
Mahi Binebine
Roman. Aus dem Französischen von Regula Renschler. Lenos Verlag, Basel 2011, 157 Seiten, EUR19,90
Aus dem Jenseits erzählt uns Jaschin sein Leben – und seinen Tod. Aufgewachsen im Müll der Barackensiedlung Sidi Moumen in Casablanca, kennt er schon sehr früh Gestank, Gewalt und Tod. Aber auch den Fußball, der als Erholung zur Arbeit auf der Mülldeponie und als Aggressionsabbau dient. Dort dreschen Jaschin und die Jungs aus seiner Gegend ohne Gnade aufeinander ein, lernen aber auch Zusammenhalt und Freundschaft kennen.
Das besondere des Romans ist der Weg, den Jaschin und seine Freunde bis zu ihrem frühen Tod gehen. Das bittere Gefühl der Demütigung, das Hässliche ihrer Umgebung und das verdammte Schicksal, das sie wehrlos dieser namenlosen Verwahrlosung ausliefert, endet mit der Bekanntschaft von Abu Subair, ihrem spirituellen Führer. Sie schlittern in eine dunkle Welt, in die sie sich immer stärker verstricken und die sie schließlich ganz verschluckt. Sie werden indoktriniert mit den Lehren des Koran, um für den Dschihad, den heiligen Kampf, bereit zu sein. Ihr Verlangen nach Rache wird geschürt. Die Wiederherstellung der Ehre im Kampf gegen die Ungläubigen steht im Mittelpunkt. Die Belohnung? Der Titel eines Märtyrers und der Schlüssel zum Paradies.
Jaschin, mit vielen anderen, stirbt einen Tod fast ohne Leiche. Seine wurde mit dem Löffel zusammenkratzt. Durch das Zünden des Paradiesgürtels, eine mit Sprengstoff bestückte Weste, lösten sie ein Gemetzel aus. Das Resultat: Dutzende von unschuldigen Toten, ein beträchtlicher Sachschaden, Panik im ganzen Land.
Am 16. Mai 2003 starben in Casablanca durch vierzehn jugendliche Selbstmordattentäter vierzig Menschen. Die Mörder stammten aus Sidi Moumen.
Der 1959 in Marrakesch geborene Autor erhielt für den Roman den Prix litteraire de La Mamounia und den Prix du Roman arabe. Die Verfilmung des Buches ist im Gange.
Mahi Binebine rechtfertigt hier nicht die Tat, sieht aber den Nährboden, der durch die religiöse Mafia, die Regierung und die Reichen im Land geschürt und unterstützt wird.
Christine Kohlmayr