Abschied vom Wahn der Machbarkeit

Von Irmgard Ehrenberger · · 2001/11

Fällt unseren vielgelobten Demokratien als einzige Antwort auf den Terror nur eine massive Repression nach außen und innen ein?

Der Begriff „Pazifismus“ feiert 2001 seinen hundertsten Geburtstag. Doch ist Pazifismus heute noch eine zukunftsfähige Perspektive? Nach dem Ende des Kalten Krieges schien der Frieden – zumindest in den westlichen Demokratien – so sicher wie noch nie. Dass wir an den Kriegen „anderswo“ einen Anteil haben und dass Unfrieden in irgendeiner Weise auf uns zurückfallen könnte, wurde aus der öffentlichen Wahrnehmung weitestgehend verdrängt. „Wo bleibt ihr?“, fragen nun die einen in Richtung der zahlenmäßig recht kleinen Friedensbewegung, „absolute RealitätsverweigererInnen“ konstatieren wiederum andere.

Wie zu erwarten haben sich die USA zum massiven militärischen Angriff auf das Land, das den mutmaßlichen Drahtziehern der Terroranschläge vom 11. September Unterschlupf gewährt, entschlossen. Abseits der akademischen Diskussion über Völkerrecht, Recht zur „Selbstverteidigung“ und Interpretation der UNO-Charta löst dieser Militärschlag im Bewusstsein vieler Menschen die Frage aus, ob uns denn außer Töten und dem Schikanieren der ohnehin schon leidgeprüften Bevölkerung Afghanistans gar nichts mehr einfällt. Viele erwarten oder hoffen auf deutliche Zeichen, auf einen Aufschrei der Empörung, der über Demonstrationen, Mahnwachen oder Protestbriefe hinausgeht und ein wirkliches Gegengewicht zur wortgewaltigen Kriegspropaganda diverser Staatsmänner darstellt. Und diese Proteste gibt es – in allen Ländern Europas, selbst in den USA, auch wenn bei Zahlenangaben von DemonstrationsteilnehmerInnen vielleicht eine Null weniger hinten steht als noch vor 20 Jahren.

Dennoch – die große Herausforderung für PazifistInnen besteht nicht darin, ob großartige und bunte Demonstrationszüge mit griffigen, aber vereinfachenden Parolen organisiert werden oder nicht. Denn Kritik ist in der Arbeit für Frieden und Gewaltfreiheit nur ein Standbein, das andere heißt Alternativen entwickeln, aufzeigen und an deren Durchsetzung arbeiten.

Was ist in Österreich also konkret zu tun? Gerade die Bekämpfung des internationalen Terrorismus diente der NATO und der EU im Rahmen der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik u.a. als Vorwand für verstärkte Militarisierung und Aufrüstung. Auch in Österreich wird parallel mit dieser Entwicklung die Sicherheitspolitik umgebaut und die in der Verfassung verankerte Neutralität unterwandert und ausgehöhlt. Haben nicht gerade die Terroranschläge vom 11. September deutlich aufgezeigt, dass bis an die Zähne bewaffnete Armeen keinen Schutz vor derartigen Verbrechen bieten können?

Es ist an der Zeit, sich vom Machbarkeitswahn zu verabschieden. Zudem müssen wir uns fragen, wie es um unsere vielgelobten Demokratien tatsächlich steht, wenn den PolitikerInnen als einzige Antwort auf den Terror nur eine massive Repression nach außen und innen einfällt. Es gilt, Wege aus der Gewaltspirale zu beschreiten. Obwohl oder gerade weil Österreich ein kleines Land ist, hätte es gute Chancen, hier Impulse zu setzen und eine gewisse Vorbildfunktion einzunehmen. Einige Organisationen wie auch der Versöhnungsbund und engagierte Einzelpersonen bemühen sich, Ideen für eine aktive Friedenspolitik in die politische Diskussion einzubringen bzw. durch Projekte wie z.B. die „Österreichischen Friedensdienste“, die seit Jahren Freiwillige in südost-europäische Länder entsenden, diese Ideen zu konkretisieren. Ein weiteres wichtiges Merkmal einer aktiven Friedenspolitik wäre die Unterstützung ziviler Kräfte in Krisenregionen.

Auch in Afghanistan gibt es zivile Kräfte, die für ein demokratisches Zusammenleben eintreten und die nie Unterstützung erfahren haben. Es bleibt also die Frage, wer, wann, warum und wie unterstützt wird. Die Taliban wurden für den Kampf gegen die Sowjetunion mit Waffen beliefert, nun wird die mehr als dubiose „Nordallianz“ aufgerüstet. Das alles hatten wir doch schon oft genug – denken wir nur an den Irak. Auch das zeigt den Mangel an ethischen Grundlagen der „westlichen Wertegemeinschaft“, die für die eigenen wirtschaftlichen und strategischen Interessen Regime oder Gruppen unterstützt, die Menschenrechte mit Füßen treten.

Und hier komme ich zu einer der wichtigsten Herausforderungen der Friedensbewegung: Den Zusammenhang zwischen Wirtschaft, Globalisierung und Militarismus aufzuzeigen. Es geht um nichts weniger als einen Paradigmenwechsel in unserem Denken: Menschenwürde vor Luxus, demokratische Werte vor Pipelines und billigem Erdöl.

Die Terroranschläge und die massive gewalttätige Anwort sollten uns von Neuem an die Worte Martin Luther Kings erinnern: „Wir haben jetzt nicht mehr die Wahl zwischen Gewalt und Gewaltfreiheit. Wir müssen wählen zwischen Gewaltfreiheit und Untergang.“

Irmgard Ehrenberger ist Mitarbeiterin des Internationalen Versöhnungsbundes, österreichischer Zweig. Der Versöhnungsbund führt vom 12. bis 17. Dezember eine Fastenaktion „Für Frieden in Gerechtigkeit“ durch.

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