Wickelnd weiterkommen

Von Richard Solder · · 2014/02

Wieso frischgebackene Eltern dank des Nachwuchses lernen und die Kleinsten unsere Gesellschaft vielfältiger machen.

Mit einem Baby auf dem Arm ist schwer Schnuller suchen. Überhaupt tauchen die hässlichen Dinger nie auf, wenn man sie braucht. Und dann spuckt sie der Kleine meist eh nach ein paar Sekunden wieder aus. Rückschläge dürfen einen nicht aus dem Konzept bringen: fokussieren! Es müssen dringend wieder Stoffwindeln gewaschen werden. Die Vitamintropfen, die der Kleine jeden Tag nehmen soll, hat er heute noch nicht bekommen. Der Einkauf steht noch an. Aber erst nachdem der Handwerker da war, der sich den kaputten Geschirrspüler anschauen wird. Vielleicht sollte man davor mal aus der Pyjamahose schlüpfen?

Frischer Nachwuchs ist eine Herausforderung. Besonders in den ersten Wochen, und in erster Linie für die stillende Frau, die Tag und Nacht gefragt ist. Der Mann ist in dieser Zeit unterstützender Nebendarsteller.

Die Kleinfamilie lebt anfangs in ihrem eigenen Raum- und Zeit-Kontinuum, das Baby gibt den Rhythmus vor. Die sonst so gern gelesenen Zeitungen werden unter Erst-eltern-Merkzetteln, den Baby-Ratgebern und den nicht beachteten Rechnungen (wir haben jetzt wirklich anderes im Kopf!) begraben. Bei der ZIB schreit das Kind immer. Und wenn man abends dann doch wieder einmal den Dostojewski aufschlagen will, fallen einem die Augen zu.

Doch das macht in Wahrheit gar nichts: Die geprüften Eltern werden entschädigt. Das Neugeborene erfährt im jungen Leben viel Neues, aber auch die Eltern lernen. Nein, nicht nur die Namen der schier unendlich vielen Marken von Babyprodukten, die alle unbedingt gekauft werden sollen. Frischgebackene Eltern lernen etwa, wie es ist – unterwegs mit dem Kinderwagen –, wenn man auf Barrierefreiheit und die Hilfe anderer angewiesen ist. Wir lernen, dass wir uns für den Kleinen Zeit nehmen müssen. Und das ist schön. Kann alles andere währenddessen warten? Ja, es kann! Was nicht heißt, dass man Interessen aufgeben muss. Auch soziale Kontakte lassen sich weiter pflegen – alles eine Frage der Organisation.

Das Kennenlernen ist von ganz speziellen Momenten geprägt. Etwa wenn man mit dem Baby kommuniziert, sei es in einer außerirdischen Sprache oder mit Blick und Mimik. Es ist toll zu sehen, wie der Nachwuchs sich entwickelt, mehr und mehr kann, die Welt zunehmend wahrnimmt.

In Schul- wie Studienzeit wurde mir vermittelt, dass ich mich weiterentwickle, wenn ich mich im klassischen Sinne bilde. Dass wir durch so einschneidende Lebenserfahrungen wie die Geburt des eigenen Kindes die Welt aus anderen Augen sehen und selbst dadurch bereichert werden können, gehörte nicht zum Kanon. Im Gegenteil: Unsere Gesellschaft vermittelt vielen, dass sie durch einen solchen Schritt viel verpassen könnten – die Karriere, das große Geld, die nächste Party.

Neben dem Schaffen von Rahmenbedingungen, die Familien fördern, sollten wir auch an einem gesellschaftlichen Klima arbeiten, das zulässt, dass die Kleinsten dazugehören, und zwar nicht nur in der U-Bahn. Dass das geht, zeigen einige Gesellschaften aus dem globalen Süden – von Brasilien bis Äthiopien. Diese sind uns diesbezüglich weit voraus.

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