Wider die Ohnmacht der Zentralbanken

Von Robert Poth · · 2003/10

Die Geldschöpfungsfähigkeit der Geschäftsbanken hat sich weltweit zu einem wesentlichen Krisenfaktor entwickelt. Dieses Privileg sollte stattdessen der Zentralbank überantwortet werden, fordern KritikerInnen des Geldsystems: Das wäre besser für die Wirtschaft und lukrativ für den Staat.

Deflation, also ein sinkendes Preisniveau, ist der Gottseibeiuns der Zentralbanken. Spätestens dann wird Geldpolitik „impotent“: Um die Verschuldungsbereitschaft zu fördern, sollten die Leitzinsen notfalls auch real negativ sein können – etwa wie in den USA oder in manchen Ländern der Eurozone, wo sie derzeit unter den jeweiligen Inflationsraten liegen. Weniger als nominell Null geht aber nicht, und wenn der Preisindex etwa um 2% fällt, bedeutet Null Realzinsen in genau dieser Höhe. An diesem Problem laboriert die Bank of Japan seit Jahren. Deflation beschreibt aber nur den höchsten Grad der Ohnmacht der Zentralbanken: „Mächtig“ sind sie allenfalls, wenn es darum geht, einen inflationstreibenden Wirtschaftsboom durch Zinserhöhungen abzuwürgen – das funktioniert, wenn auch nur mit einigem Zeitabstand und nach entstandenem Schaden.
Ein wesentlicher Grund dieser Ohnmacht ist die Konstruktion des Geldsystems. Eine Zentralbank kontrolliert nur einen Teil der umlaufenden Geldmenge, nämlich das Bargeld („M0“ für Geldmenge Null). Dieses Geld kann (und darf) nur sie „aus dem Nichts“ in die Welt bringen, indem sie es den Geschäftsbanken als verzinslichen Kredit zur Verfügung stellt, falls diese Bedarf daran haben. Da Bargeld aber Zinsen kostet, versuchen die Banken mit Erfolg, ihre Kunden dazu zu bringen, den bargeldlosen Zahlungsverkehr mit ihrem eigenen „Giralgeld“ zu akzeptieren. Der Giralgeldanteil an der Geldmenge M1 (Bargeld plus Giralgeld) nimmt daher laufend zu (siehe Grafik).

Giralgeld schöpfen die Geschäftsbanken „passiv“ bei der Umwandlung einer Bareinlage in eine Guthabenbuchung und „aktiv“, wenn sie einen gewährten Kredit am Kundenkonto gutschreiben. Die aktive Giralgeldschöpfung ist jedoch nicht durch die Einlagen (Ersparnisse) beschränkt: Eine Geschäftsbank kann Geld auch „aus dem Nichts“, etwa gegen Sicherheiten, schaffen und so die Geldmenge erhöhen. Diese Geldschöpfung ist für die Banken profitabel, weil sie im ersten Fall das Bargeld an die Zentralbank zurückgibt und sich im zweiten Fall die Bargeldzinsen von vornherein erspart. Daraus ergibt sich ein zusätzlicher Anreiz zur Kreditexpansion. Die einzige wesentliche Beschränkung ist heute der Mindestreservesatz (derzeit 2%) für gewisse Verbindlichkeiten, der bei der Zentralbank in Bargeld zu deponieren ist. Bei mehr als 2.000 Mrd. Euro Giralgeld in der Eurozone könnte das „Körberlgeld“ der Banken beim aktuellen Zinsniveau zumindest 40 Mrd. Euro jährlich betragen.
Mit der Deregulierung des Finanzsektors seit den 80er Jahren wurde diese Geldschöpfungsfähigkeit durch Aufgabe von Kreditkontrollen und Senkung der Mindestreservesätze laufend erweitert. Innovationen wie die Umwandlung von Kreditforderungen in handelbare Wertpapiere haben die Möglichkeiten der Banken, eine Spekulationsblase in Immobilien- oder Aktienmärkten oder Überkapazitäten im Realsektor zu finanzieren, noch weiter gesteigert. Die Folgen sind offensichtlich: Den meisten Finanzkrisen der letzten Jahrzehnte, angefangen mit der Schuldenkrise der Entwicklungsländer in den 80er Jahren bis zum Platzen der Börsenspekulationsblase in den USA, lag eine riskante Kreditexpansion zugrunde.

Was wäre zu tun? Während offizielle Ansätze darauf abzielen, die Banken durch striktere Eigenkapitalstandards wieder etwas an die Zügel zu nehmen, befürworten ExpertInnen wie der deutsche Wirtschaftssoziologe Joseph Huber, das Problem gleich an der Wurzel zu packen: Am besten wäre es, den Geschäftsbanken die Geldschöpfung gänzlich aus der Hand zu nehmen. Im Gegensatz zum heutigen Teilreservesystem, in dem nur Zentralbankgeld rechtlich Geld ist, die Giralgeldguthaben jedoch bloß Forderungen auf Geld sind, spricht Huber vom System eines „Vollgeldes“. Geld sollte ausschließlich von der Zentralbank in Form von Banknoten, Münzen und Buchgeld emittiert werden. Dieses Buchgeld wäre im Unterschied zum Giralgeld „vollwertiges“ Geld und würde auf Kundenkonten der Geschäftsbanken analog zu heutigen Wertpapierdepots verwaltet.

Worin bestehen die Vorteile? Einmal in der Ausschaltung der übermäßigen Kreditexpansion bzw. -verknappung in Aufschwungs- und Abschwungsphasen und ihrer Folgen. Der Zentralbank wird es außerdem möglich, das Preisniveau sowohl gegen Inflation als auch Deflation zu sichern: Der dem Wachstum der Wirtschaft entsprechende jährliche Zuwachs der Geldmenge kann nicht nur in Form von Krediten, sondern auch in Form von Schenkungen für soziale und ökologische Zwecke zur Verfügung gestellt werden. Diese Schenkung kostet die Zentralbank nichts, da sie ja dieses Geld aus dem Nichts schafft und in Form von Buchgeld nicht einmal drucken lassen muss, während sie umgekehrt bei einer Kreditvergabe das bisherige „Körberlgeld“ der Banken lukrieren kann. Die Schenkung wird nur als Ausgleich getätigt, insoweit zu wenig Kredite aufgenommen werden. Was spricht dagegen? Sicher das Risiko eines politischen Missbrauchs der Zentralbanken. Das wäre aber im Vergleich zu den Risiken des aktuellen Systems vielleicht verkraftbar.

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