„Wir müssen zu den Idealen der Revolution zurückkehren“

Von Redaktion · · 2009/07

Der Dichter, Priester und ehemalige Kulturminister Ernesto Cardenal hat sich, so wie viele andere Kulturschaffende und Intellektuelle in Nicaragua, längst von dem heute herrschenden Zirkel um Präsident Daniel Ortega getrennt. Die revolutionären Werte von damals gingen verloren, doch viele Menschen bewahren sie weiter, erzählt er im Gespräch mit Klaus Ther.

Südwind: Nicaragua war vor etwa 30 Jahren eine Art David, der sich gegen Goliath aufgelehnt hat. Und schließlich eine Revolution erlebte. Wenn Sie heute mit der ganzen Kenntnis dessen, was inzwischen passiert ist, zurückblicken: Wie bewerten Sie heute die Revolution von damals?
Ernesto Cardenal:
Diese Revolution damals war eine sehr schöne Revolution, für mich, aber auch für viele andere! Ich würde sagen, es war die schönste Revolution der Welt; eine zärtliche Revolution, und sie erhielt auch Solidarität und Zuspruch in der ganzen Welt! Aber diese Revolution war nicht erfolgreich. In meinen Erinnerungen spreche ich von der „verlorenen Revolution“. Irgendwann jedoch wird es wieder eine Revolution in Nicaragua geben. Jetzt allerdings sind wir weit davon entfernt.

Nicaragua führte einen revolutionären Krieg. Was ist aus den Idealen der Revolution geworden? Sind sie verloren, ist all das zerfallen, was damals Gültigkeit hatte? Gibt es eine Chance, Werte gegen den Zerfall zu schützen?
Die Werte gingen verloren – sicher. Für viele, aber nicht für alle. Viele bewahren die Ideale unserer Revolution. Ideale für die Vielen, die gefallen sind, das soll nicht vergessen werden. Einige haben ihre Prinzipien aufgegeben und die Ideale und die Revolution verraten, das sind diejenigen, die jetzt im Namen unseres Nationalhelden Augusto César Sandino und des Sandinismus regieren. Aber das ist kein Sandinismus, die Ideale der Linken und der Revolution gibt es nicht mehr bei diesen Leuten, geblieben ist nur die Korruption. Und Diebstahl, unheimlich viel Diebstahl.

Aber die Menschen leben in Frieden, es gibt keinen Krieg mehr. Das sind doch bessere Bedingungen. Sehen Sie Chancen für eine Verbesserung der Lage in Nicaragua?
Jetzt haben wir wieder wie früher eine Familiendiktatur. Wir müssen wieder zu den Idealen der Revolution zurückkehren. Das ist das Ziel.

Da gibt es einen neuen alten neuen Präsidenten, Daniel Ortega. Er war ein langjähriger Kampfgefährte von Ihnen. Sie kritisieren ihn heute aufs Schärfste. Wie sehen Sie ihn nun, warum hat er sich so entwickelt?
Warum er sich so entwickelt hat, das weiß ich nicht, das verstehen wir alle nicht – das kann ich Ihnen nicht beantworten! Die einzige Antwort ist vielleicht die: So sind Menschen nun einmal auch. Der Mensch trägt ein unermessliches Potenzial in sich – sowohl im Guten als auch im Schlechten. Daniel Ortega ist heute ein ganz anderer, als er damals war. Er ist ein „politischer Mutant“ – mehr kann ich nicht dazu sagen.

In Lateinamerika haben sich historisch zwei einander gegenüberstehende Interpretationen des Evangeliums herauskristallisiert. Auf der einen Seite die Sichtweise der „Theologie der Befreiung“. Und – auf der anderen – die offizielle Theologie der römisch-katholischen Kirche. Welches Potenzial hat die Theologie des Vatikan in Lateinamerika?
Ich denke, was die Theologie der Befreiung angeht, ist und bleibt sie die Theologie des Evangeliums, sie ist die Frohbotschaft der Befreiung der Armen. Dem gegenüber steht die Theologie des Vatikan. Dessen Theologie handelt weder von der Befreiung noch von den Armen. Das wundert nicht, leben doch diejenigen, die im Vatikan das Sagen haben, selbst in großem Reichtum.

Aber meine Frage war: Was kann der Vatikan heute noch in Lateinamerika bewegen?
Er kann gar nichts tun, er hat kein Potenzial, außer dass er die verbleibenden Reste der Errungenschaften des Zweiten Vatikanischen Konzils auch noch beseitigen kann. Ein Konzil, das große Hoffnungen geweckt hat. Die Kirche wird – wenn es so weiter geht – um Jahrhunderte zurückgeworfen. So handelte der verstorbene Papst, und genauso handelt auch der amtierende.

In den USA gibt es einen neuen Präsidenten, Barack Obama, mit einem ganz anderen Auftreten als seine Vorgänger. Viele Lateinamerikaner, die aus dem Norden nur das Schlechte und Böse erwarteten, erwarten jetzt Gutes von dort. Das viele Jahrzehnte geltende Urteil, dass aus dem Norden nichts Gutes kommt, könnte jetzt eine Wende erfahren.
Ich gehöre zu denen, die große Hoffnung in die Vereinigten Staaten legen. In die Vereinigten Staaten, wie sie Obama jetzt vertritt. Aber meine Hoffnung bezieht sich nicht allein auf ihn, sondern auch auf diejenigen, die ihn gewählt haben. Aber nicht nur auf die, sondern auch auf diejenigen, die ihn nicht gewählt haben. Und ihn jetzt sicher unterstützen. US-Magazine wie „Time“, die in der Tendenz konservativ, ja vielleicht sogar reaktionär sind, und „Newsweek“: Beide meinten schon vor seiner Wahl, dass er vielleicht einer der bedeutendsten Präsidenten der USA werden könnte, wie John F. Kennedy, Abraham Lincoln und Franklin D. Roosevelt. Da gibt es eine vollkommene Transformation in den USA. Nicht nur einen schwarzen Präsidenten im Weißen Haus, sondern auch eine neue Mentalität. Das ist die Hoffnung.

Und was bedeutet das für Lateinamerika?
Auch hier werden sich die Dinge in gleichem Maße ändern.

Klaus Ther ist Mitarbeiter des ORF-Religionsmagazins „Orientierung“.

Ernesto Cardenal weilte auf Einladung der Nichtregierungsorganisation GLOBart in Österreich, die ihm am 14. Juni den GLOBart Award verlieh – „für sein engagiertes politisches Eintreten als Befreiungstheologe und für sein künstlerisches Schaffen“ (www.globart.at).

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