Wider die chemische Welt

Von Hans Lindenbaum · · 1999/07

Bleibt bei kleinen Einheiten, dann macht ihr nur kleine Fehler, riet der aus Salzburg stammende Philosoph Leopold Kohr. Der Neoliberalismus beruft sich auf Sachzwänge und geht den umgekehrten Weg. Sechzig kluge Köpfe, allesamt TrägerInnen des „alternative

Die Frage richtet sich an eine kleine Runde: „Hätten wir vor zwanzig oder zehn Jahren genauso diskutiert? Was hat sich geändert?“ sagt Wangari Maathai aus Kenia. „Das Bewußtsein ändert sich, aber nur langsam. Wie ist das zu beschleunigen?“ wirft José Lutzenberger aus Brasilien ein. „Wir können nicht immer warten, bis Konzerne Bankrott gehen.“

Salzburg, Tagungshaus St.Virgil, Ende Mai. Im schattigen Park tauschen Trägerinnen und Träger des „alternativen Nobelpreises“ und Gäste Meinungen und Wissen zum Thema Energienutzung und Umweltaspekte aus. Draußen ist Unruhe und Krieg. Nicht nur auf Belgrad fallen Bomben. Im Tunnel der Tauernautobahn sterben zwölf Menschen, und auch die lebende Fracht von Tiertransportern kommt im Inferno um. Es gibt gerade Mega-Staus und Hochwasser.

Drinnen, im und rund um das Tagungshaus, ist die Ruhe umso größer, je selbstbestimmter sich kleine Gruppen zusammenfinden. „Die ökologisch günstigen Lösungen sind auch die ökonomisch insgesamt effektiven“, sagt die Gründerin der Umweltschutzbewegung „Green Belt Movement“ aus Kenia, Wangari Maathai.

Mit dem „alternativen Nobelpreis“ ausgezeichnete Leute aus Afrika, Asien, Nord- und Südamerika und Europa stimmen darin überein: Nur bei einseitiger Betrachtung „rechnen“ sich multinationale Konzerne; hinter profitablen Börsenkursen und dem Wettlauf um Größe stehen riesige Folgekosten, die auf die gesamte Welt abgewälzt werden.

José Lutzenberger, ehemaliger brasilianischer Umweltminister und Preisträger des Jahres 1988, belegt an Hand vieler Beispiele, daß mit intensiver Landwirtschaft nur kurzfristig Profit zu machen ist. So nenne man euphemistisch „vertikale Integration“, daß eine Handvoll großer Unternehmen die Geflügelwirtschaft in Brasilien kontrolliere. Von der Pflicht zum Ankauf der Küken bis zur „Ausfallsquote“ von bis zu einem Drittel der Tiere hätten die Vertragspartner („das sind neue Leibeigene“) jedes unternehmerische Risiko zu tragen, ihr Gewinn bleibe dagegen immer marginal. Nun stoße dieses System an seine Grenzen: Zwar hätten importierende Staaten bei Salmonellen im Hühnerfleisch ein Auge zugedrückt, würden aber jetzt die – wegen steigender Resistenz – immer höheren Dosen an verfütterten Antibiotika nicht mehr akzeptieren. Märkte brächen zusammen. Es gelte, die Bauern zum nachhaltigen Wirtschaften zu motivieren.

Tausende Frauen verdienen mit dem Schälen von Früchten Geld, ihre Haustiere fressen den Abfall. Maschinen brauchen für die gleiche Arbeit chemische Hilfe und machen Flüsse zu Kloaken. In der Folge mangelt es an Trinkwasser und Viehfutter, Fische sterben, die Nahrungskette ist gerissen. Ob Erdbeerfarmen oder Kaffeeplantagen: Agrochemie wirke nachweislich immer nur einige Jahre lang. Warum lassen sich Bauern dennoch darauf ein? „Der Kerl vom Konzern kommt mit einem großen Auto des letzten Modelljahrganges, steigt im teuersten Hotel ab und hat Produkte in schönen Verpackungen – da meinen die Leute, der habe es doch zu etwas gebracht“, sagt Lutzenberger. „Unsere Ideen sind vergleichsweise einfach, wir haben keine bunten Behälter.“

Das Gespräch bewegt sich um das Überleben kleiner Mengen und lokaler Märkte im zeitlichen Kontext mit dem Glauben an Globalisierung und Grenzenlosigkeit. „Small ist beautiful“ wurde zum Leitspruch von Leopold Kohr, jenes aus Salzburg stammenden politischen Philosophen, der im Alter wieder in seine Heimat zurückgekehrt ist und 1983 für seinen Entwurf eines menschlichen Maßes den Ehrenpreis des „Right Livelihood Award“ erhielt. 1986 wurde mit dem Zukunftsforscher Robert Jungk ein weiterer in Salzburg lebender Wissenschafter mit dem gleichen Preis ausgezeichnet. Seither hält sich Salzburg zugute, die einzige Stadt der Welt zu sein, in der zwei Träger des „alternativen Nobelpreises“ gelebt haben.

Zum Zwanzig-Jahr-Jubiläum der Preisvergabe haben nun die Stiftung und das Land Salzburg die rund 80 Ausgezeichneten eingeladen, um einander kennenzulernen, Erfahrungen auszutauschen und gemeinsam Ideen zu entwickeln. Rund 60 sind gekommen. Künftig sollen in jedem Frühjahr die jeweils zuletzt mit dem Preis Bedachten Salzburg besuchen.

Während des Treffens hat das Land Salzburg den Stifter, den schwedisch-deutschen Wissenschaftler Jakob von Uexküll, mit dem „Salzburger Landespreis für Zukunftsforschung“ ausgezeichnet. Diesen erhielten davor Robert Jungk (1993) und die deutsche Schriftstellerin Dorothee Sölle (1996).

Während des viertägigen Kongresses schwelt ein Konflikt um den Krieg auf dem Balkan. Immer wieder monieren TeilnehmerInnen, das Geschehen zu thematisieren. „Wir versuchen zu handeln, wir sind keine Gruppe, die Appelle richtet – aber ich verstehe Ihre Betroffenheit“, versucht Uexküll zu beruhigen. Gar kein Platz für klassische Friedensarbeit? Spontan entsteht eine Erklärung, die „ethnische Säuberung jeder Art, das Bombardement auf Jugoslawien und die Aktionen der USA und der NATO“ verurteilt. 35 Anwesende unterschreiben.

„Hier sind Leute mit einer starken Affinität zur NATO“, bemerkt ein Gast aus dem Süden. Auch das übrige Kongreßgeschehen dominiert oft der Norden. „Sie haben bei Ihrer Analyse vergessen, daß …“, sagt schulmeisternd ein Diskutant. Er besticht durch die Eloquenz, die ihm die Verwendung seiner Muttersprache Englisch möglich macht.

Unterschiedlich auch die zur Verfügung stehenden Hilfsmittel. So liest die Nordamerikanerin ihre Stichwörter und Pointen vom Laptop ab. Der Gast aus dem Süden bietet bescheiden ein unscheinbares Heftchen an und sagt: „Wenn Sie wollen, übersetzen Sie es bitte in Ihre Sprache und veröffentlichen Sie es.“

Bei den wichtigsten Anliegen stimmen alle überein: Kleine Männer-Cliquen in den reichen Staaten herrschten aus Gewinnsucht und Größenwahn weltweit immer mehr über Mensch und Natur. „Wenn wir nicht aufpassen, könnten wir ausbrennen“, sagt der Buddhist Sulak Sivaraksa, Preisträger im Jahr 1995, und vermißt bei solch atemberaubenden Entwicklungen jene Harmonie, die das eigene Handeln bestimmen sollte. „Intellektuell zu sein, ist wichtig, aber das darf nicht zur Cleverness ausarten.“

„Wenn globale Handelsverträge in der Öffentlichkeit als friedensstiftend dargestellt werden, so ist das Propaganda“, stellt die schwedische Linguistin Helena Norberg-Hodge fest, die den Preis 1986 für ihr ökologisch-soziales „Ladakh-Projekt“ erhielt. „Diese Form des Wirtschaftens schafft Gewalt.“

Interessen wie Manipulation und Patentierung von Genen und Verringerung der Artenvielfalt lägen in einer Gesellschaft nahe, die längst eine „chemische Welt“ geworden sei, so die Inderin Vandana Shiva, Preisträgerin von 1993. „Aber die Lebewesen gehören nicht der WTO.“

Mit dem Argument wissenschaftlicher Leistung drängten nun Konzerne auf Patente für Entdeckungen, sagt Lutzenberger. Entdeckungen seien doch „Leistungen der Natur während Millionen von Jahren“ und ganz etwas anderes als Erfindungen. „So gesehen, hätte sich ja Kolumbus Amerika patentieren lassen können.“

Ein Resümee der Vorträge und Diskussionen zu ziehen, fällt schwer – versteht doch die Right-Livelihood-Stiftung selbst ihre Arbeit als „work in progress“. Was könnten einige Schlagzeilen im als Zusammenfassung der thematisierten Forderungen sein? Neue Spiritualität statt Konsumismus als Selbstzweck. (Mit den Worten von Sulak Sivaraksa: „The more you have, the more you debt!“) Artenvielfalt statt industrieller Einheitsprodukte („Integrität des Lebens“, „from global to local“). Und: Gleichberechtigung für die Dritte Welt statt undemokratischer Expertengremien (Reform der Organisationen – zuvorderst der WTO.)

Die Gäste haben sich wieder in alle sprichwörtlichen (Süd-)Winde zerstreut. Drei TeilnehmerInnen waren inzwischen bei der neuen israelischen Regierung, um für die Freilassung des Wissenschaftlers Mordechai Vanunu aus seiner nunmehr zwölfjährigen Einzelhaft zu intervenieren.

Die Guatemaltekin und Kämpferin für Menschenrechte, Helen Mack Chang, Preisträgerin 1992, und der Chilene Juan Pablo Orrego, 1998 für seinen Einsatz gegen den Bau von Staudämmen im Biobio-Tal ausgezeichnet, haben sich wieder in ihren gefährlichen Alltag begeben, wo ihr Leben von Gewalt bis hin zum Mord bedroht ist.

Der Autor ist freiberuflicher Journalist und Gesellschaftswissenschafter und lebt in Salzburg

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