Dem Unbehagen begegnen

Von Brigitte Pilz · · 2024/Mai-Jun
Installationsansicht Strike A Pose
Installationsansicht Jesuitenfoyer @ Kunstdokumentation Manuel Carreon Lopez

Strike A Pose (2017-2021). Diese Arbeit geht auf eine intensive Beschäftigung mit Fotografien des österreichischen Forschers und Missionars Paul Schebesta, 1887 in Schlesien geboren, zurück. Er hat mehrere Expeditionen nach Afrika und Asien unternommen und sich unter anderem für sogenannte Zwergvölker in Belgisch-Kongo interessiert. Sein Bildmaterial zeigt das vermeintlich authentische Alltagsleben der Menschen dort. Belinda Kazeem-Kamiński beschäftigt sich unter anderem mit den Selbstinszenierungen des Ethnografen. Eine Pose hat sie nicht losgelassen: Man sieht einen weißen Mann, der seinen Arm ausgestreckt hält über einem Afrikaner. „Warum muss er etwas so Offensichtliches unterstreichen? Er will wohl nicht nur seine körperliche Überlegenheit hervorheben, sondern auch seine kulturelle Erhabenheit. Sonst hätte er diese Pose nicht gebraucht. Bis heute arbeitet man in Gegensatzpaaren: Natur – Kultur, primitiv – entwickelt.“
Die Künstlerin verdeckt die erniedrigend wiedergegebenen Personen in Fotos durch Farbflächen und nimmt so „die Würde Schwarzer Personen wahr und behütet diese Würde sorgfältig“. (Gustav Schörghofer SJ, Dezember 2023, Laudatio Verleihung des Otto Mauer Preises 2023).

Installationsansicht Schebestas Schatten
Installationsansicht Jesuitenfoyer @ Kunstdokumentation Manuel Carreon Lopez

Schebestas Schatten (2017/2021). Es gibt Bilder, auf denen man nur Schebestas Schatten sieht bzw. jenen von seiner Kamera und seinem Stativ. Ob das Absicht war, weiß man nicht. Die Künstlerin hat auf den Bildern alles abgedeckt, was von diesen Schatten ablenken könnte. „Das mache ich, weil es mir hier um die Frage geht, wie wir über Gewalt sprechen können, ohne gewaltvolle Bilder immer wieder zu reproduzieren.“ Diese Frage können wir uns heute immer noch stellen.

Unearthing. In Conversation (2017). In einer Video-Arbeit sitzt die Künstlerin in einer in Dunkelheit gehüllten Umgebung und öffnet Kartonboxen. Aus diesen nimmt sie Fotos heraus, die bearbeitet sind. Bei manchen sind Personen mit bunten Farbflecken abgedeckt, bei anderen Personen herausgeschnitten, so dass nur noch Schebesta übrig bleibt. Sie nimmt auch hier die abgebildeten Menschen in Schutz, vielleicht, um ihnen die geraubte Autonomie wiederzugeben. In diesem Video wird deutlich, dass für Belinda Kazeem-Kamiński das Teilen des Prozesses mit dem Publikum wichtig ist. Sie ertastet Möglichkeiten, wie wir unserem kolonialen Erbe begegnen können. Sie macht keine Vorschläge, gibt keine Antworten. „Ich zeige auf, wie ich mit dem Unbehagen umgehe, das mich beim Betrachten dieser Fotos erfasst hat.“

Respire (Liverpool, 2023). Für die Liverpool-Biennale hat Belinda Kazeem-Kamiński eine Mehrkanalinstallation entwickelt. Dabei war der Atem von Schwarzen Menschen zentral. Teilgenommen haben Performer:innen aus Liverpool, die sich beruflich und im Alltagsleben mit ihrem Atem auseinandersetzen. Im Video sieht man nur Personen, die einatmen und ausblasen in einen roten Luftballon. Dazu kommt eine Soundinstallation, die zusätzlich Aufmerksamkeit auf den Atem lenkt. Vom Atem ausgehend können wir beginnen, über Befreiung nachzudenken, meint die Künstlerin.

Porträt von Belinda Kazeem-Kaminski
© Esther Abiona Ojo

Zur Person

Belinda Kazeem-Kamiński wurde 1980 in Wien geboren. Sie ist Wissenschaftlerin, Autorin und Künstlerin. Ihre Arbeiten reichen von Fotografie über Video bis hin zu Performances und Publikationen.
Die Künstlerin legt neben Recherche großen Wert auf exakte technische Umsetzung mit klarer Bildsprache und aussagestarkem Sound, was oft durch die Zusammenarbeit mit anderen Künstler:innen ermöglicht wird.
Die Beschäftigung mit kolonialem und rassistischem Denken wird in vielen Arbeiten thematisiert. Auch wenn Österreich keine Kolonien besaß, gab es koloniale Bestrebungen. Und überhaupt: „Kolonialismus ist auch ein Wissenssystem. Dieses ist in viele Disziplinen eingeflossen, in die Medizin, die Philosophie, die Gerichtsbarkeit. Und daher kann sich Österreich schlecht ausnehmen. Es hat an dieser Wissensproduktion teilgehabt.“
Die Arbeiten von Belinda Kazeem-Kamiński wurden vielfach ausgestellt und mit Preisen gewürdigt. Zuletzt erhielt sie in Wien den Otto Mauer Preis 2023.

Brigitte Pilz

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