WTO verdonnert Textil-Konzern zu Rekordstrafe

Von Christian Felber · · 2004/04

Sportartikel-Hersteller Olympia muss eine Milliarde Dollar zahlen.

Das Foyer des Sheraton-Hotels in Hongkong ist an diesem 23. März zum Bersten voll mit Journalistinnen und Journalisten. Draußen auf der Straße steht dicht gedrängt eine Menschenmenge mit Transparenten wie „Criminal Olympia“ und „WTO respect labour rights“. Um 14 Uhr Ortszeit ist es so weit. Der Vorsitzende des Richter-Panels, der Südafrikaner Theo Berklit, tritt vor das Blitzlichtgewitter, um der Weltpresse den Urteilsspruch zu verkünden. Olympia ist in vier von fünf Punkten der Anklage schuldig und muss den geschädigten ArbeiterInnen Schadenersatz sowie eine empfindliche Geldstrafe an die WTO und das ILO-Arbeitsinspektorat zahlen. Insgesamt beläuft sich das Pönale auf eine Milliarde US-Dollar – ein Volltreffer selbst für einen Global Player. Der Aktienkurs von Olympia sackt noch am selben Tag um 17 Prozent ab.
Der kanadische Sportartikelhersteller Olympia betreibt in Vietnam fünf Produktionsstätten: zwei in der Sonderwirtschaftszone Hué-Da Nang und drei weitere im Industriedelta von Hanoi. Gut die Hälfte der Konzernware wird in Südostasien erzeugt. Laut Anklageschrift wurde in allen fünf Fabriken weit über das kollektivvertragliche Zeitmaß hinaus gearbeitet – bis zu 70 Stunden pro Woche; der Krankenversicherungsschutz deckte nur Arbeitsunfälle, Frauen erhielten für die gleiche Arbeit um 25% weniger Lohn als ihre männlichen Arbeitskollegen – diese nur den Mindestlohn –, und der Umgang mit Textilchemikalien erfolgte weitgehend schutzlos. Ansätze zur Bildung von Gewerkschaften wurden jeweils mit fristlosen Kündigungen beantwortet.

Der vietnamesische Gewerkschaftsdachverband leitete deshalb im September 2003 eine Sachverhaltsdarstellung an die Staatsanwaltschaft weiter, die mit Hilfe des ILO-Arbeitsinspektorats die Ermittlungen aufnahm und schließlich im Jänner 2004 Anzeige gegen Olympia bei der WTO-Schlichtungsstelle einreichte. Seit Jahresbeginn können WTO-Mitglieder transnationale Konzerne verklagen („state-to-investor“), wenn diese nationale Arbeitsschutzbestimmungen oder ILO-Kernarbeitsnormen verletzen. Diese Reform des Streitschlichtungsverfahrens, die außerhalb der „Doha-Entwicklungsrunde“ ausverhandelt worden war, gilt als Entgegenkommen für ärmere Länder, die oft nicht den Mut und die Ressourcen haben, multinationale Konzerne vor nationale Gerichte zu schleppen.
Das WTO-Panel wurde Mitte Jänner eingesetzt und benötigte zweieinhalb Monate für die Urteilsfindung. Das abschließende Treffen fand in einem 5-Sterne-Hotel in Hongkong statt – für die Ad-hoc-Schiedsgerichte der WTO kein ungewöhnlicher Ort. Überraschend war hingegen die enorme regionale Medienaufmerksamkeit in diesem ersten „state-to-investor“-Prozess. In Südostasien wird das Problem der Arbeitskraftausbeutung in „verlängerten Werkbänken“ multinationaler Konzerne nicht zuletzt aufgrund der Sozialforen immer stärker öffentlich debattiert.

Präzedenzfall mit „Abschreckungseffekt“: Der Konzern Olympia wurde zu einer Wiedergutmachung an den geschädigten ArbeitnehmerInnen verpflichtet, er muss die gesamten Prozesskosten übernehmen, ein Pönale an die WTO und eines an das ILO-Arbeitsinspektorat zahlen, damit in Zukunft mehr Fälle als bisher überprüft werden können. Außerdem müssen die Gesundheitsschutzvorkehrungen in den Fabriken auf westlichen Standard gebracht werden. In Summe belaufen sich die Kosten für den Konzern auf 1,04 Milliarden Dollar.
Der vorsitzende Richter begründete die Höhe der Strafe auch mit dem „Abschreckungseffekt“, den sich das Panel von dem Präzedenzfall erhoffe. Dass es zahlreiche Weltkonzerne mit Arbeitsstandards und Mindestlöhnen nicht so genau nähmen, sei schließlich ein offenes Geheimnis, so der Handelsrechtsexperte.
Olympia-Verteidiger Ted Justless hatte in seinem Schlussplädoyer ins Treffen geführt, dass die fünf Fabriken mehrheitlich in vietnamesischer Eigentümerschaft stünden und daher gar kein Fall für die WTO wären. Außerdem hätten die Berichte des ILO-Arbeitsinspektorates auf anonymen Aussagen von ArbeiterInnen beruht, weshalb diese als Beweismittel nicht rechtskräftig seien. Das Richterpanel hatte hingegen befunden, dass die hundertprozentige Abnahme der Produktion durch Olympia maßgeblich für die WTO-Zuständigkeit sei und nicht die Eigentümerfrage der Fabrik. „Das wäre ja genau die Strategie von Konzernen, einfach die Produktion bei nationalen Unternehmen in Auftrag zu geben, um sich jeder Verantwortung zu entziehen“, begründete das Panel seine Entscheidung. Die Anonymität der Aussagen sei zum Schutz der ArbeitnehmerInnen, ihre Identitäten seien der ILO bekannt und das Beweismaterial somit rechtskräftig, befand das Gericht abschließend.

Von Seiten der Konzernleitung gab es ad hoc keinen Kommentar. Die Konzernsprecherin verwies lediglich auf nicht ausgeschöpfte rechtliche Mittel, die man jetzt prüfen werde. Nur Anwalt Justless gab sich auskunftsfreudig vor versammelter Weltpresse: „Was macht ein Langschläfer, wenn ihm der Ö3-Wecker auf den Wecker geht? Er dreht lauter! Hahaha, guten Morgen Schlafmützen und Polsterkuschler (…)“ Was? O nein! Ö3-Wecker … So ein Mist! Alles nur geträumt. WTO klagt Multis? I wo! Alles beim Alten.

Christian Felber ist freier Publizist und Mitbegründer von Attac Österreich.

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