
Nach dem Krieg ist vor dem Krieg, was die Lage vieler Frauen in Syrien betrifft. Journalistinnen werden systematisch diffamiert, Politikerinnen bleiben massiv unterrepräsentiert – eine Entwicklung, die durch gezielte Desinformation weiter angeheizt wird.
Das Kleinmachen von Frauen hat System. Besonders hart trifft es derzeit Frauen in Syrien, die in der Öffentlichkeit stehen. „Ich wurde oft als ‚pro-Assad‘ oder ‚Sprachrohr des Regimes‘ bezeichnet – nur weil ich Alawitin bin. Viele ignorierten, dass ich mich in meiner Berichterstattung gegen das Regime positioniert hatte, obwohl ich mich damit in Syrien in Gefahr brachte“, erzählt Nour Soliman, eine syrische Journalistin und Aktivistin, dem Südwind-Magazin. Nach dem Sturz Baschar al-Assads am 8. Dezember 2024 wurde sie öffentlich durch Anschuldigungen und Verdächtigungen diskreditiert – allein weil sie eine Frau ist und derselben Glaubensgemeinschaft wie Assad angehört. Solimans Fall ist kein Einzelfall. Die alawitische Gemeinschaft wird teils pauschal für die Verbrechen Assads verantwortlich gemacht. Und: Über viele syrische Journalistinnen werden gezielt geschlechts-spezifische Desinformationen verbreitet.
Nach 13 Jahren Bürgerkrieg wurden die innersyrischen Fronten offiziell aufgehoben, in den Köpfen vieler Menschen aber bestehen sie fort. Die Übergangsregierung unter Ahmad al-Sharaa, früher Anführer des islamistischen Milizbündnisses Haiat Tahrir al-Scham, ist derzeit nicht in der Lage, das Land zu stabilisieren. In vielen Bereichen herrschen chaotische Zustände und die Strafverfolgung funktioniert nur in eingeschränktem Maße.
Informationsvakuum. Eine Flut an Desinformation über Syrien hat die sozialen Medien regelrecht überschwemmt. Das bestätigt auch Zouhir al-Shimale, Forscher und Kommunikationsmanager der syrischen Faktencheck-Organisation Verify-Sy. Gegenüber der Deutschen Welle spricht er von einem Informationsvakuum, das sich nach dem Sturz des Regimes aufgetan hat, besonders für diejenigen, für die Assad-kontrollierte Medien als vertrauenswürdige Quelle gegolten hatten. „Jahre der Revolution und des Bürgerkriegs haben tiefe Gräben hinterlassen, und verschiedene Gruppierungen – sowohl lokale als auch internationale – nutzen jetzt Desinformationen, um ihre Positionen zu stärken“, sagt Zouhir al-Shimale.
Unabhängigen Journalismus gibt es in Syrien schon lange nicht mehr, er hat sich ins Ausland verlagert. Im Ranking von Reporter ohne Grenzen rangiert Syrien auf den letzten Plätzen. Der Grund: Assad und seine Verbündeten haben seit 2011 181 Journalist:innen getötet. Berichterstattung im Sinne der lokalen Autoritäten, das wird auch aktuell in vielen Regionen Syriens vorausgesetzt.
Gerüchteküche. Besondere Loyalität wird dabei von den Journalistinnen verlangt. Da sie im Vergleich zu Männern sehr wenige sind, kennt man ihre Namen in der Öffentlichkeit. Über sie werden gezielt falsche Informationen und diskreditierende Gerüchte in Umlauf gebracht, vor allem, aber nicht nur im virtuellen Raum. Das kann sich fatal auf die ohnehin schon hürdenreichen Karrierechancen von Journalistinnen auswirken.
Raghad al-Mutlak, eine Journalistin die von den Demokratischen Kräften Syriens kontrollierten Region Al Jazira im Nordosten des Landes stammt, musste diese Erfahrung machen. „Weil ich mich politisch nicht positionierte, wurden falsche Informationen über mich verbreitet. Viele Journalistinnen und Aktivistinnen werden derart unter Druck gesetzt, dass sie sich gezwungen sehen, sich zurückzuziehen.“ Auf gesetzlicher Ebene haben sie derzeit keine Chance sich zu verteidigen. Mittlerweile hat al-Mutlak die Flucht ins als relativ sicher geltende Damaskus angetreten. Doch auch dort ist sie vorsichtig, was ihr Aussehen und ihre Sprache angeht, und meidet öffentliche Auftritte.
Rückzug. Eine andere junge Frau, die ihren Namen aus Angst um ihre Sicherheit und die ihrer Familie nicht veröffentlicht haben will, ist jahrelang in verschiedenen Medien im vom Assad-Regime kontrollierten Damaskus tätig gewesen. „Nach dem Machtwechsel“, so sagt sie, „erwartete ich, dass die Dinge besser würden! Ich dachte an Freiheit, Gerechtigkeit und gleiche Chancen. Aber es ist nicht so gekommen. Ich beschloss, mich zu isolieren, meinen Job zu kündigen und zu Hause zu bleiben“. Als Grund ihrer Resignation nennt sie die noch fehlende Bereitschaft der Menschen, ihre multikulturelle und religiös diverse Gesellschaft zu akzeptieren – viele sähen die anderen immer noch als Bedrohung an.
Auch auf politischer Ebene sind Frauen weiterhin unterrepräsentiert. In der Übergangsregierung gibt es nur eine Ministerin, Hind Kabawat. Damit wird auch hier in aller Öffentlichkeit suggeriert, dass syrische Frauen in der Revolution gegen al-Assad keine Rolle gespielt haben oder nicht qualifiziert sind, sich in öffentlichen Angelegenheiten zu engagieren.
Festgefahrene Rollen. Baraa Salibi, eine syrische Podcasterin und Frauenrechtsaktivistin, kritisiert zudem syrische Frauenorganisationen. Zu nachlässig sei deren Umgang mit geschlechtsspezifischer Desinformation, zu wenig werde getan, um dieser Vorschub zu leisten.
Sie beobachtet, dass in der syrischen Gesellschaft nach wie vor starre Geschlechterrollen vorherrschen. Sie beruhen auf traditionellen Vorstellungen, die die Teilhabe von Frauen am politischen, öffentlichen und wirtschaftlichen Leben ausschließen. Religion und Tradition werden genutzt, um die Freiheit der Frauen einzuschränken und Themen wie Gewalt gegen Frauen werden häufig ignoriert.
„Das Problem der geschlechtsspezifischen Desinformation ist ernst. Die Herausforderungen sind groß und die Unterstützung, die wir erhalten, oft unzureichend. Dennoch haben wir als syrische Frauen Strategien entwickelt, um uns zu schützen, indem wir uns gegenseitig unterstützen, unsere Geschichten teilen und durch Workshops und Kampagnen das Bewusstsein schärfen“, sagt Salibi. Fest steht: Desinformation ist in Syrien nach dem Assad-Regime ein großes Problem für Journalistinnen und Aktivistinnen geworden. Die politische Unterrepräsentation kann als Zeichen für eine Zukunft mit beschränkten Gestaltungsmöglichkeiten für Frauen interpretiert werden. Bleibt die Frage, wie unter diesen Bedingungen ein friedliches Miteinander überhaupt funktionieren kann.
Nour al-Ahmad ist eine syrische Journalistin und Podcasterin mit Sitz in Österreich. Sie hat sich auf Genderthemen spezialisiert und für verschiedene Medien im Nahen Osten gearbeitet. Für ihre Berichte über syrische Frauen und die Klimakrise hat sie bereits Preise gewonnen.
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