Zynische Taktik der reichen Länder

Von Robert Poth · · 1999/11

Die Entwicklungsländer sollten sich gegen eine umfassende

Martin Khor ist Direktor des Third World Network (TWN), eines der größten Netzwerke von SÜD-NROs, in Penang, Malaysia. Er ist einer der maßgebenden Kritiker der Globalisierung aus Sicht des Südens und als dessen Lobbyist rund um den Erdball unterwegs.

SÜDWIND: Vor der WTO-Ministerkonferenz in Seattle fordert plötzlich alles, von der WTO bis zur Weltbank, eine „Entwicklungsrunde“. Ist hier ein Umdenken im Gange?

Khor: Für mich ist das alles eher geheuchelt. Was die reichen Länder wirklich wollen, ist nicht Entwicklung, sondern daß ihre Konzerne die Märkte der Entwicklungsländer übernehmen können. Sie geben bloß vor, daß das eine Entwicklungsrunde ist, aber in Wirklichkeit gibt es keine Entwicklung. Ein Beispiel ist das TRIPS-Abkommen, wo die Entwicklungsländer eine längere Übergangsperiode anstreben.

Die USA und die EU lehnen aber ab und bestehen darauf, daß die Entwicklungsländer ihre Verpflichtungen erfüllen, andernfalls werden sie vor der WTO geklagt. Sie versprechen den ärmsten Ländern Nullzölle für ihre Produkte, aber wenn es ihnen ernst wäre, dann würden sie das jetzt anbieten, und autonom. Die EU muß nicht auf andere Länder warten. Warum tut sie es nicht? Warum erst am Ende der Runde? Das ist nur ein Angebot, um die ärmsten Länder in eine neue Runde zu ziehen, ein paar Zuckerln.

Frage: Besonders die EU will ja neue Themen in die WTO bringen.

Antwort: Wenn man diese neuen Themen ansieht, Investitionen, Wettbewerb, öffentliche Beschaffung und Senkung der Industriezölle, dann laufen alle diese Vorschläge darauf hinaus, daß die großen Unternehmen sich die Märkte der Dritten Welt mehr und mehr unter den Nagel reißen. Wenn sie sich durchsetzen, dann wird es in Zukunft keine Möglichkeit mehr für Entwicklung geben. Das ist eine sehr zynische Taktik der reichen Länder. Sie versuchen, die Entwicklungsländer zu bluffen, sie glauben zu machen, daß man sich um sie kümmert, aber worum es ihnen wirklich geht, das sind die Profite ihrer Unternehmen.

Frage: Experten wie Fred Bergsten vom International Institute for Economics warnen, daß der Süden mit Protektionismus zu rechnen hätte, falls er eine neue Runde blockiert.

Antwort: Ich finde, das ist eine widerliche Art der Erpressung. Tatsächlich sagen sie den schwächeren Ländern: Besser, ihr macht, was wir wollen, denn sonst werden wir mit Protektionismus gegen euch vorgehen. Mit anderen Worten, alle Verpflichtungen und Zusagen der reichen Länder zur Öffnung ihrer Märkte nehmen sie jetzt zurück oder brechen sie sogar. Viele schwächere Länder leiden unter der Krise, haben sehr hohe Auslandsschulden. Selbst die reicheren unter den Entwicklungsländern haben Probleme, die Wirtschaften sind wegen der finanziellen Liberalisierung zusammengebrochen. Das ist ein Moment, wo wir den Entwicklungsländern helfen sollten anstatt ihnen mit Protektionismus zu drohen. Diese Position von Leuten wie Bergsten ist extrem abstoßend.

Frage: Um Verhandlungen über die weitere Liberalisierung bei Dienstleistungen wird man aber nicht herumkommen.

Antwort: Hier kommt es auf die Entwicklungsländer an, ob sie ihre Interessen verteidigen können. Es ist nicht automatisch so, daß sich die reichen Länder durchsetzen. Hier haben die Entwicklungsländer das Recht, die Sektoren festzulegen, wo sie einige ihrer lokalen Branchen verteidigen wollen; das können sie tun, nichts zwingt sie. Es wird sehr starken Druck geben, aber wenn es keine neuen Themen gibt, dann können sich die Entwicklungsländer wenigstens auf Landwirtschaft und Dienstleistungen konzentrieren.

Frage: Was sind eigentlich die Hauptprobleme für den Süden?

Antwort: Es gibt einen Haufen Dinge, die in der WTO falsch laufen. Allein die Art, wie die Abkommen formuliert sind, entspricht nicht den Interessen der Entwicklungsländer. Erstens das Auslaufen des Multifaserabkommens. Das wurde in einer Art vereinbart, die bisher keine Vorteile für die Entwicklungsländer gebracht hat, und wir wissen nicht, wann diese Vorteile eintreten werden. Und im Übereinkommen über Landwirtschaft haben die Entwicklungsländer relativ niedrige Zölle, die sie werden weiter senken müssen, obwohl die entwickelten Länder teilweise noch Zölle von 200, 300 Prozent haben.

In Zukunft werden billigere Importe das Überleben von Millionen von Bauern gefährden. Die Entwicklungsländer sollten also die Möglichkeit haben, ihre Bauern zu schützen.

Das dritte Problem der Entwicklungsländer mit der WTO ist , die Art, wie die USA und die EU Anti-Dumping-Maßnahmen nützen, um Produkte der Entwicklungsländer von ihren Märkten fernzuhalten.

Frage: Sie haben zuvor TRIPS angesprochen. Was ist daran problematisch?

Antwort: Wenn man TRIPS umsetzt, steigen die Medikamentenpreise kräftig an, und die lokalen Unternehmen können keine modernen Technologien nutzen. Außerdem wird es Patentrechte auf Lebensformen geben, und die Bauern werden nicht mehr in der Lage sein, ihr eigenes Saatgut zu kontrollieren. Genauso müssen wir TRIMS ändern, wo die Entwicklungsländer derzeit keine Möglichkeit haben, etwa Anteile an lokalen Vorprodukten zu verlangen und ihrer eigenen Wirtschaft Geschäftsmöglichkeiten zu verschaffen. Und schließlich das gegenwärtige System der WTO.

Der Entscheidungsprozeß ist nicht demokratisch, nicht transparent, die Öffentlichkeit weiß nicht, was vorgeht, sogar viele Entwicklungsländer wissen nicht, was vorgeht. Und in vielen Ländern werden die Parlamente entmachtet, weil sie nicht wissen, was ihre Regierungen verhandeln. Wir müssen also den Entscheidungsprozeß verändern und die Art, wie Informationen aus dem WTO-System in die Öffentlichkeit gelangen. Aber wenn wir eine neue Runde starten und immer weitere neue Themen auf den Tisch kommen, bevor wir das System verändern, wird die Lage noch schlimmer werden.

Frage: Bei einem Treffen in Ghana haben Sie unlängst gesagt, daß Afrika eine Schlüsselrolle hätte.

Antwort: Das entspricht der aktuellen Situation. Fast alle afrikanischen Länder haben sich beklagt, daß sie bisher keine Vorteile sehen. Sie senken ihre Importzölle, ihre Einfuhren steigen, aber gleichzeitig haben sie Probleme mit ihren Exporten, da sie zumeist Rohstoffe exportieren und die Preise stark gefallen sind, sie verlieren also dabei. Die lokalen Unternehmen sind noch zu schwach, um Industrieprodukte in den Norden zu exportieren. Und daher haben die Afrikaner am meisten bei einer neuen Runde zu verlieren. Wenn sie wollen, können sie sich einigen und Widerstand leisten.

Frage: Ist das realistisch?

Antwort: Es gibt Anzeichen für steigende Bewußtheit und Einheit unter den afrikanischen Ländern. Sie haben einen sehr guten Vorschlag über die nötige Änderung des TRIPS vorgelegt. Sie haben eine Vorreiterrolle übernommen und vorgeschlagen, daß keine Lebensformen patentiert werden dürfen, und daß TRIPS mit der Biodiversitäts-Konvention konsistent sein muß, also daß die Rechte der traditionellen Gemeinschaften und traditionelles Wissen anzuerkennen sind. Das sind einige Zeichen, die hoffen lassen, aber ob am Ende die anderen, vor allem die entwickelten Länder zuhören werden, ob die Afrikaner stark genug sein werden, bleibt abzuwarten.

Frage: Welche Chancen geben Sie dem Süden diesmal?

Antwort: Das hängt von vielen Faktoren ab. Die entwickelten Länder wissen, wie sie die WTO kontrollieren können, und für die Entwicklungsländer ist es sehr schwierig, sich Einfluß zu verschaffen. Sie sind noch immer relativ schwach, weil sie nicht genügend Diplomaten haben, weil sie noch immer abhängig sind vom Norden wegen ihrer Kredite, multilateral oder bilateral. Für einige ist es einfach schwer, Vorschläge der entwickelten Länder zurückzuweisen. Die Gesamtsituation ist nicht so gut. Wenn sich einige vorwagen, dann gibt es Methoden, diese Länder zu isolieren. Es wird ein sehr harter Kampf werden. Aber was jetzt in Genf los ist, zeigt, daß es sehr viele Entwicklungsländer gibt, die bereit sind, den Mund aufzumachen und alle ihre Probleme zur Sprache zu bringen. Ende September in Genf haben viele Entwicklungsländer bereits ihren Widerspruch gegen das Thema Investitionen eingebracht. Und sie bringen Vorschläge, wie man Abkommen verändern könnte. Aber das ist sehr schwierig, denn um ein Abkommen zu verändern, muß man alle Mitglieder dazu bringen, zuzustimmen. Es ist für die Entwicklungsländer sehr schwer, sich durchzusetzen, auch wenn sie in der Mehrheit sind, weil man in vielen Bereichen einen Konsens braucht.

Frage: Was ist ihre Prognose?

Antwort: Also ich hoffe wirklich, daß die entwickelten Länder es ernst meinen, wenn sie von Entwicklung sprechen. Aber wenn sie nicht bereit sind, nachzugeben, dann wird es sehr schwer sein, das System zu verändern. Dann wird es eine große Desillusionierung geben, eine sehr heftige Gegenreaktion, nicht nur von der Zivilgesellschaft, sondern auch von vielen Regierungen, weil die WTO den Entwicklungsländern nicht helfen wird.

Frage: Wir danken für das Gespräch.

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