Von starken Herzen und gepfefferter Liebe

Von Miriam Wiegele · · 2007/12

Gewürze werden von alters her auch in der Medizin verwendet. Viele heilende Effekte konnten moderne Forschungen wissenschaftlich nachweisen. Andere sind wohl umso wirksamer, je mehr die PatientInnen an sie glauben. Und darauf kommt es doch letztlich an.

Chinesische Mythen erzählen, wie der weise Kaiser Shen Nong vor 5.000 Jahren den Untertanen den gesundheitsfördernden Gebrauch von Kräutern und Gewürzen in einem Buch nahe gebracht hat. Gewürze begleiten die Menschheit also schon sehr lange. Auch das alte Ägypten kannte den Gebrauch von Gewürzen zu Heilzwecken. In der ayurvedischen Medizin spielen sie heute noch eine große Rolle, und über dieses Heilsystem wurde das Interesse an der Wirkung von Gewürzen wie Kurkuma oder Kardamom auch bei uns geweckt.
Über die Handelswege kamen viele Gewürze nach Griechenland und Rom. Im 1. Jh. n. Chr. verfasste der griechische Arzt Dioskorides das Arzneimittellehrbuch „De Materia Medica“. Dieser Mann beeinflusste in den nächsten 1.500 Jahren die Werke der mittelalterliches Kräuterdoctores maßgeblich.

Auch wenn in den Arzneibüchern bis in die Neuzeit viele Gewürze wie Galgantwurzel oder Gewürznelken enthalten sind, spielten sie in der Phytotherapie, also der Kräuterheilkunde, kaum eine Rolle. Man schrieb ihnen lediglich positive Wirkung bei Magen-, Gallen- und Verdauungsproblemen zu. Erst nach dem Dritten Reich, in dem man mit pseudowissenschaftlichen Untersuchungen den Deutschen weismachen wollte, dass Gewürze wie Pfeffer gesundheitsschädlich und sogar nierenschädigend seien – es ging schließlich darum, Devisen zu sparen -, begann eine seriöse wissenschaftliche Beschäftigung mit Gewürzen.

Ein kleines Gewürzheilmittel-Kompendium
Anis – als Tee gegen Husten, vor allem für Säuglinge und als Mittel gegen Albträume
Chili (oder gemahlen als Cayennepfeffer) – äußerlich in Form von schmerzlindernden Salben,
z.B. bei rheumatischen Schmerzen, und innerlich als Notfallmittel gegen Herzinfarkt
Gewürznelken – ersetzen nicht den Zahnarzt, helfen aber bei Zahnschmerzen und gegen Gastritis sowie Migräne
Ingwer – gegen „motion sickness“, also Reise- und Seekrankheit
Kurkuma – nicht nur gallenflüssigkeitsanregend, auch bestes Lebermittel
Muskat – die psychoaktive Nuss verhilft zu bunten Träumen und Lust auf Lust
Paprika – gegen den bösen Helicobacter, der schuld an der Gastritis sein soll und für ein starkes Herz
Pfeffer – verbessert
unter anderem die Entgiftungskapazität der Leber und, keine Angst, er ist nicht nieren- oder hautreizend
Safran – gut für Frauen und Männer (verbessert die Spermienqualität!)
Vanille – das Gewürz der Zärtlichkeit führt nicht nur zu emotioneller Herzlichkeit, sondern kann konkret herzstärkend sein
Zimt – nicht nur durchwärmend, sondern auch hilfreich bei Diabetes Typ 2
M.W.
Erste Untersuchungen des Ernährungsphysiologen Hans Glatzl vom Max-Planck-Institut zeigten, dass Gewürze mehr als Appetitanreger sind. Er konnte nachweisen, dass Paprikapulver die Kontraktionsfähigkeit der Herzmuskelzellen stärkt und die Fließgeschwindigkeit des Blutes verbessert, womit Thrombosen vorgebeugt werden kann. Dort wo viel Paprika oder Chili verwendet wird, gibt es statistisch signifikant weniger Herzinfarkte.
Neuerdings interessiert sich die Wissenschaft vor allem für das antioxidative Potenzial der Gewürze, sprich die Radikalfängereigenschaften. Freie Radikale sind, vereinfacht gesagt, chemisch aggressive Zellgifte und sauerstoffhaltige Moleküle, die Zellen angreifen und zerstören können. Sie werden vor allem mit Gefäßschädigungen, Herzinfarkt und Tumorerkrankungen in Zusammenhang gebracht. Regelmäßiger Gewürzgenuss könnte also helfen, solchen Folgen vorzubeugen. Dass viele Gewürze stark antibakteriell wirken können, ist lange bekannt, erfreulich ist, dass die meisten auch eine virusstatische (die Virenvermehrung hemmende) Wirkung haben. Die aphrodisierende Wirkung, die man Gewürzen immer schon zuschrieb, konnte übrigens auch bestätigt werden – Ingwer, Kardamom, Pfeffer, Zimt, Gewürznelken und Co. steigern die Durchblutung in den Sexualorganen und verhelfen somit zu „gepfefferter Liebe“.

Sehr viele Gewürze sind heute in Form „handlicher“, standardisierter (also einheitlich dosierter) Dragees oder Pulver in der Apotheke zu kaufen. Ob das notwendig und sinnvoll ist, sei dahingestellt. Jedenfalls kann man sich aussuchen, ob man Ingwer in Form von Kapseln als Mittel gegen Seekrankheit auf die nächste Mittelmeerkreuzfahrt mitnimmt oder es den chinesischen Auswanderern gleichtut, die sich seit jeher mit einem Sack frischer Ingwerknollen auf den Dampfer nach Amerika einschifften.

Miriam Wiegele ist Ethnobotanikerin, Buchautorin und freiberuflich in Rundfunk und TV tätig. Sie lebt im Südburgenland.

Literaturtipp:
Gernot Katzer, Jonas Fansa: picantissimo, Das Gewürzhandbuch
Verlag Die Werkstatt, Göttingen 2007, 360 Seiten EUR 25,60. Dieses Buch führt durch die globale Vielfalt unserer Gewürze.

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