Afghanistans Frauen: „Zurück in schlimmen Zeiten“

Von Hoda Khamosh · ·
Porträt von Hoda Khamosh
Die Aktivistin Hoda Khamosh setzt sich unermüdlich für Afghanistans Frauen ein © privat

Die mittlerweile im Exil lebende Frauenrechtsaktivistin Hoda Khamosh kommentiert die dramatischen Entwicklungen für Frauen im Land.

Seitdem die Taliban wieder an die Macht gekommen sind, sind wir, die afghanischen Frauen, in schlimme Zeiten zurückgekehrt. Wir werden lebendig begraben, geschlagen, ausgepeitscht und zwangsverheiratet.

Ein Blick zurück auf die Ereignisse der vergangenen Monate: Im Laufe des Jahres 2021 haben die Taliban immer mehr Provinzen unter ihren Einfluss gebracht bzw. gewaltsam eingenommen. Aus Kandahar sowie aus Takhar, Badakhshan und anderen nördlichen Gebieten flohen daraufhin viele Menschen in die Hauptstadt Kabul. Parks, Moscheen und sogar die Häuser der Kabuler und Kabulerinnen waren voller Menschen, die hofften, dort vor den Taliban in Sicherheit zu sein. Viele davon waren junge Mädchen, die von Familien und Bekannten nach Kabul geschickt worden waren – aus Angst, die Taliban könnten sie mit ihren Soldaten zwangsverheiraten.

Die meisten waren der Meinung, dass die Stadt nicht in die Hände der Taliban fallen würde, weil die US-Amerikaner mit ihnen vereinbart hatten, dass sie die Provinzen, nicht aber Kabul einnehmen würden.

Als Kabul fiel
Dann aber rückten die Taliban in Richtung Kabul vor und Panik breitete sich unter den Menschen aus. Am Sonntag, dem 15. August 2021, waren morgens zuerst nur vereinzelte Schüsse in der Stadt zu hören. Wenig später marschierten die Taliban in Kabul ein und Chaos breitete sich aus. Als der Präsident aus der Stadt geflüchtet war, wurde die Befürchtung aller, dass auch Kabul fallen würde, zur Gewissheit. Aber niemand wusste zuerst, wohin er oder sie flüchten sollte. Die Stadt war zunächst wie in Schockstarre, dann setzten sich die Menschen massenhaft in Bewegung. Ihr Ziel: der Flughafen.

Es war wie eine Flucht vor Zombies. Die Flugzeuge hoben vollgepackt mit Menschen ab. Einige hatten sich an den Flügeln festgehalten und stürzten ab. Eine riesengroße menschliche Tragödie.

Die Türen wurden geschlossen
Die Tage vergingen und die Stadt wurde leise und leer. Immer weniger Frauen trauten sich auf die Straßen. Die Türen von Institutionen und Schulen wurden nach und nach für sie geschlossen. Die Taliban erließen neue Gesetze, die vor allem das Leben der Frauen einschränken: Sie schrieben vor, was sie anzuziehen hatten und was nicht, wofür sie das Haus verlassen durften und wofür nicht, welche Arbeit sie leisten sollten und welche nicht, wie und wie weit weg sie reisen durften – natürlich nur mit männlicher Begleitperson, die der Islam der Taliban vorschreibt.

Schockierende Nachrichten über mysteriöse Morde an Frauen kamen täglich aus den Provinzen. Keine Frau hatte mehr das Recht, das Haus allein zu verlassen. Wenn sie es tat, lief sie Gefahr, beraubt zu werden.

Protest keimte auf
Die Frauen begannen gegen die strengen Regeln der Taliban zu protestieren, nachdem fünf Frauen verschwanden und ihre Leichen drei Tage später in der Nähe des Flughafens von Mazar-e-Sharif gefunden wurden.

Je strenger die Regeln, desto mehr Proteste gab es, und sie weiteten sich von Kabul, Herat und Balkh auf andere Provinzen aus. Viele Frauen, die auf die Straße gingen, um ihre Stimme für Gerechtigkeit zu erheben, kehrten von den Taliban-Soldaten verwundet nach Hause zurück. Je mehr Proteste es gab, desto wütender wurden die Taliban. Sie setzten Gewehrkolben, Peitschenhiebe, Tränengas, Pfefferspray gegen die Frauen ein.

Ermordet und eingesperrt
Am 7. und 8. September wurden bei Protesten in Mazar-e-Sharif etwa vierzig Frauen und Mädchen entführt und eingesperrt. Acht Mädchen wurden von den Taliban gefoltert und gruppenvergewaltigt, dann bekamen ihre Familien die Leichen zurück. Fünf Mädchen wurden nach ihrer Freilassung von ihren Familien getötet, andere kamen unter mysteriösen Umständen ums Leben. Vermutlich wurden auch sie getötet, damit sie nicht erzählen konnten, was im Gefängnis geschehen war. Hanifa, eines der Mädchen, die freigelassen wurden, traf in der Nähe ihres Hauses eine Kugel in die Stirn. Das Schicksal anderer war zunächst unbekannt.

Jede Woche aber wurden in den Straßen von Mazar-e-Sharif getötete Frauen mit gefesselten Händen und deutlich sichtbaren Spuren von Schlägen gefunden. Diejenigen, die freigelassen wurden, mussten den Taliban garantieren, dass sie mit niemandem darüber sprachen. Das gleiche geschah mit Frauen, die in Kabul festgenommen wurden. Um freigelassen zu werden, mussten ihre Familien ihr Eigentum den Taliban überlassen.

Repression auch gegen Männer
Die Repressionen richteten sich nicht nur gegen Frauen. Jeder, der sich gegen die Taliban ausspricht, wird entweder getötet oder verhaftet, um für immer zum Schweigen gebracht zu werden. Die landesweit bekannten politischen Aktivisten Faizullah Jalal und Sayed Baqer Mohseni sind Beispiele für diese Unterdrückung.

Die Taliban haben ihre rigiden Gesetze von 1996 ausgegraben und setzen diese nicht nur mit voller Härte durch, sondern erlegen Frauen jetzt immer strengere Gesetze auf. Mädchen und Frauen dürfen nicht mehr in die Schulen gehen und müssen wieder Burka tragen.

Mein einziger Wunsch ist, dass die Regierung der Taliban von keinem Land weltweit anerkannt wird und ihre Herrschaft möglichst bald ein Ende findet.

Übersetzung: Ramin Siawash

Die 25-jährige afghanische Dichterin und Aktivistin Hoda Khamosh setzt sich seit 2015 für die Rechte der Frauen Afghanistans ein. Um ihr Engagement weiterführen zu können, zog sie nach der Machtübernahme der Taliban in Norwegens Hauptstadt Oslo. Als eine Delegation der Taliban im Jänner zu offiziellen Gesprächen vor Ort war, forderte sie von ihnen die Freilassung in Afghanistan inhaftierter Frauen.
Kürzlich wurde sie vom Time Magazine auf die Liste der „100 einflussreichsten Persönlichkeiten 2022“ gesetzt.

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