Wundersame Heilung auf Patent

Von Miriam Wiegele · · 2007/03

Exotische Heilpflanzen liegen im Trend: Unser globales Dorf beschert uns ständig „neue“ Wundermittel, die dank guter Vermarktung zu Modedrogen werden. Häufig handelt es sich dabei schlicht um Diebstahl an lokalem Wissen.

Die Hoodia (Hoodia gordonii), eine Art Gurke mit Stacheln, wächst in den Halbwüsten Südafrikas. Die indigenen San verwendeten sie auf ihren Jagdzügen durch die Wüste. Mit Hoodiastücken konnten sie tagelang ihren Hunger und Durst stillen und trotzdem leistungsfähig bleiben. Für sie ist !khobe (mit einem Schnalzlaut zu Beginn) auch ein Heilmittel gegen Husten und Erkältung und zur Anregung männlicher Lust.
Als die Hunger und Durst hemmende Wirkung über die San-Bevölkerung hinaus bekannt wurde, erregte die kaktusähnliche Pflanze Aufmerksamkeit als mögliches Mittel gegen Fettleibigkeit. 1996 analysierten WissenschaftlerInnen des staatlichen südafrikanischen Forschungszentrums CSIR (Council for Scientific and Industrial Research) das vermeintliche Wirkungsprinzip: Ein Steroidglykosid, das sie P57 nannten, soll im Hypothalamus des Zwischenhirns das Gefühl bewirken, satt zu sein. 1997 meldete das CSIR P57 als Patent an. Monate später überließen sie dem englischen Unternehmen Phytopharm das Recht, den Wirkstoff weiter zu entwickeln und zu vermarkten. Phytopharm ließ Untersuchungen machen und den Wirkstoff noch einmal patentieren, und zwar als Mittel gegen Diabetes. Die Untersuchungen hatten gezeigt, dass Hoodia-Extrakt tatsächlich das Hungergefühl reduzieren konnte. Der US-amerikanische Pharmakonzern Pfizer witterte in Anbetracht von schätzungsweise 70 Millionen übergewichtigen Menschen in der westlichen Welt ein Geschäft und übernahm 2001 für 21 Millionen US-Dollar die Lizenzrechte von Phytopharm. 2003 gelang es den San unter Mithilfe des Terre des Hommes-Partners „Arbeitsgruppe indigener Minderheiten im südlichen Afrika“, sich mit CSIR auf eine Beteiligung aus der Lizenzierung des P57-Patents zu einigen, darunter 6% der zukünftigen Lizenzgebühren. Nachdem Pfizer aus anderweitigen Gründen aus dem Geschäft ausstieg, versucht Phytopharm nun, den Wirkstoff P57 an Lebensmittelkonzerne wie Unilever weiterzugeben, die einen Appetitzügler als Nahrungsergänzungsmittel auf den Markt bringen wollen. Ob es eine Gewinnbeteiligung für die San geben wird, ist laut Terre des Hommes zweifelhaft.

Rund ein Drittel der umsatzstärksten Arzneimittel leiten sich von Naturstoffen ab. Deshalb sind traditionelle Heilpflanzen eine wichtige Grundlage zur Erforschung neuer Medikamente. Dabei wird oft auf Heilpflanzen und das Wissen indigener Völker aus Afrika oder Südamerika zurückgegriffen. Besonders intensiv ist die Suche der pharmazeutischen Industrie nach Wirkstoffen, die wirtschaftlich erfolgreiche Medikamente gegen Potenzstörungen oder zur Behandlung von Fettsucht bringen könnten.
Weltweit agierende Pharmakonzerne sammeln in Ländern des Südens mit großer Artenvielfalt Heilpflanzen, um sich die Verwertungsrechte an den begehrten Wirkstoffen zu sichern und sie für ihre Produkte brauchbar zu machen. Die dort lebenden Menschen, denen die ForscherInnen die Erkenntnisse verdanken, gehen dabei häufig leer aus. Im Prinzip handelt es sich dabei um Biopiraterie, um Diebstahl von über Jahrhunderte erworbenem Wissen. Durch Patentierungen können diese pflanzlichen Ressourcen ganz legal und gewinnbringend genutzt werden, ohne die Ursprungsländer zu beteiligen, wie es auch mit der Maca-Pflanze geschah.
Die Maca-Pflanze (Lepidium meyenii) ist ein Doldenblütler, der im Hochland Perus heimisch ist und dort von den Indigenen als Nahrungsmittel verwendet wird. In den Anden wächst sie auf bis zu 4.500 Meter Höhe auf kargem Boden. Die UV-Strahlung in diesen Höhen ist extrem, die Widerstandskraft der Pflanze enorm. Maca wird seit ungefähr 2.000 Jahren angebaut, und in der peruanischen Volksmedizin sagt man, die Wurzel „macht stark fürs Leben und stark für die Liebe“. Inhaltsstoffe der Wurzeln können den Hormonhaushalt beeinflussen. Das macht sie zu einer attraktiven Lifestyle-Heilpflanze für den Markt der Industrieländer. Tatsächlich sicherten sich zwei US-Firmen bereits 2001 Patente auf Extraktionsverfahren und Anwendungen des Maca-Wirkstoffs, ein Akt der Biopiraterie, gegen den bis dato leider noch kein Kraut gewachsen ist.

Noni (Morinda citrifolia), der „tahitische Wundersaft“ ist zwar kein Beispiel für Biopiraterie, aber für die völlig übertriebenen Erwartungen, die mit exotischen Heilpflanzen geschürt werden. Er stammt von den Früchten eines Strauches, der in Polynesien zuhause ist und auf Hawaii angebaut wird. Der Saft wird bestens vermarktet und ist daher leicht erhältlich. Durch die starke Nachfrage werden manche Inseln in Hawaii nur noch für Noni-Anbau genutzt. Auf den Markt kommen sie als „Bio“-Produkte, doch ist seit langem bekannt, welchen ökologischen Schaden Monokulturen anrichten.
Zugelassen ist Noni-Saft in der EU als neuartiges Lebensmittel. Da die Werbung mit gesundheitsbezogenen Aussagen über Heilwirkung bei Krankheiten nach dem Lebensmittelrecht verboten ist, werden parallel dazu preisgünstige Broschüren verkauft. In ihnen wird Noni als „die tropische Frucht mit 101 medizinischen Anwendungen“ angepriesen. Gegen Bluthochdruck, Diabetes, Durchfall, Infektionen, Malaria, Fettleibigkeit, Allergien und Schmerzen soll Noni helfen und auch bei Krebs. Gesundheitssuchende Menschen sind bereit, bis zu 50 Euro für einen Liter Noni-Saft zu bezahlen. All seine Wirkungen werden einem geheimnisvollen Stoff Proxeronin zugeschrieben, der mal als Alkaloid, mal als Enzymvorstufe bezeichnet wird. Mit Sicherheit kann man sagen, dass Noni auf Grund von Polysacchariden und Flavonoiden antioxidativ wirkt, also freie Radikale bindet. Einige Studien des Krebsforschungszentrums in Hawaii zeigten günstige Wirkungen für KrebspatientInnen. Doch antioxidative und damit möglicherweise tumorvorbeugende Wirkungen haben auch alle unsere heimischen Früchte. Ohnehin wird der hier erhältliche Noni-Saft mit heimischen Früchten gestreckt, da er einen ungewohnten Geschmack und eigenartigen Geruch hat.

Die ständig steigende Nachfrage nach Heilpflanzen aus Überseeländern hat auch ökologische Folgen. Wenn eine Pflanze und ihre Präparate populär werden, führt dies häufig zu Raubbau. So wurden ganze Lapacho-Wälder – der aus der Rinde gewonnene Tee wurde als möglicherweise tumorvorbeugendes Mittel bekannt – abgeholzt, bevor UmweltschützerInnen erreichten, dass die Bäume kultiviert werden sollten. Ähnliches geschah mit der Afrikanischen Zwetschke. Doch auch der Anbau von Heilpflanzen kann zu ökologischen Problemen führen. Die Aloe vera, auch als „Wundermittel“ intensiv vermarktet, wird in riesigen Plantagen in Mittelamerika kultiviert. Diese Monokulturen müssen mit Chemie behandelt werden und hinterlassen oft verpestete Böden.
Die Teufelskralle ist eine Pflanze, die unter extremsten Bedingungen in der Kalahari wächst. Auch sie wurde fast ausgerottet, bis man Versuche mit extensiver Nutzung startete. Im Fall des südamerikanischen Krallendorns wurde zum Glück von Beginn an die einheimische Ashaninka-Bevölkerung in die Ernte eingebunden. Nicht nur, dass sie so davon profitiert. Sie sorgt auch dafür, dass nur so viel geerntet wird, wie nachwachsen kann. Bei der Hoodia, nach der eine große Nachfrage besteht, wurde nun ebenfalls mit Anbauprojekten begonnen. Ob die Pflanze dann auch noch wirkungsvoll ist, wird sich erst weisen.

Bei der Nutzung von pflanzlichen Heilmitteln ist immer zu überlegen, ob es nicht gleichwertig wirkende Pflanzen heimischer Provenienz und vor allem aus heimischem Anbau gibt. So enthält die Brennnesselwurzel Inhaltsstoffe, die ebenso wirken wie die der Afrikanischen Zwetschke. „Ubi malum, ibi remedium“ – „Wo die Krankheit entsteht, wächst auch das Heilmittel“, könnte man den Spruch von Paracelsus frei übersetzen. Während wir Heilpflanzen aus der Kalahari oder den Regenwäldern Amazoniens verwenden, wird der Reichtum an heimischen Heilpflanzen noch nicht voll genutzt. Er bleibt der Volksmedizin vorbehalten, obwohl die günstige Wirkung beispielsweise von Sanikel oder Ehrenpreis zur Wundheilung und gegen Hautprobleme bewährt ist. Vermutlich ist es für pharmazeutische Konzerne nicht interessant und spektakulär genug, Heilpflanzen zu erforschen, die vor der Haustüre wachsen.

Miriam Wiegele ist Ethnobotanikerin, Buchautorin und freiberuflich in Rundfunk und TV tätig. Sie lebt im Südburgenland.

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