Ali neben Marc-Laurin

Von Redaktion · · 2013/09

Was Kinder auf eine globalisierte Welt vorbereitet, sind nicht französische Privatschulen oder Chinesischwörterbücher in der Schultüte. Die Eine Welt findet man nur in der Einen Schule, meint Niki Glattauer.

Nachdem es jetzt die Tochter meiner Kollegin mit Ach und Weh doch noch zum Abschluss in der französischen Privatschule gebracht hatte, entluden sich bei Mutter und Kind nach Jahren der Anspannung und Verkrampfung, des Bangens und Zitterns, der unzähligen schulischen Tiefen und raren Höhen die Emotionen. Meine Kollegin heulte wie ein Schlosshund. „Glaub mir, es waren Jahre der Hölle“, sagte die Mutter.

„Aha?“

„Hab einmal ein Kind in einem Eliteprivatgymnasium – als kleine Lehrerin.“

„Eh. Aber du hättest dein Kind ja auch in eine normale Schule geben können, oder?“

Den Blick hättest du sehen sollen: als hätte ich die größte Unverschämtheit ausgesprochen, die ein Mensch nur aussprechen kann. Ich ignorierte den Blick und wandte mich der Tochter zu:  „Du hättest ja wirklich in eine normale Schule gehen können, oder?“

Da drehten sich die beiden Damen kopfschüttelnd auf dem Absatz um. Jetzt muss ich fairerweise dazu sagen: Ich habe mit der Frage natürlich absichtlich provoziert, denn ich habe sie nicht zum ersten Mal gestellt. Und ich kenne die Antwort. Sinngemäß und zusammengefasst: Wer in einer globalisierten Welt nach oben kommen wolle, müsse global lernen – und dafür eigne sich in Österreich nur eine internationale Schule. So weit – so glatt verkehrt.

Als wäre die internationale Schule ein Abbild der Internationalität, geschweige denn einer globalen Welt. Ja, der globalen Higher Society, das bestimmt, des globalen Leadership, das vielleicht. Der Einen Welt? Mitnichten.

Die Eine Welt ist heterogen und nicht homogen, die Eine Welt gibt es nicht in einem Klassenzimmer, dessen Klientel sich zu hundert Prozent aus höheren Töchtern und Söhnlein zusammensetzt, bzw. solchen, die in deren Kreise drängen; Kindern, die, ihre Chinesischwörterbücher in der Schultüte, aus allen Herren Bezirken in die Einen Schulen gekarrt werden, nur um dort unter sich bleiben zu können. Auf dem Weg nach einem vermeintlichen Oben.

Die Eine Welt – das ist auch die Welt da unten, die Welt ums Eck, in allen ihren Schichtungen und Nuancen, mit allen ihren Kulturen und Subkulturen. Die Eine Welt, das wäre die Schule ums Eck, in der Ali neben Marc-Laurin säße, Kevin neben Hans, Anne-Sofie neben Snezana, Carmen neben Jennifer. Wäre, säße – leider nur die Konjunktive.

Unser Schulsystem mit seiner Segregation nach der Volksschule fördert die Eine Schule, die wahrhaft globale Schule, nicht nur nicht, sie verhindert sie. Vor allem in den städtischen Ballungsräumen. Dort sprießen die vermeintlichen Eliteschulen für „die einen“ aus dem Boden – und produzieren damit die Restschulen für „die anderen“. Nordhalbkugel gegen Südhalbkugel im Mikrokosmos der Schulsprengel …

Weltoffenheit und Empathie gegenüber dem Anderen zu säen – das ist das oberste Ziel Globalen Lernens. Zwei simple Strukturmaßnahmen würden helfen, es zu erreichen: die gemeinsame Schule. Und ein verpflichtender Religionenunterricht, der alle Konfessionen umfasst, mit einem Hauptakzent auf deren ethischen Gemeinsamkeiten.

Aber sag das einmal Marc-Laurins Vater … 

Niki Glattauer ist Buchautor, Kolumnist und Lehrer in Wien. Sein neuer Roman „Mitteilungsheft: Leider hat Lukas …“ (Kremayr & Scheriau) erscheint Anfang September.

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