Zurück nach Hause, ins Exil

Von Andrea Maurer · · 2001/09

Mit einem Diplom in der Tasche verlassen drei saharauische Frauen Wien, um in Zukunft KindergärtnerInnen in der Sahara auszubilden.

Spuren der Flucht, Sand, Sonne und die Berührungen vieler Hände haben sich in das vergilbte Foto eingraviert. Nicht aus Nostalgie betrachtet es Galia wieder und wieder, eher als Beschwörungsformel, eines Tages dorthin zurückzukehren, wo es entstanden ist, nach Dakhla, der Stadt am Atlantik, wo die Familie vor der marokkanischen Besetzung der Westsahara lebte.

Inmitten von Fotos, Diplomarbeiten und Süßigkeiten sitzen wir in einem winzigen Zimmer auf dem Boden und trinken Tee. Die Stimmung ist gelöst. Die frisch gebackenen Lehrerinnen, Galia, Abida und Majuba begrüßen das „Gespräch ohne Knochen“ – was in ihrer Kultur so viel bedeutet wie ohne Floskeln auf den Punkt zu kommen.

Besonders das letzte der drei Ausbildungsjahre war eine große Herausforderung. Es fand, wie bereits das erste Jahr, nicht in den saharauischen Flüchtlingslagern statt, sondern in Österreich, an der Bildungsanstalt für Kindergartenpädagogik der Stadt Wien.

Fern von den eigenen Familien paukten die Frauen meist bis in die Nacht. Die Mühe hat sich gelohnt: Galia, Abida und Majuba schlossen ihre Ausbildung mit Auszeichnung ab. Ihre Diplomarbeiten wurden ins Arabische übersetzt. „Am Anfang hatten wir mehr Praxis und die fällt einem in einer fremden Sprache natürlich leichter als die Theorie“, erzählt Abida mit ihrem warmen Lachen, das jedes noch so ernste Gespräch entschärft.

Dass ihr jüngster Sohn die Großmutter inzwischen als Mutter auserkoren hat, akzeptiert sie neidlos. „Als ich das erste Mal aus Wien zurückkam“, so Abida mit einem Augenzwinkern, „erklärte mir mein Jüngster: Du bist meine Schwester! Er war ja noch sehr klein, als ich ihn 1995 für ein Jahr verließ.“ Damals wurde sie, wie auch Majuba und Galia, in Österreich zunächst zur Kindergärtnerin ausgebildet.

Familiäre Unterstützung hat die inzwischen 35-Jährige immer erhalten. Ihr Vater, Nomade mit Leib und Seele, begrüßt die gute Bildung seiner Töchter und Söhne. Lesen und Schreiben hat er erst im Exil von seinen Kindern gelernt. Dass trotz Lageralltag Poesie nicht zu kurz kommt, dafür sorgt Abidas Mutter. „Dichtung, Musik und Tanz waren in unserem Zelt immer zu Hause“, schwärmt die Tochter. Kein Wunder, dass sie für ihre Diplomarbeit Bewegungserziehung als Schwerpunktthema wählte.

An ein kontinuierliches Zusammenleben mit der Familie ist auch nach der Rückkehr in die Sahara zunächst nicht zu denken. In den Lagern sind Schule und Übungskindergarten, wo die Frauen unterrichten werden, von den Zelten der Familie zu weit entfernt. Gäbe es genügend Autos, könnte die Fahrt problemlos erledigt werden, aber ohne eigenes Transportmittel trennen Abida mehrere Kilometer Wüstensand von ihren Söhnen und ihrem Mann. Wenn die Rede auf ihn kommt, leuchten ihre Augen auf. „Mein Mann lebt mit meinen Eltern und kümmert sich gemeinsam mit meiner Familie um unsere Söhne.“

Als sie mit 16 Jahren verheiratet wurde, kannte sie ihn kaum. „Unsere Liebe ist langsam gewachsen und wird immer größer“, lässt sie sich zu einer sehr persönlichen Aussage hinreißen, betont aber, dass die saharauischen Frauen heute selbst entscheiden, wen sie heiraten.

Die Facetten, die Abida ausmachen, sind zahlreich: Freiheitskämpferin, Ehefrau, Mutter, Tochter, Kindergärtnerin und nun auch Lehrerin. Den Großteil ihrer Zeit wird sie in Zukunft wohl für den neuen Beruf aufwenden, den sie, den Regeln der Polisario entsprechend, ohne Bezahlung ausübt. „Solange wir in den Lagern leben, müssen wir unsere persönlichen Wünsche in den Hintergrund stellen“, bekräftigen alle drei Frauen ihre Motivation.

Sie wissen, dass sie „zu Hause im Exil“ keine leichte Aufgabe erwartet. Die Stimmung in den Lagern kocht, und daran ist nicht die Saharasonne, sondern die politische Sackgasse schuld, in die die Saharauís gedrängt werden. In der Ausweglosigkeit der Flüchtlingslager sind „Ventile“ mehr als notwendig. Mit ihrer fundierten Ausbildung können die Frauen nun einen wesentlichen Beitrag für die Zukunft der Kinder leisten.

Im Rahmen der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit wurden 58 saharauische KindergärtnerInnen – mit den drei Frauen nun auch die ersten Lehrerinnen – ausgebildet. Organisiert wird das Projekt seit 1990 vom Berufspädagogischen Institut Mödling. Die Finanzierung erfolgt durch das Bundesministerium für Auswärtige Angelegenheiten.

Andrea Maurer ist freie Regisseurin, Drehbuchautorin und Journalistin und lebt in Elsbethen in Salzburg.

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