Warten auf ein Wunder

Von Redaktion · · 2009/12

Der Weltklimagipfel in Kopenhagen Ende 2009 wird der wichtigste in der Geschichte der Klimaverhandlungen. Doch wie es derzeit aussieht, wäre ein spektakuläres Scheitern für den Klimaschutz förderlicher als das sich abzeichnende schlechte und schwache Abkommen, meint Wolfgang Mehl.

Ein neues, ehrgeiziges und ambitioniertes Klimaabkommen soll beschlossen werden, das weit über die Kyoto-Ziele hinaus geht und die Weltklimapolitik bis 2020 bestimmen soll. Eckdaten dieses neuen Abkommens sollen eine Stabilisierung der globalen Durchschnittstemperatur auf zwei Grad plus über dem vorindustriellen Niveau, eine gerechte Lastenverteilung zwischen Industrie- und Schwellenländern sowie eine umfassende Finanzierung der Anpassungsmaßnahmen, vor allem in den ärmsten Ländern der Welt sein.

Um dieses Ziel zu erreichen, wurde die Zahl der Zwischenverhandlungen und Unterarbeitsgruppen zu Klimarahmenkonvention und Kyoto-Protokoll erst verdoppelt. Dann immer weiter erhöht. Seit Monaten konferieren die zuständigen Beamten der Vertragsstaaten fast ohne Pause. Der schwedische EU-Vorsitz unter dem konservativen Premier Fredrik Reinfeldt hat ein ambitioniertes Kopenhagen-Abkommen zum mit Abstand wichtigsten Ziel der Präsidentschaft erklärt. Zumindest die schwedische Bevölkerung unterstützt laut Umfragen trotz Wirtschaftskrise diese Priorisierung.

Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht neue Studien und Berichte veröffentlicht werden, wonach der Klimawandel rapider voranschreitet als die schlimmsten Szenarios prognostizieren. Trotzdem stehen die Verhandlungen wenige Wochen vor dem Beginn der größten Klimakonferenz aller Zeiten vor dem totalen Scheitern und die politischen Schwergewichte der Welt beginnen, mit massivem Zurückschrauben der Erwartungen einer völligen Blamage vorzubeugen.

UN-Generalsekretär Ban Ki Moon Ende Oktober in Seattle: „Nach Kopenhagen können wir vielleicht nicht erwarten, in allen Punkten übereinzustimmen“, schränkte er ein, „aber wir sollten eine weitgehende Übereinstimmung haben.“ So sieht ein Begräbnis erster Klasse aus. Auch der höchste derzeitige EU-Verhandler auf politischer Ebene, Schwedens Umweltminister Andreas Carlgren, sprach wenige Tage vor Ban Ki Moon bereits von Klimaschutzzielen, die sich nicht mehr auf absolute Emissionsreduktionen beziehen, sondern auf Business-as-usual-Szenarios. Genau jenes Prinzip, das das EU-Emissionshandelssystem zum völligen Versagen geführt hat.

Auch die Hoffnungen auf die „neue“ US-Klimapolitik unter Barack Obama haben sich bis jetzt nicht erfüllt. Substanzielle Ziele oder gar Zahlen sind scheinbar ein völliges Tabu in allen verwendeten Formulierungen der US-Delegationen. Ein letztes Glied in der Kette der wenig erfreulichen Vorzeichen war das Scheitern der EU, sich auf einen zumindest EU-intern abgestimmten Vorschlag zur Finanzierung der notwendigen Anpassungsmaßnahmen in den Ländern des Südens zu einigen. Zu viele Länder, an der Spitze die neueren EU-Mitglieder, waren der Meinung, dass man das Geld doch lieber bei ihnen zu Hause einsetzen sollte. Wenige Wochen vor Kopenhagen eine gewaltige Provokation für die G77, wie der Zusammenschluss der Entwicklungs- und Schwellenländer in den Klimaverhandlungen genannt wird.

Warum ist es so schwer, ein substanzielles Abkommen zustande zu bringen, wo doch fast alle überzeugt sind, dass es um entscheidende Zukunftsfragen der Menschheit geht? Im Vordergrund steht ganz zentral der scheinbar unlösbare Konflikt zwischen Entwicklungs- und Industrieländern. Die ersteren meinen – stark vereinfacht, aber völlig zu recht – die reichen Länder des Nordens haben eine aktuelle und historische Verantwortung für den Klimawandel, also müssen von dort auch umfassende Emissionsreduktionen nachweisbar kommen, bevor über eine Einschränkung der Emissionen der Entwicklungsländer auch nur verhandelt werden kann. Davon war und ist bisher nichts zu sehen, weder in Verträgen noch in Zahlen und Bilanzen.

Die Industrieländer des Nordens argumentieren gerne – an der Grenze zum Zynismus -, dass der Klimawandel ein globales Problem ist, zu dessen Lösung alle beitragen müssen. Die Grundtaktik des Klimaverhandelns ist immer noch: „Ja keinen Millimeter bewegen, bevor sich nicht die anderen bewegen.“ Es gibt einen Basis-Verhandlungstext mit vielen hundert Seiten als Grundlage für ein Post-Kyoto-Klimaschutz-Abkommen. Dieser Text besteht aus allen Formulierungen, die von allen Staatengruppen hineinreklamiert wurden und sich deswegen zum Teil völlig widersprechen. Momentan sagen alle: „Wir müssen ganz dringend den Text massiv reduzieren, damit ein Ergebnis in Kopenhagen möglich ist, aber meine Vorschläge müssen unbedingt drinnen bleiben.“

Inzwischen ist vor lauter Taktieren die Zeit bereits zu knapp geworden. Dieser Prozess wird sich rein verhandlungstechnisch nicht mehr ausgehen.

Nach allen Prognosen wird Kopenhagen einen losen Rahmen von Absichtserklärungen für die Post-Kyoto-Klimapolitik bringen, ohne konkrete und bindende Verpflichtungen. Eine bewährte PR-Maschinerie wird versuchen, das Ergebnis als Erfolg darzustellen und minimale relative Klimaschutz-Verpflichtungen als große Leistung der Industrieländer des Nordens zu verkaufen.

Wenn nicht noch ein riesiges Weihnachtswunder passiert, ist es besser KEIN Abkommen zu haben und Kopenhagen möglichst laut und aufrüttelnd scheitern zu lassen, als ein schlechtes und schwaches Abkommen, das die Weltklimapolitik dann bis 2020 prägt. Vielleicht ist ja dann globales Aufwachen angesagt.

Wolfgang Mehl war von 1995 bis März 2009 Geschäftsführer von Klimabündnis Österreich. Er war seit Berlin 1995 bei fast allen UNFCCC Klimakonferenzen dabei und arbeitet seit April dieses Jahres in Schwedisch Lappland mit Klimaschutz- und Energieprojekten. In Kopenhagen wird er nochmals Klimabündnis Österreich vertreten.

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