„Wir schaffen eine drogenfreie Welt“

Von Robert Lessmann · · 1999/09

Pino Arlacchi, Chef des in Wien ansässigen UN-Büros für Drogenkontrolle und Verbrechensbekämpfung, ist überzeugt von einem Erfolg der internationalen Rauschgiftbekämpfung binnen zehn Jahren. Mit dem renommierten Wissenschaftler sprach Robert Lessmann.

Seit mit Pino Arlacchi zum ersten Mal ein Soziologieprofessor an der Spitze der UN-Drogenbekämpfung steht, herrscht dort Aufbruchsstimmung. Auf einer Sondergeneralversammlung zum Thema Drogen im Juni letzten Jahres setzte sich die Weltgemeinschaft zum Ziel, das Drogenproblem in den nächsten zehn Jahren weltweit in den Griff zu bekommen. Derzeit arbeiten die Vereinten Nationen an der ersten internationalen Konvention gegen organisierte Kriminalität, die vor dem Ende des Jahres 2000 unter Dach und Fach sein soll. Nicht wenige halten Arlacchis Enthusiasmus schlicht für verrückt.

Seine Arbeiten wie „Mafiose Ethik und der Geist des Kapitalismus“ dienten zur wissenschaftlichen Untermauerung einschlägiger Gesetzesinitiativen im Kampf gegen die Mafia in Italien. Aus dieser Erfahrung bezieht er seinen Optimismus: Organisierte Kriminalität ist keine schicksalhafte Naturgewalt. Sie ist besiegbar, wenn ein breiter politischer Wille dazu vorhanden ist und die Behörden entschlossen vorgehen.

Frage: Was ist die konkrete Utopie hinter Ihrem Slogan: „A Drug Free World – We Can Do It“? Was können wir erhoffen?

Mehr als hoffen würde ich sagen: erwarten. Die Perspektiven dafür sind sehr viel besser als noch vor einigen Jahren. Wir haben einen toten Punkt überwunden, der stets ein ernsthaftes, gemeinsames Vorgehen gegen Drogen auf internationaler Ebene behindert hat. Und der bestand im Streit zwischen den sogenannten Entwicklungsländern und den entwickelten Ländern über den richtigen Weg im Kampf gegen Produktion und Konsum von Drogen. Heute ist die Drogenkontrolle eines der wenigen unkontroversiellen Gebiete, die wir haben. Es ist uns gelungen – insbesondere mit der Sondergeneralversammlung zum Thema Drogen im Juni letzten Jahres in New York – die Basis für ein konsequenteres Vorgehen in der Drogenkontrolle zu legen. Und zwar sowohl was die Eliminierung unerlaubten Anbaus angeht, als auch die Reduzierung der Nachfrage nach Drogen.

Über das Gebiet der illegalen Drogen hinaus – einschließlich Alkohol und Tabak – sehen wir eine wachsende Tendenz zum Schutz der physischen und psychischen Integrität der Menschen. Es handelt sich um eine langfristige Tendenz, die parallel läuft zu anderen Langzeittendenzen, wie etwa der zum Schutz der Umwelt. Darin spiegelt sich ein Denken, das davon ausgeht, daß der Mensch nicht nur politische, soziale und wirtschaftliche Rechte hat, sondern auch ein Recht, seinen Lebensstil oder seine Lebensqualität, wenn sie so wollen, zu schützen und zu verbessern.

Frage: Ich habe den Eindruck, daß sich auf der Ebene der Debatte die Extreme angenähert haben, zwischen „zero tolerance“ gegenüber Drogen einerseits und Legalisierung andererseits. Ist die Debatte über Drogen nüchterner, rationaler geworden?

Es gibt eine zunehmende Annäherung der unterschiedlichen Ansätze. Aber der Rahmen bleibt grundsätzlich erhalten (und das sind die internationalen Konventionen der UN zum Thema Drogen).

Frage: Sie haben die Verbesserung des Lebensstils angesprochen. Ich habe den Eindruck, daß in der Debatte mehr und mehr anerkannt wird, daß es nicht einfach um den Effekt geht, den diese oder jene Substanz auf den menschlichen Organismus hat, sondern daß das Problem im Zusammenwirken einer ganzen Reihe von auch sozialen, wirtschaftlichen und politischen Faktoren besteht: Von einer möglichen genetischen Prädisposition zum Drogenkonsum, über den Familienzusammenhalt, sozio-ökonomische Verhältnisse in der Gesellschaft bis hin schließlich zur Verfügbarkeit illegaler Drogen. Wie schlägt sich das in konkreter Politik nieder?

Wir müssen berücksichtigen, was uns die Wissenschaft dazu zu sagen hat. Die relevante Organisation für uns auf diesem Gebiet ist die Weltgesundheitsorganisation (WHO). Und natürlich müssen wir berücksichtigen, was die Mitgliedsstaaten der UN-Drogenkommission dazu sagen. Unser Mandat hängt von ihren Entscheidungen ab. Was Ihre Frage betrifft, ob die Drogendiskussion vernünftiger geworden sei: Ich bin nicht grundsätzlich gegen Reformen, aber wir sollten dabei sehr vorsichtig sein. Die Konsummuster sind sehr unterschiedlich und variabel. Wir sollten besser über die Entwicklung solcher neuen Konsummuster bescheid wissen.

Frage: Ist es nicht so, daß mit der Globalisierung traditionelle Mechanismen sozialer Kontrolle und Familienbindungen tendenziell schwächer werden, daß soziale Ungleichheit weltweit zunimmt? Auch die Muster des Drogenmißbrauchs scheinen einer Globalisierung zu unterliegen.

Natürlich. Es gibt viele Gründe für Drogenkonsum. Aber die Triebkraft seiner Expansion ist heute die Globalisierung. Auf der Angebotsseite erleichtern offene Grenzen, zunehmende Handelsströme, mehr und schnellere Kommunikation den Schmuggel. Auf der Nachfrageseite sehe ich zwei Tendenzen. In der westlichen Welt bestehen heute in einigen Ländern starke Barrieren gegen Drogenmißbrauch. Wir sehen hier eher eine Stabilisierung. Sorgen mache ich mir sozusagen um den Rest der Welt.

Frage: Sie sprechen von einer Zehnjahresfrist, binnen der der unerlaubte Drogenanbau eliminiert sein soll. Viele befürchten aber, daß es mit den kurzen Fristen und der Einbeziehung des Militärs, um sie zu erreichen, es zu Menschenrechtsverletzungen kommt und nicht zuletzt, daß diese Anstrengungen nicht zu einer nachhaltigen Reduzierung führen, solange nicht ausreichend und unmittelbar ökonomische Alternativen für die betroffenen Bauern bereitgestellt werden.

Wir tun eine Menge, um den betroffenen Regierungen und den Campesinos Mittel dazu zu geben. Alle unsere diesbezüglichen Programme laufen sehr gut. Was die Menschenrechte betrifft, so glaube ich, gibt es eine Menge Übertreibungen. Ich reise wirklich viel dorthin und spreche nicht nur mit den Regierungen, sondern auch mit den Menschen und mit anderen, dort tätigen UN-Organisationen, auch denen, die sich um die Menschenrechte kümmern. Und mir sind keine bedeutsamen Menschenrechtsverletzungen im Felde der alternativen Entwicklung bekannt. Jeder Fall von Menschenrechtsvergehen, von dem ich weiß, wird untersucht und es wird gehandelt. Denn das wichtigste Mandat, das wir in den Vereinten Nationen haben, ist das für Menschenrechte und Frieden. Wir können diesen Prinzipien nicht zuwiderhandeln.

Wir sollten bedenken, daß alternative Entwicklung sich in einem politischen Umfeld bewegt, das von harten und schwierigen politischen Auseinandersetzungen gekennzeichnet ist. Da gibt es Produzentenorganisationen der Kokabauern, die – besonders in Bolivien – politisch sehr aktiv sind. Sie haben Vertreter im Parlament. Wenn wir also energisch handeln, ist das für diese Leute eine Bedrohung und sie organisieren Proteste, Demonstrationen und so weiter. Aber ihre Gefolgschaft hat in den letzten Jahren abgenommen, weil mehr und mehr bolivianische Bauern mit uns darin übereinstimmen, daß, wenn sie mit uns zusammenarbeiten, sie auf lange Sicht genausoviel Einkommen haben können wie mit Koka, aber auf legale und umweltverträgliche Art und Weise. Und es geht ja nicht nur um den Ersatz von Koka durch andere Produkte. Wir verhelfen ihnen zu einem besseren Leben: Sie überwinden das illegale Umfeld, sie bekommen Schulen, Spitäler, Straßen. Das ist eine Botschaft, die ankommt.

SÜDWIND-Mitarbeiter Robert Lessmann, spezialisiert auf Fragen der Drogenthematik, hat sich mehrere Jahre zu Forschungszwecken in den Andenländern aufgehalten. Im Vervuert-Verlag, Frankfurt/M., erschien im Vorjahr sein Buch „Drogenökonomie und internationa

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