Wirklich zeichnen

Von Michaela Krimmer · · 2011/02

Voll mit Superhelden und Fantasiewesen – so sehen viele Comics aus. Doch im Comic-Journalismus dreht sich alles um die Wirklichkeit.

ZeitungsmacherInnen stehen der Entwicklung kritisch gegenüber. Ein Cartoon auf einer Viertelseite ist kaum noch wegzudenken aus den Zeitungen. Aber eine gezeichnete Reportage, ein journalistischer Comic? Kaum möglich. Dabei gab es 2008 eine Ausnahme, die für Aufregung sorgte: Joe Sacco hatte zu irakischen Häftlingen und Folteropfern recherchiert. Anstatt einen weiteren Artikel zu schreiben, zeichnete er über acht Seiten hinweg im US-amerikanischen Guardian seine Erkenntnisse.

Joe Sacco gilt als einer der bekanntesten JournalistInnen, der das Zeichnen als Ausdrucksform für sich gefunden hat. Er kombinierte seinen Beruf – aus politisch brisanten Weltgegenden zu berichten – mit seinem Hobby, Comics zu zeichnen. Der US-maltesische Journalist wurde mit seinem Reportage-Comic „Palästina“ weltberühmt. Er machte den Stil, der oft als Comic-Journalismus bezeichnet wird, weltbekannt. Das Buch zeigt die Reise von Sacco in den Jahren 1991/92 durch Palästina und Israel während der abflauenden Gewalt der 1. Intifada. Ganz bewusst führt er selbst durch das Buch. Die – utopische – Objektivität des Journalismus wird nicht einmal angestrebt. Man sieht Joe Sacco in Palästina und wie er das Land erlebt. Durch die eindringlichen Zeichnungen wird eine Weltgegend erfahrbarer und näher als je zuvor: eine Gegend, von der man dachte, bereits alle Geschichten in den Nachrichten gehört zu haben.

Später veröffentlichte Sacco noch weitere Berichte im gleichen Stil zum Balkankrieg.

Gerade für Länder und Situationen, in denen es JournalistInnen schwer haben, zu recherchieren oder zu fotografieren, eignet sich der Comic-Journalismus. Der Kanadier Guy Delisle zählt zu den humorvollsten VertreterInnen dieses Genres. Als Mitarbeiter einer Animationsfilmfirma reiste er öfters nach Nordkorea, wohin die Animationsfilmindustrie große Teile ihre Produktion auslagert. In einem der isoliertesten und diktatorischsten Länder der Welt werden die bunten Bilder der Unterhaltungsindustrie gezeichnet. Deslisle zeichnet über seine Erfahrungen aus einem Land, in das JournalistInnen kaum Zugang finden und wenn, dann nur schwer bewacht: Fotografieren nicht bis kaum erlaubt. Durch Delisles Comic „Pjöngjang“ bekommt ein unbekanntes Land endlich Bilder in unseren Köpfen.

Ein ähnlich schwieriges Land für JournalistInnen ist Burma, aus dem Deslisle auch berichtet. Seine Frau wird zu einem Einsatz von „Ärzte ohne Grenzen“ in das Land gerufen. Gerade in Vater-Babypause erkundet Deslisle ein weiteres diktatorisches Land, den Kinderwagen vor sich herschiebend.

Die KanadierInnen Dawn Paley und Joe Ollmann kombinierten ihren engagierten Journalismus mit Aktivismus. Dawn Paley reist in dem Comic „Gold – Dem Land das Herz nehmen“ nach Guatemala zu der berühmt berüchtigten Goldmine „Marlin“ in San Marcos. Auf Kosten der dortigen Bevölkerung lässt sich die Firma Montana Exploradora, ein 100-prozentiges Tochterunternehmen des US-kanadischen Konzerns Goldcorp Inc., von der Weltbank „die Entwicklung der Region“ finanzieren. Mir ihrem Comic schildert sie ihre Recherchen vor Ort, gibt der Bevölkerung eine Stimme und zeigt die Menschenrechtsverletzungen des Goldkonzerns. Der Comic ist komplett im Internet zu lesen.

Der US-amerikanische Comiczeichner und Redakteur Ted Rall hatte bereits über Afghanistan einen Comic veröffentlicht, in dem er die US-Invasion anprangerte. Jahre später wollte er noch einmal nach Afghanistan, um sich die weiteren Folgen der Invasion anzuschauen. Im Internet forderte er seine Fans auf, für seine Reise zu „spenden“. Er wollte 25.000 US-Dollar zusammenbekommen, um erneut kritisch und unabhängig aus dem Land zu berichten – per Comic. Und tatsächlich: Er erreichte sein Ziel. Ted Rall wurde von seinen Fans gesponsert und reiste erneut nach Afghanistan. Das neue Comic-Buch darf mit Spannung erwartet werden.

Schon vor ihm gab es Comic-Zeichner, die das Land am Hindukusch in Bilder fassten. Der französische Fotograf Didier Lefèvre und der französische Comic-Autor Emmanuel Guibert begleiteten in den 1980er Jahren eine Nothilfegruppe von „Ärzte ohne Grenzen“, die von Pakistan aus zu Fuß über die Berge nach Afghanistan ging, um den Menschen medizinische Nothilfe vor Ort zu gewährleisten. Zeichnungen und Fotos gemischt zeigen die beschwerliche Reise in der Comic-Trilogie „Der Fotograf“. Auch fast 30 Jahre später geht für jeden Kauf des Buches ein gewisser Prozentsatz der Einnahmen an Ärzte ohne Grenzen.

Von Menschen aus den Ländern des Südens selbst sind noch wenige Werke bekannt. In Israel gibt es die kritische KünstlerInnen-Gruppe Actus Tragicus, der auch Rutu Modan angehört. „Blutspuren“ heißt ihr 2008 erschienenes, viel gerühmtes Comic-Werk. Das Magazin Konkret schrieb: „Ein solches Bild Israels wird in Deutschland selten vermittelt, in Form eines Comics schon gar nicht.“

Bereits ein Klassiker ist der Comic „Persepolis“ der Iranerin Marjane Satrapi, der 2007 auch verfilmt wurde. Man kann nur hoffen, dass sich Verlage und LeserInnen auch weiterhin vermehrt des Themas Comics annehmen. Denn wie eine alte Weisheit sagt: Ein Bild sagt mehr als 1.000 Worte.

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