptstädte ziehen und dort ein Leben ”voller Missbrauch, Ausbeutung, Gewalt, körperlicher wie psychischer Folter und ohne oder fast ohne Bezahlung“ fristen.

Diese Personen haben zumeist keinerlei Kontakt zur Außenwelt, keinerlei Möglichkeit, über ihre Arbeitsbedingungen zu verhandeln und sind ihren Arbeitgebern vollkommen ausgeliefert. Wenn es ihnen gelingt zu entkommen, fallen sie sofort in die Kategorie ”illegale Einwanderer“, denn ihre Aufenthaltsgenehmigung ist von ihrem Verbleib bei jenem Arbeitgeber abhängig, mit dem sie eingereist sind.

Zumindest hier hat es dank des Drucks und der Lobbyarbeit von Anti-Slavery und gleich gesinnter Organisationen eine wesentliche Verbesserung in Großbritannien gegeben. Seit Juli 1998 müssen Hausangestellte ihr eigenes Visum und ihre eigenen Dokumente bekommen, die sie nicht mehr an einen Arbeitgeber ketten, sondern ihnen die Möglichkeit eröffnen, eine andere Beschäftigung zu suchen.

Eine ganze Reihe britischer Botschaften aber hat, so Beth Herzfeld von Anti-Slavery, bisher weder ihre Visa-Informationen auf den neuesten Stand gebracht noch in diverse Landessprachen übersetzt. ”Auch die Interviews mit Hausangestellten werden weiterhin häufig in Gegenwart der Arbeitgeber geführt, obwohl die Neuregelung ausdrücklich Einzelinterviews vorsieht.“ Um das zu erreichen, wird es noch viel Engagements von Seiten der einschlägig tätigen NGOs bedürfen, meint Herzfeld.

Selbst wenn die Schuldknechtschaft, wie bereits erwähnt, vorwiegend in außereuropäischen Ländern und zumal in Südasien anzutreffen ist, so betrifft sie doch auch Hausangestellte im Westen. So berichtet Anti-Slavery vom Fall der Filipina Alice. Als ausgebildete Ziviltechnikerin beschloss sie, eine Stelle in Kuwait anzunehmen, weil man ihr ein sechsmal höheres Gehalt versprach als jenes, das sie je in ihrer Heimat würde bekommen können. Um die Gebühren der Vermittlungsagentur zu bezahlen, nahm Alices Familie einen Kredit auf das künftige Gehalt auf. Doch bei ihrer Ankunft in Kuwait musste Alice feststellen, dass der einzige für sie verfügbare Job der einer Hausangestellten war.

Gegenüber der Agentur verschuldet, ohne Geld für ein Retourticket, blieb ihr nichts anderes übrig, als die Stelle anzunehmen.

Einige Jahre war sie in Kuwait, dann ging die Familie mit ihr nach London. Als ihr Arbeitgeber sie dort zu vergewaltigen versuchte, ergriff die Frau die Flucht. ”Es war das erste Mal“, so ein Mitarbeiter von Anti-Slavery, ”dass sie das Haus verlassen hatte.“

Was die Schuldknechtschaft, wo immer sie auftritt, kennzeichnet, ist die völlige Unterwerfung der Verschuldeten unter ihre Kreditgeber. Verträge gibt es fast nie, und selbst wenn sie vorhanden sind, haben die zumeist analphabetischen ArbeiterInnen keine Chance, deren Rechtmäßigkeit und Einhaltung zu überprüfen. Wucherzinsen werden in einem Maße angerechnet und zugleich erbrachte Arbeit nicht honoriert, dass oft noch Enkelkinder einen Kredit zurückzahlen müssen, den der Großvater Jahrzehnte zuvor aufgenommen hat.

”Wir wissen von Fällen, wo eine Schuld binnen weniger Monate hätte getilgt sein müssen, wäre alles mit rechten Dingen zugegangen“, erzählt Beth Herzfeld. ”Tatsächlich aber rackerten sich Familien auch 15 Jahre später noch ab, um die Schuld abzutragen.“

”Am besten gedeiht Sklaverei in äußerster Armut“, schreibt der Soziologe Bales. Offizielle Erklärungen und Gesetze zur Abschaffung der heute üblichen Formen von Sklaverei werden ohne entsprechende Begleitmaßnahmen zur Armutsbekämpfung und Unterstützung der Betroffenen nur einen begrenzten Erfolg zeitigen, betont Herzfeld.

Daher sei eine rasche Lösung für das Problem der modernen Sklaverei nicht in Sicht. Denn, wenn Armut und die dadurch bedingte Wehrlosigkeit von Menschen die Hauptursachen sind, dann können einzelne Maßnahmen und Programme nur Linderung verschaffen, dann gilt es, die ökonomischen Strukturen, die diese Armut hervorrufen, von Grund auf zu verändern.

Weiterführende Informationen:

http://www.antislavery.org

Kevin Bales: Die neue Sklaverei, Kunstmann-Verlag, München 2001, öS 321,–

Bridget Anderson, Doing the Dirty Work, Zen-Books, London 2000

http://www.antislavery.org

Brigitte Voykowitsch ist freie Journalistin mit den Schwerpunkten Frauen, Süd- und Südostasien. Sie lebt in London.

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