Große Vision in Kinderschuhen

Von Martina Kopf · · 2007/03

Das panafrikanische Projekt „Stories Across Africa“ will Kindern die Bandbreite an Geschichten nahe bringen, die am Kontinent existiert, und das Lesen in der Muttersprache fördern.

Auf Englisch heißt es „Little Red Riding Hood“, auf Französisch „Le Petit Chaperon Rouge“. Tschechische Kinder lernen das Rotkäppchen als „¡Cervená Karkulka“ kennen, in Spanien erzählt man das Märchen von „Caperucita Roja“ und PolInnen haben, wenn sie „Czerwony Kapturek“ hören, sofort dieselbe Geschichte im Kopf. Egal wo in Europa es aufwächst, es gibt Geschichten und Figuren, die irgendwann die Phantasie jedes Kindes beschäftigt haben. Und die eng verbunden waren mit der Einführung in die faszinierende Welt der Schrift.
Die Idee eines über Grenzen und Sprachen hinweg geteilten Geschichtenschatzes, der Kinder quer über den Kontinent für das Erlernen von Lesen und Schreiben in ihrer Muttersprache begeistern soll, schwebt auch über dem Projekt „Stories Across Africa“ – Geschichten quer durch Afrika (StAAf). Denn bisher sind schriftliche Erzählsammlungen für afrikanische Kinder häufig auf eine Sprache begrenzt – und dann noch oft auf eine europäische, die nicht Muttersprache ist. Geplant ist vorläufig die Herausgabe dreier Bände: fürs Vorschulalter und die frühe Kindheit, für Kinder mittleren Alters und für Teenager. „Wir sind sehr offen, was die Art der Geschichten angeht“, meint Carole Bloch von der Universität Kapstadt, eine der InitiatorInnen von StAAf. Es können traditionelle Sagen und Märchen sein, mündliche Literatur, die das erste Mal niedergeschrieben wird, neue Geschichten, die extra von afrikanischen SchriftstellerInnen verfasst werden, Geschichten aus der Diaspora, auch Texte, die bereits publiziert wurden. „Wir möchten Kindern die große Bandbreite an Geschichten nahe bringen, die über den Kontinent hinweg existiert“, beschreibt die Pädagogin mit einer Leidenschaft für Kinderliteratur das Vorhaben. Der Traum ist, dass die drei Bände eines Tages in jeder Sprache Afrikas vertrieben und gelesen werden: „Eine große Vision“, meint Bloch, „aber man muss klein beginnen.“

Denn das Projekt selbst ist noch jung. Getragen wird es von der Afrikanischen Akademie für Sprachen (ACALAN), die 2002 von der Afrikanischen Union (AU) gegründet wurde. Und es ist eines der panafrikanischen Kernprojekte, die ACALAN anlässlich des von der AU für 2006 ausgerufenen und bis Sommer 2007 verlängerten „Jahres der Afrikanischen Sprachen“ aufgegriffen hat. 82 Prozent der BürgerInnen des Kontinents sind in ihrer Muttersprache AnalphabetInnen. Ein Großteil der Kinder und Jugendlichen ist in der Schule nicht nur mit neuem Wissen, sondern auch mit einer neuen Sprache konfrontiert, da der Unterricht in der Muttersprache häufig – wenn überhaupt – nur bis zur dritten Schulstufe geht. Auf der Ebene der Lehrpläne und Bildungspolitik ist in vielen Ländern – wie Nigeria, Südafrika, Senegal, Mali oder Tansania – ein Umdenken da. Doch die meisten Erwachsenen bewerten den Unterricht auf Englisch, Französisch oder Portugiesisch höher. Die Tatsache, dass eine gut fundierte Alphabetisierung in der Muttersprache auch das Erlernen einer Fremdsprache erleichtert, hat sich im allgemeinen Bewusstsein noch nicht durchgesetzt. Und es fehlt an Material in afrikanischen Sprachen, an ausgebildeten LehrerInnen, die diese Sprachen in Wort und Schrift vermitteln können und an lesefreundlichen Umgebungen, die Kinder dazu motivieren, sich Lesen und Schreiben in der Erstsprache anzueignen.

Hier setzt „Stories Across Africa“ an. Die Herausgabe der Bände ist nur ein Teil. Der andere ist der Aufbau eines Netzwerks von PartnerInnen in verschiedenen Ländern, die sich an der Zusammenstellung und der Übersetzung in verschiedene afrikanische Sprachen beteiligen, von Verlagen, die die Bücher publizieren und, ganz wichtig, von Vertriebswegen. Den Start hat die Ford-Stiftung finanziert, über eine Verlängerung um weitere drei auf insgesamt fünf Jahre Laufzeit wird gerade verhandelt.
Begonnen hat die Initiative mit dem Pilotprojekt „Little Books for Little Hands“ – kleine Bücher für kleine Hände. Orientiert an den Pixi-Büchern wurden 16 Bücher fürs Vorschulalter gestaltet – in Ländern, wo Bücher selbst für Erwachsene Luxusgüter sind, ein ungewöhnliches Unternehmen. Die illustrierten Büchlein sollen in elf Sprachen in einer Auflage von insgesamt fast vier Millionen Stück in den bisher acht beteiligten Ländern Südafrika, Mosambik, Tansania, Ruanda, Äthiopien, Ghana, Mali und Ägypten gedruckt und vertrieben werden. Besonders wichtig ist, so Carole Bloch, dass die Bücher auch optisch Freude machen und nicht, wie soviel Lesematerial für afrikanische Kinder, auf billigstem Papier und in schlechter Qualität gedruckt werden, denn: „Wir finden, dass afrikanische Kinder gute Qualität bei Büchern verdienen.“

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