Wenig Jubelstimmung

Von Nicola Glass · · 2007/09

Um die Meinungsfreiheit in Malaysia ist es schlecht bestellt. Über die zunehmenden ethnischen und religiösen Spannungen berichten nur einige wenige kritische Medien – und die stehen verschärft unter Druck. Fünfzig Jahre nach der Erlangung der Unabhängigkeit gärt es im Vielvölkerstaat.

Der Fall Lina Joy machte vor wenigen Monaten erneut Schlagzeilen in den internationalen Medien: Die Malaiin war bereits vor Jahren zum Christentum übergetreten. Genau diesen Schritt wollte Malaysias Justiz bislang nicht anerkennen. Joy solle sich einem islamischen Gericht stellen, hieß es. Nur dieses könne darüber entscheiden, ob sie ihren muslimischen Glauben ablegen dürfe. Doch genau darin liegt das Problem. Denn islamisches Recht verbietet eine Abkehr vom Islam.
Lina Joy ist kein Einzelfall. Im Vielvölkerstaat Malaysia macht sich ein bedenklicher Trend breit: Die Gesellschaft polarisiert sich zunehmend, religiöse Fragen geraten immer mehr zum Dreh- und Angelpunkt. Rund 60 Prozent der knapp 26 Millionen EinwohnerInnen sind muslimische Malaien, während unter der indischen und chinesischen Minderheit vor allem Hindus, Christen und Buddhisten zu finden sind.
Am 31. August 1957 erlangte Malaysia nach erfolgreichen Wahlen, die ein multiethnisches Bündnis gewann, die Unabhängigkeit von der Kolonialmacht Großbritannien. Dieser Jahrestag wurde heuer landesweit, unter anderem mit Paraden, Open-Air-Konzerten, Ausstellungen zur Geschichte des Vielvölkerstaates und Feuerwerk gefeiert. An vielen Hochhäusern der Hauptstadt Kuala Lumpur prangen bereits seit Monaten riesige Transparente mit der Aufschrift: „Herzlichen Glückwunsch zu 50 Jahren Unabhängigkeit!“
Doch heute haben nur wenige Medien den Mut, Missstände und ethnisch-religiöse Probleme offen anzuprangern. Eines davon ist die Onlinezeitung „Malaysiakini“ (Malaysia – Jetzt!). Im Gegensatz zu den staatlich gelenkten Medien, die meist nichts anderes als Sprachrohre der Regierung sind, ist Malaysiakini bekannt dafür, unbequeme Wahrheiten auszusprechen.
Chefredakteur Steven Gan hat die Onlinezeitung Ende 1999 mitbegründet. Damals war der langjährige Autokrat, Premierminister Mahathir Mohamad, noch an der Macht. Unter dessen Nachfolger, Premier Abdullah Ahmad Badawi, habe sich bei der Pressefreiheit in den letzten drei Jahren allerdings nicht viel geändert, sagt Gan: „Abdullah ist nicht der starke Mann, er ist kein Mahathir. Er hat weder das Charisma noch die Fähigkeit, seinen harten Griff auf das ganze Land auszudehnen, was eine gute Sache ist.“ Doch er fügt sofort hinzu: „Die Mainstream-Medien dürfen die Regierung oder den Premierminister jedoch immer noch nicht direkt kritisieren.“

Malaysia wird seit Erlangen der Unabhängigkeit im wesentlichen von einer Partei regiert, der „United Malays National Organisation“ (UMNO). Sie ist die führende Kraft innerhalb der Koalition „Nationale Front“. Eine Elite beherrscht Politik und Business und damit auch die staatlichen Medien. Wer es wagt, über Korruption und Machtmissbrauch zu schreiben oder KritikerInnen ein Forum bietet, wird unter Druck gesetzt. Momentan geraten vor allem regierungskritische Blogger ins Visier der Behörden, etwa Nathaniel Tan. Am Nachmittag des 13. Juli wurde der 27-jährige Blogger von der Polizei festgenommen und vier Tage lang verhört. Sein Computer und mehrere CDs wurden konfisziert. Der Vorwurf: Tan sei im Besitz von Unterlagen, die den stellvertretenden Minister für Innere Sicherheit der Korruption bezichtigten. Bei besagtem Dokument handelte es sich um einen auf „Tans Blog“ anonym geposteten Kommentar mit Verweis auf eine andere Internetseite.
Auch der Herausgeber der unabhängigen Webseite „Malaysia Today“, Raja Petra Kamarudin, war kürzlich stundenlang von der Polizei verhört worden. Artikel auf seiner Webseite hatten angeblich den malaysischen König und den Islam verhöhnt. Kritik an der Staatsführung ist unerwünscht, weiß auch Online-Journalist Steven Gan aus eigener Erfahrung: „Als Malaysiakini vor sieben Jahren auf der Bildfläche erschien, waren wir das Hauptangriffsziel. Dieselben Leute, die uns damals attackiert hatten, greifen jetzt die Blogger an.“
Die Einschüchterungsversuche gipfeln neuerdings darin, dass der für Justizfragen zuständige Minister Nazri Abdul Aziz droht, die Regierung werde nicht zögern, das umstrittene „Interne Sicherheitsgesetz“ (ISA) gegenüber Bloggern anzuwenden, die „sensible“ Themen ins Netz stellten. Das Gesetz, ursprünglich dazu gedacht, mutmaßliche Terrorverdächtige festzusetzen, erlaubt eine Inhaftierung auf unbestimmte Zeit ohne Gerichtsbeschluss.
Der Druck auf KritikerInnen ist politisch motiviert. Nicht anders ist zu erklären, dass diese zu einer Zeit verschärft ins Visier der Behörden geraten, wo in Malaysia über vorgezogene Neuwahlen gemunkelt wird. Es heißt, die Regierung wolle noch vor dem Frühjahr nächsten Jahres neue Wahlen ausrufen, um die Kandidatur des wohl prominentesten Oppositionellen des Landes zu verhindern: Anwar Ibrahim, der übrigens eng mit dem Blogger Nathaniel Tan zusammen arbeitet.

Anwar war einst Stellvertreter von Ex-Premier Mahathir, bis er sich 1998 mit seinem mächtigen Boss überwarf. Wegen angeblicher Homosexualität und Korruption wurde er ins Gefängnis geworfen, 2004 aber aus der Haft entlassen. Überraschend hatten die Richter die Anklage gegen Anwars vermeintliche Homosexualität aufgehoben – auf Intervention der Regierung Abdullah Badawis. Der Korruptionsvorwurf steht jedoch weiterhin im Raum. Deswegen darf Anwar bis April nächsten Jahres kein politisches Amt ausüben. Er engagiert sich derzeit als Berater für die 1999 von seiner Ehefrau gegründete „Nationale Gerechtigkeitspartei“, die heute „The People’s Justice Party“ (PKR) heißt.
Kritiker wie Anwar monieren, dass die so genannte „Neue Wirtschaftspolitik“ dazu beigetragen habe, die Kluft zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen zu verschärfen. Diese bereits Anfang der 1970er-Jahre initiierte Politik sollte die Armut bekämpfen und die ethnischen Malaien – auch Bhumiputras, Söhne der Erde – genannt, gegenüber den wirtschaftlich erfolgreichen Chinesen besser stellen. Offiziell ist diese Initiative ausgelaufen, zog aber viele Nachfolge-Programme nach sich.
Der Oppositionspolitiker Anwar Ibrahim plädiert dafür, diese Politik zu demontieren: „Milliarden von Dollar hat die politische Führung an sich genommen. Alles im Namen der Bhumiputra-Politik. Doch der einfache Mann auf der Straße und in den Dörfern hat nicht davon profitiert.“
Die Nationale Menschenrechtskommission „Suhakam“ kümmert sich unter anderem um ArbeitsmigrantInnen, Flüchtlinge und politisch Verfolgte. Suhakam trifft keine politischen Entscheidungen, vielmehr leitet sie Empfehlungen an die Regierung weiter. Menschenrechtskommissar Siva Subramaniam beteuert, dass er in seiner Arbeit nicht eingeschränkt werde: „Ich kann überall hingehen, zu jeder Polizeistation, in jedes Gefängnis. Aber unglücklicherweise berichten die Zeitungen nicht darüber, was ich zu sagen habe“, kommentiert er die augenfällige Selbstzensur der malaysischen Staatsmedien.

Doch offene Worte bleiben rar in diesem Land, in dem die ethnischen und religiösen Spannungen wachsen. Eine von der Nachrichtenagentur „Bernama“ kürzlich zitierte Bemerkung des Vizepremiers und Verteidigungsministers Najib Razak, dass Malaysia „ein islamischer Staat“ sei, sorgte für eine heftige Debatte. Denn Andersgläubige der chinesischen und indischen Minderheit identifizieren sich keineswegs damit. Inzwischen beeilte sich Premier Abdullah Badawi, seinen Stellvertreter in die Schranken zu weisen: Das Land sei „weder ein säkularer noch ein theokratischer Staat, sondern eine Vielvölker-Nation, welche die Freiheit der Religionsausübung einhalte“.
Moderate MuslimInnen, die sich trauen, die Zustände zu kritisieren, müssen allerdings damit rechnen, als Verräter der eigenen Religion gebrandmarkt zu werden. Der Oppositionelle Anwar Ibrahim, selbst Muslim, ist zutiefst betroffen darüber, dass Nicht-Malaien bereits offen gedroht wurde. Die Chinesen, so hatte es bei politischen Versammlungen geheißen, sollten es nicht wagen, malaiische Rechte und Privilegien in Frage zu stellen.
Ähnlich besorgt äußert sich auch Malaysiakini-Chef Steven Gan: „Wenn wir zurückschauen und sehen, wie weit sich Wirtschaft und Lebensstandard entwickelt haben, haben wir Grund, uns zu freuen“, resümiert Gan. „Aber wenn wir uns die Verbindungen zwischen den ethnischen Gruppen und all die religiösen Probleme anschauen, dann gibt es wirklich nicht viel zu feiern.“

Die Autorin ist Rundfunkjournalistin und Korrespondentin der taz für Südostasien und lebt in Bangkok.

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