Vom Ende der europäischen Entwicklungspolitik

Von Heimo Claasen · · 2001/05

Im Maastrichter EU-Vertrag wurde die ťEingliederung der Entwicklungsländer in die WeltwirtschaftŤ als Ziel der Entwicklungspolitik festgeschrieben. Ein fragwürdiger Ansatz. Dabei ist in der Praxis die Entwicklungspolitik der Union ohnehin schon zur Außenhandelspolitik verkommen, gefolgt von Katastrophenhilfe und Flurbereinigung von Globalisierungsschäden.

Ein gründlicher Klimawandel hat sich seit der großen Wende Ende der achtziger Jahre auch im Verhältnis der Europäischen Union (EU) zum ”Süden“ vollzogen. Der Abschluss eines neuen Vertrags zur ”Assoziation“ mit Ländern in Afrika, der Karibik und dem pazifischen Raum (AKP) im vorigen Jahr in Cotonou war dazu ein Schlusspunkt: Er begräbt die althergebrachten besonderen Beziehungen mit den AKPLändern und ordnet diese nun in einen Rahmen ein, der einzig von der Vereinbarkeit mit den Regeln der Welthandelsorganisation WTO zu Liberalisierung und Wettbewerb bestimmt ist.

Parallel dazu haben sich die politischen Akzente wie die regionalen Orientierungen der EU-”Entwicklungs“-Politik verschoben. In einer Doppelstrategie richtet sie sich vornehmlich auf jetzige und zukünftige ”Schwellenländer“. Und sie will die Puffer-Regionen Ost-/Südost-Europa und den Mittelmeer-Raum über den Handel wie über die politische ”Infrastruktur“ (durch Förderung der internen Staatsumbauten nach den westeuropäischen Modellen) an sich binden.

Kern des Cotonou-Vertrags ist das Konzept von regionalen Freihandelszonen (euphemistisch ”Regionale Partnerschaftsabkommen“, REPA, getauft), in denen die EU sich – strikt nach WTO-Regeln – Vorteile für ihren Marktzugang zu einzelnen Zonen aus dem globalen Kuchen des Welthandels herausschneiden will.

Allenfalls noch als Übergang gelten nun die Vorteile, die den AKP-Ländern im vergangenen Vierteljahrhundert von Europa gewährt worden sind – freilich längstens bis zum Jahr 2008, und über die handfesten Details, wie es dann weitergeht, soll ab dem Jahr 2002 verhandelt werden. Damit wird einer der Grundpfeiler der EU-Entwicklungspolitik abgebaut.

Ein zweiter, die ”eigentliche“ Entwicklungshilfe – mehr oder weniger direkte Zahlungen für Projekte, Programme und Haushaltsstützen der von Natur- und Wirtschaftskrisen gebeutelten AKP-Länder –, ist schon vor zehn Jahren zuerst eingefroren, dann im Jahr 1995 kräftig gekappt, und jetzt noch einmal verkürzt worden.

Und der dritte Pfeiler, das Konstrukt der ”gleichwertigen Partnerschaft“ von Europäischer Gemeinschaft mit der Gruppe der AKP-Länder in den bisherigen Lomé-Konventionen, klang lange schon ein wenig hohl und taugte eher als Dekoration denn als tragendes Teil.

Während Entwicklungshilfe aus öffentlichen Haushalten (ODA) im letzten Jahrzehnt kontinuierlich abgebaut wurde (das ODA-Niveau der OECD-Länder sank stetig um insgesamt zehn Prozent), hat sich zudem ihre Zusammensetzung erheblich umgeschichtet. Der Anteil von bilateralen Zahlungen sank deutlich schneller – was die Abkehr von Prestige-Projekten widerspiegelte, (die auch schon mal, wie in Ghana, die sprichwörtlichen ”goldenen Badewasserhähne“ in Präsidentenpalästen Wnanziert hatten). Bei den multilateralen ODA-Ausgaben hingegen, insbesondere denen der EU, stieg der Anteil von allerlei Katastrophenhilfen mit sensationellen Zuwachsraten.

So wuchs die ”eigentliche“ Entwicklungshilfe der EU selbst zwischen Mitte der achtziger und Ende der neunziger Jahre zwar um (nominell) 202 Prozent; aber innerhalb der EU-ODA nahm der Anteil der humanitären Nothilfen und jener Ausgleichszahlungen, die Entwicklungsländer insbesondere der AKP-Gruppe gerade noch vor dem sozialen Zusammenbruch bewahren, um fast 900 Prozent zu und macht inzwischen fast die Hälfte der Gesamtausgaben aus.

Neben der Verschiebung zwischen den Beistandsfunktionen änderte sich auch deutlich die regionale Zuteilung. Der Anteil der ehemals bevorzugten AKP-Gruppe sank von fast zwei Drittel auf gerade noch ein Drittel. Die Verminderung der EU-ODA für jene ”ärmsten“ Entwicklungsländer zeigte sich ebenso deutlich in den EU-multilateralen Transfers, wie das angesichts der bilateralen Hilfen der EU-Mitgliedstaaten sowie der OECD-Länder insgesamt der Fall ist.

Statt früher noch beinahe oder gut die Hälfte, geht inzwischen gerade noch ein Drittel sowohl der bilateralen wie der EUmultilateralen Hilfe an Entwicklungsländer in der Kategorie ”Weniger entwickelt“ (die 48 ”Least Developed Countries“, LDC nach UN-Definition).

Von den am meisten entwicklungsbedürftigen Ländern sind die meisten freilich auch in der AKP-Gruppe (39 von den 48 dieser Kategorie); und diese sind nun von einer anderen Tendenzwende noch zusätzlich betroffen, nämlich von der regionalen Umschichtung der bilateralen wie der multilateralen EU-Hilfe.

Lateinamerika (ohne AKPStaaten) und Asien (hauptsächlich Süd-Ost-Asien) erlebten Zuwächse von 173 bzw. 205 Prozent. Ganz neu hinzugekommen sind vergleichsweise riesige Posten für Mittelmeer-Anrainer sowie Zentral- und Osteuropa. An diese vier neuen Zielgruppen gehen nunmehr (die neuesten eigenen Zahlen der Kommission beziehen sich auf 1998) gut 59 Prozent der auswärtigen EU-Hilfen insgesamt, und rund 49 Prozent der als ”Entwicklungshilfe“ (OECD-ODA) deklarierten Förderung.

Die politischen Beschlüsse zu dieser Tendenzwende datieren aus aufeinander folgenden Europäischen Räten in der ersten Hälfte des letzten Jahrzehnts. Der EU-Gipfel in Cannes 1995 leitete die Umorientierung der größten Brocken an auswärtigen Hilfen auf vornehmlich die Pufferregionen des Mittelmeers und der osteuropäischen Randstaaten der EU ein.

In der Tat stellt das Ende der Lomé-Konventionen vor allem einen Schlusspunkt dar, auch für das, was in der EU und ihren Ländern bisher ”Entwicklungspolitik“ war; einschließlich der paternalistischen Züge von fürsorglicher ”Verantwortlichkeit“ gegenüber ehemaligen Kolonien, die es darin gab.

Der portugiesische Entwicklungsminister, damals amtierender Vorsitzender des EU-Ministerrates, sah einen ”grundlegenden Neubeginn“ darin, dass nun nicht mehr die Staaten Europas gegeneinander konkurrierten, sondern sich ”gemeinsam“ der Sonne des Südens zuwenden würden. Damit sind wohl die Märkte gemeint, die es da zu erobern und welt-wettbewerblich zu verteidigen gilt …

Die Kommission folgte diesem Grundmuster mit ihrer ”Mitteilung zur Entwicklungspolitik der Gemeinschaft“, ein Gesamt-”Strategie“-Papier, das dem Rat der Entwicklungsminister im Mai vorigen Jahres vorgelegt und von diesen im November formell abgesegnet wurde.

Darin reduziert sich die Kommission auf das, was sie angeblich am besten könne, nämlich regionale Integration und Kooperation fördern, die makro-ökonomischen Politiken unterstützen, Transport- und Kommunikationsinfrastruktur ausbauen helfen, Ernährungssicherheit und ländliche Entwicklung gewährleisten und die Kapazitäten zu guter Regierungsführung und Rechtstaatlichkeit aufbauen.

Dieses ”Strategie“-Papier führt selbst einige der Daten zur krassen Verarmung von Entwicklungsländern an – ständig sinkende Einkommen pro Kopf und pro Land, Verluste am Anteil im Welthandel, Niedergang von Schul- und Gesundheitsversorgung etc. –, die selbst elementare Leistungen zur Existenzsicherung nicht mehr erbringen können.

Es wird aber nicht der Prozess selbst in Frage gestellt. Eben dafür gibt es gleichfalls Indikatoren in Fülle, nicht zuletzt von der OECD, beispielsweise zur Einengung des Welthandels auf die Industrieländer und auf gerade mal – zu geringem Anteil – zwölf ”Schwellenländer“.

Die Kommissions-”Strategie“ erklärt zwar die ”Bekämpfung der Armut“ wortreich zur ”zentralen Aufgabe“ der EU-Entwicklungspolitik. Doch die Liste der ”Prioritäten“ führt an erster Stelle prompt das Rezept an, das seine Untauglichkeit mittlerweile bewiesen hat:

”1. Handel und Entwicklung, einschließlich der Entwicklung von Handels- und Investitionspolitik, Beistand zur Integration in das multilaterale Handelssystem und in den Weltmarkt, zusammen mit technischem Beistand in handelsbedeutsamen Bereichen und für die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit des Privatsektors.“

Entwicklungs-NGOs ihrerseits weisen auf die Verluste und destabilisierenden Risiken hin, die den AKP-Staaten aus der forcierten Einrichtung von Freihandelszonen entstehen. Für die EU hingegen würden sie einen deutlichen Vorteil im Marktzugang und für Investitionen (in den AKP-Ländern selbst) bedeuten. Freihandelszonen würden viele AKP-Länder mit sehr unterschiedlichem Entwicklungsstand in einen höchst unfairen ”Wettbewerb“ zwingen – untereinander nämlich. Und sie würden massive Kosten der Liberalisierung nach sich ziehen: Kamerun etwa müsste auf 40 Prozent seiner Abgaben auf EU-Importe verzichten, Gabun auf 59 Prozent, Ghana auf 60 Prozent oder St. Lucia auf 40 Prozent. Mit riesigen Folgen für die Staatseinnahmen wie für die einheimische Produktion.

Mit Entwicklungspolitik hat diese Strategie nur noch herzlich wenig zu tun. Es ist Außenhandelspolitik pur. Es waren die Staats- und Regierungschefs der EU selbst, die mit dem Maastrichter EU-Vertrag die reinweg ideologische Formel von der ”Eingliederung der Entwicklungsländer in die Weltwirtschaft“ in die EU-Verfassung eingeschrieben haben.

Ein merkwürdiges Konzept, schon gar mit Blick auf die Gegebenheiten – in der Wirtschaft vieler Entwicklungsländer ist der Anteil der Außenwirtschaft höher als bei vielen europäischen und asiatischen Ländern.

Schon gar bei jenen in Anomie zerfallenen Gebilden wie Sierra Leone oder Kongo (Kinshasa), wo kaum noch von Staat und Wirtschaft die Rede sein kann, scheint weltwirtschaftliche Integration am weitesten fortgeschritten. Als Währung zählt der Dollar, und noch die letzte Grube wilder Diamantenschürferei im tiefsten Busch ist fast direkt abhängig von den Rohstoffbörsen in New York, London, Antwerpen, Tel Aviv oder Bombay. Staatliche Deregulierung und Integration in den Weltmarkt, wie sie kompletter kaum denkbar ist.

Der Autor lebt als Korrespondent verschiedener deutschsprachiger Printmedien in Brüssel und ist auf Fragen der Entwicklungspolitik der Europäischen Union spezialisiert.

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