Wasser des Teufels

Von Jürgen Langenbach · · 2002/06

Hilfsorganisationen wollten in Südasien mit dem Bau von Brunnen helfen. Doch was damals niemand wusste, fällt heute wie Schuppen von den Augen: das Grundwasser enthält Arsen. Millionen von Menschen leiden heute an den Spätfolgen.

Bangladesch kämpft mit der größten Massenvergiftung einer Bevölkerung in der Geschichte“, warnt die Weltgesundheitsorganisation WHO. „Das Ausmaß dieses Umweltdesasters übertrifft das jedes früheren und stellt auch Bhopal und Tschernobyl in den Schatten.“ Im Gangesdelta – und in vielen Schwemmländern Südostasiens – ist das Grundwasser großflächig mit Arsen verseucht.
Das Arsen kommt nicht vom Menschen, es war lange schon in der Natur, richtete aber keinen Schaden an, so lange das Grundwasser nicht genutzt wurde. Erst seit man es als Trinkwasser verwendet, verursacht es chronische Arsenvergiftung („Arseniosis“), die zunächst die Haut zerfrisst und dann – mit verschiedensten Tumoren, aber auch Leberzirrhosen – den ganzen Körper zersetzt: Zwischen 35 und 77 Millionen chronisch Vergiftete gibt es allein in Bangladesch, schätzt die WHO.
Das war ganz und gar nicht die Absicht, als internationale Organisationen, allen voran das UN-Kinderhilfswerk Unicef, in den 60er und 70er Jahren mit dem Bohren Tausender Brunnen zunächst in Westbengalen und dann im benachbarten Bangladesch begannen. Sie sollten die Bevölkerung vom bis dahin als Trinkwasser genutzten Oberflächenwasser unabhängig machen, das ihnen Typhus, Cholera und Diarrhöe gebracht hatte. Vor allem die Bäuerinnen und Bauern fürchteten das neue Wasser zunächst, gewarnt von alten Legenden vom „Wasser des Teufels“, ließen sich aber langsam überzeugen.

In den 80er Jahren zeigte sich in Westbengalen erstmals der Fluch der guten Tat, eine Hautkrankheit, die so sehr der Lepra glich, dass viele Opfer aus ihren sozialen Gemeinschaften ausgeschlossen wurden. Was es wirklich war, bemerkte der indische Epidemiologe Dipankar Chakraborti (School of Environmental Studies, Jadavpur University, Kalkutta), der das Problem im Alleingang und gegen offizielle Widerstände an die Öffentlichkeit brachte. „Seit 12 Jahren versuchen wir, die Ernsthaftigkeit der Gefahr in Westbengalen aufzuzeigen“, bilanziert der Forscher und Aktivist, „aber die besondere Aufmerksamkeit unserer Regierung haben wir damit noch nicht erreichen können.“
Immerhin konnte Chakraborti die wissenschaftliche Gemeinschaft und die internationalen Hilfsorganisationen auf einer Konferenz alarmieren, die er 1995 in Kalkutta organisierte. Trotzdem wurden weiter Brunnen gebohrt, deren Wasser nicht auf Arsen analysiert wurde. Deshalb haben Opfer aus Bangladesch im letzten Oktober eine erste Klage gegen eine der Organisationen – den britischen Geological Survey – eingebracht. Andere kritisieren härter, dass man auch vor 1995 schon hätte analysieren müssen, weil es in den 50er Jahren einen ähnlichen Fall mit fluorvergiftetem Wasser gegeben hatte und man auf Überraschungen gefasst hätte sein müssen.

Wie auch immer, auf der Konferenz in Kalkutta war auch der Chemiker Walter Kosmus von der Universität Graz, ein Spezialist für Arsen in den Alpen. „Das Arsen hat im Himalaya und in den Alpen denselben Ursprung, es ist in der Eiszeit von Gletschern aus dem Gestein gerieben worden und hat sich als Sediment in den Flüssen abgesetzt“, erklärt der Forscher, „aber durch die unterschiedlichen hydrogeologischen Verhältnisse bleibt das Arsen bei uns weitgehend in den Böden, während es in den Schwemmländern Asiens in das Grundwasser geht“. Wird dieses Grundwasser als Trinkwasser verwendet, zeigt es nach etwa zwölf Jahren seine Wirkung, die Haut wird pigmentiert und rissig: „Gibt man jemandem die Hand, fühlt sich das an wie Schmirgelpapier“, berichtet Kosmus über die ersten äußeren Zeichen. Krankheitsfälle werden sich demnächst exponentiell häufen, fürchtet der Experte, der die Katastrophe in ihrem gesamten Ausmaß erst noch kommen sieht: „Die Zeitbombe im Wasser wird jetzt scharf.“ Die Zwölfjahresfrist läuft ausgerechnet in den dichtest besiedelten Regionen immer noch oder läuft gerade ab.
„In Bangladesch sind die meisten Brunnen jünger als zwölf Jahre und noch nicht durchgemessen“, erklärt der Chemiker, dessen Institut ein einfaches Messgerät entwickelt und eingesetzt hat. Was von Kosmus und anderen Forschern schon gemessen ist, zeigt, dass regional 90 Prozent der Brunnen über dem ohnehin hohen Grenzwert von 50 Mikrogramm pro Liter liegen (die EU geht gerade auf einen Grenzwert von 10 Mikrogramm herunter); oft schnellen die Werte auf 300 Mikrogramm und mehr.
„Seit 14 Jahren haben wir in Westbengalen über 105.000 Wasserproben genommen, über die Hälfte von ihnen liegt über dem Grenzwert“, ergänzt Chakraborti, „und je mehr wir untersuchen, desto größer wird das Problem, immer mehr Brunnen und Menschen sind vergiftet“.
Noch müssen nach Kosmus’ und Chakrabortis übereinstimmender Schätzung „Millionen“ Brunnen durchgemessen werden. Und wenn sie gemessen sind, hilft bisher nur eines, die Kennzeichnung der Brunnen: Sie werden rot angestrichen, wenn ihr Wasser zu viel Arsen hat und nur zum Waschen verwendet werden sollte. Grüne Farbe signalisiert trinkbares Wasser. Eine Lösung auf Dauer ist das nicht, die Regierungen spielen mit utopischen Großprojekten, die Wasser über Tausende von Kilometern mit Kanalsystemen und Pipelines aus Flüssen herbei schaffen sollen.

Der nahe liegendere Weg, die Suche nach nicht vergiftetem Grundwasser, war zunächst durch einen innerwissenschaftlichen Streit darüber blockiert, unter welchen Umweltbedingungen das Arsen aus den Böden in das Wasser gerät und wie tief man bohren müsste, um nicht-kontaminiertes Wasser zu erschließen.
Kosmus, der als erster Forscher Bohrkerne in Bangladesch gezogen hat, konnte den Streit zwar schlichten und wüsste auch Rat: „Man muss tiefer bohren als bisher, um die hundert, zweihundert Meter.“ Aber dieser Rat ist im Wortsinn teuer. Die alten Brunnen wurden mit einfachem Gerät oft nur wenige Meter tief in die Erde getrieben, Millionen neue Tiefbrunnen wären für die armen Länder zu aufwändig.
Bleiben als Alternativen die vermehrte Nutzung von Regenwasser – Chakraborti empfiehlt sie – und chemische Klärverfahren. Man kann das Arsen aus dem Wasser ausfällen. Das praktiziert man mit Erfolg in Vietnam, in der Region von Hanoi, wo Michael Berg von der Eidgenössischen Anstalt für Wasserversorgung in Dübendorf bei Zürich vor zwei Jahren „im Trinkwasser ebenso hohe Arsengehalte wie in Bangladesch“ gefunden hat. Berg sieht „dieselbe hydrogeologische Situation in vielen Flussdeltas Südostasiens“ und fürchtet auch dieselben Auswirkungen auf die Wasserqualität. Dass sie bisher nicht aufgefallen ist, hat einen schlichten Grund: „Es wurde einfach noch nicht überall gemessen“, sei es aus Nachlässigkeit, sei es aus Sorge vor den Folgekosten, sei es aus Vorsicht: In Kambodscha etwa sind viele Regionen immer noch nicht von Minen geräumt. Andernorts kennt und erforscht man das Problem schon länger. Arsenkontaminiertes Grundwasser gibt es rund um den Erdball: in China, Taiwan, Südamerika, dem Südosten der USA, Finnland, ganz vereinzelt auch in Österreich (bei alten Bergwerken in den Alpen). Und: Chronische Vergiftungen haben sich früher schon gezeigt, regional begrenzter, teilweise auch mit anderen Krankheitsbildern.
In Taiwan heißt das Leiden „Schwarzfußkrankheit“, weil es mit Durchblutungsstörungen verbunden ist, die Amputationen erforderlich machen können: Arsen löst nicht nur Tumore aus, es legt auch Blutgefäße lahm und kann zu Herz- und Hirnschlag führen. Aber obwohl das Problem schon lange erforscht wird, ist vieles ungeklärt: Kommt das Arsen nicht nur direkt mit dem Trinkwasser in die Menschen, sondern auch indirekt, über pflanzliche und tierische Nahrungsmittel, über Muttermilch, gar über das Wasser in medizinischen Spritzen? Letzteres hat Chakraborti schon gefunden, alles andere ist offen; auch, ob einmal vergiftete Körper „dekontaminiert“ werden können.
Von alleine reinigen sie sich nicht, das weiß man von einem der ersten Fälle: 1942 hat man die Vergiftung bei Winzern an der Mosel bemerkt, die Arsen als Pestizid verwendeten und sich aus dem besonders kontaminierten Trester ihren „Haustrunk“ zubereiteten. 28 Jahre später war das Gift immer noch im Körper.

Jürgen Langenbach arbeitet als Wissenschaftsredakteur bei der Tageszeitung „Der Standard“.

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