YUGO twenty-one

Von Christoph Spehr · · 1999/06

Die Bombardierung Jugoslawiens durch die NATO-Streitmacht verursacht nicht nur erhebliche Zerstörungen – sie unterstreicht auch einen Zusammenhang von Nachhaltigkeit und Marschflugkörpern, argumentiert der Nachhaltigkeitsexperte und -kritiker

Die Europäische Union hat jetzt Planungen für ein Programm bekanntgegeben, das den Wiederaufbau nach der Beendigung des Krieges fördern wird. Dabei soll Jugoslawien zu einem europäischen Musterland nachhaltiger Entwicklung gemacht werden, wobei die Strukturen des Wiederaufbaus in einen sinnvollen Zusammenhang mit den Zielen des NATO-Bombardements gebracht werden sollen. Das Programm trägt den Namen YUGO 21. Anträge auf finanzielle Förderung aus diesem Programm können NROs aus den Mitgliedsstaaten der EU bereits jetzt stellen. Ergreifen Sie die Chance!

Die Wahl Jugoslawiens als zukünftiges Musterland nachhaltiger Entwicklung mag überraschen, erscheint aber auf den zweiten Blick geradezu zwingend. Das Ziel nachhaltiger Entwicklung ist bekanntlich, den „Umweltverbrauch“ zu verringern, ohne die Leistungen und Herrschaftsverhältnisse des kapitalistischen Weltsystems zu beeinträchtigen.

Zu diesem Zweck soll die Industrie die Ressourcen besser nutzen (Effizienz) und die Menschen sollen weniger von diesen Ressourcen konsumieren (Suffizienz). Mit anderen Worten: Das Problem der Entwicklungsära, durch eine beispiellose Anspruchsrevolution die globale Sozialpyramide „verfettet“ zu haben, soll durch eine globale lean production, eine Verschlankung des Herrschaftsmodells durch Einsparungen bei den „Unproduktiven“, gelöst werden.

Angesichts dieses Programms fällt auf, daß im künftigen Jugoslawien viele Hindernisse nicht bestehen oder geringer ausfallen, die in anderen Ländern die Umsetzung nachhaltiger Entwicklung bislang verhindern:

1. Die Effizienzrevolution erfordert die Anschaffung neuer, teurer Technologien. Da die Industrie Jugoslawiens weitgehend zerstört ist, kann der Wiederaufbau sofort mit diesen Technologien erfolgen, was überdies die umweltbewußten Hersteller dieser Technologien in Deutschland, England oder USA mit ökologischer Marktführerschaft belohnt.

2. Die Suffizienzrevolution erfordert, daß die Bevölkerung ein Leben schätzen lernt, in dem sie über weniger Konsumgüter verfügt, länger und härter arbeiten muß und einen Großteil ihrer Zeit mit unbezahlter Eigenarbeit verbringt. Diese Gewöhnung an Konsumverzicht und die „Eleganz der Einfachheit“ („Zukunftsfähiges Deutschland“) macht durch die Bombardierung große Fortschritte.

3. Zu den hartnäckigsten Gegnern einer umweltbewußteren Rollenverteilung gehören meist erwerbstätige Frauen, die verlernt haben, die Sinnlichkeit häuslicher Reproduktionsarbeit zu schätzen. Fundamentalistisch-antiwestliche Strömungen, die durch den NATO-Krieg erheblichen Auftrieb erhalten werden, können hier einen nachhaltigen Wertewandel fördern.

4. Nachhaltigkeit erfordert eine neue Weltordnung der Differenz und der unterschiedlichen Rollenzuweisung, da eine Entwicklung nach westlichem Muster „für alle“ ökologisch zu teuer ist. Die Strategie „Effizienz für die einen, Suffizienz für die anderen“ ist mit den bisherigen Teilungen Jugoslawiens bereits angegangen worden und dürfte noch nicht abgeschlossen sein.

Während Slowenien und Kroatien den Anschluß an den europäischen Effizienzraum gefunden haben, werden sich die Menschen in Serbien und Montenegro auch nach dem Krieg an ein Leben mit knappesten Ressourcen gewöhnen müssen.

YUGO 21 geht davon aus, daß Jugoslawien (nach der Abspaltung Montenegros) organisierte Suffizienzräume für die Flüchtlinge einrichten wird, während durch den Einsatz internationaler Hilfsorganisationen ein Abgleiten des Landes in subsistenzwirtschaftliche Strukturen verhindert wird. Dies ist wichtig, damit die Rohstoffe des Landes der nachhaltigen globalen Ressourcenplanung nicht entzogen werden.

Projekte, die im Rahmen von YUGO 21 Förderung beantragen, sollen vor allem der Einübung der Bevölkerung in den neuen, nachhaltigen Lebensstil und der effizienten Erschließung von Ressourcen dienen, die bisher von Jugoslawien selbst verbraucht wurden.

Zu den Tips für Projekte, welche Förderung im Rahmen von YUGO 21 beantragen, zählen Partizipation – solange sie nur beratend ist – und eine ausführlich begründete Darlegung einer ökologisch segensreichen Wirkung des Profitprinzips. Diese Kriterien dürften den meisten Antragstellern aus ihrer Agenda 21-Praxis bereits bestens vertraut sein.

Aus den Mitteln von YUGO 21 können auch Projekte in NATO-Ländern gefördert werden, sofern sie dazu geeignet sind, die friedensschaffende Kapazität der NATO durch ökologische Reformen abzusichern. Als Vorbild kann ein Projekt dienen, von dem Weizsäcker/ Lovins/ Lovins in ihrem Nachhaltigkeitshandbuch „Faktor Vier“ berichten: Nachdem die Firma Lockheed sich zur nachhaltigen Auslichtung eines Neubaus mit Tageslicht entschlossen hatte, stieg die Arbeitsproduktivität der Ingenieure so rapide, „daß Lockheed unerwartet einen harten Wettkampf um einen lukrativen Auftrag gewann“. In einer Fußnote bemerkt das Buch dazu: „Definitionsgemäß gibt es ‚einen harten Wettkampf um einen lukrativen Auftrag‘ eigentlich nicht. Die Ausnahme ist der militärische Bereich.“

Der Autor lebt in Bremen. Er ist Redakteur bei der Zeitschrift „alaska“

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