Alles, nur nicht still sein

Von Anna Kassaras · · 2021/Jan-Feb

Rouddy Kimpioka gründete im Flüchtlingscamp Moria auf Lesbos eine Band, weil Musik die Menschen am Leben und am Hoffen hält.

Von Anna Kassaras

Auf der Bühne sind sie SängerInnen, MusikerInnen, RapperInnen. Und im sonstigen Leben? Ausgeschlossene, die seit Jahren an den europäischen Grenzen festsitzen.

Um sich selbst und den Menschen in den völlig überfüllten Flüchtlingslagern auf der griechischen Insel Lesbos eine Perspektive zu geben, gründete der Kongolese Rouddy Kimpioka 2018 die Band RAD Music, kurz für: „Refugees African Dance Music“.

Rund 50 Männer und Frauen – vornehmlich aus Afrika stammende Geflüchtete, unter ihnen einige professionelle MusikerInnen – spielen seither populäre afrikanische Musik. Gesungen wird in englischer, französischer und griechischer Sprache.

Fast alle MusikerInnen lebten im Camp Moria, bevor es im September vergangenen Jahres vollständig abbrannte.

Zeitweise waren viele von ihnen ohne Obdach. Dann wurden die meisten in einem neuen improvisierten Camp am Meer untergebracht.

Da wie dort sind die Lebensbedingungen katastrophal. Bei Regen wird der Boden zu einem schlammigen Sumpf. Pro Tag wird nur eine Mahlzeit verteilt, in Moria waren es immerhin drei, erzählt Kimpioka.

Hilfeschrei. Ihre Verzweiflung, ihre Ängste und ihre Hoffnungen packen die Bandmitglieder von RAD Music in ihre Lieder. „Über die Musik vermitteln wir die Botschaft: Hier sind Menschen, die leiden, Menschen, die Hilfe brauchen“, sagt Kimpioka.

Eigentlich ist der drahtige 30-Jährige studierter Informatiker. Vor drei Jahren verließ er seine Heimatstadt Kinshasa in der Demokratischen Republik Kongo aus politischen Gründen, wie er sagt. Dazu brauchte er Geld und gute Beziehungen. FreundInnen und Verwandte halfen ihm, ein Visum und ein Flugticket zu erhalten, um in die Türkei reisen zu können.

Von der türkischen Küste schaffte er es mit einem Boot nach Lesbos. Er war in Moria interniert, heute lebt er in der Hauptstadt Mytilini und wartet nach wie vor auf die Bewilligung seines Asylantrags.

In der Zwischenzeit blieb Kimpioka nicht untätig. Bei der NGO One Happy Family arbeitete er als Lehrer, für die Organisation Ärzte ohne Grenzen als Übersetzer. Er baute ein Internetcafé auf, um Jugendlichen Computerkurse anzubieten. Und dann kam ihm die Idee mit der Musik. „Wenn ich ein Problem habe, dann singe ich. Und wenn ich singe, dann löse ich mein Problem“, sagt er. „Musik ist dazu in der Lage, alle miteinander zu verbinden und auf dieselbe Ebene zu stellen.“

Menschen zusammenzubringen, das ist es, was Kimpioka besonders gut gelingt. Tatkräftige Unterstützung erhält er dabei nicht nur von Freiwilligen aus aller Welt, die sich in Lesbos für Geflüchtete engagieren, sondern auch von der lokalen NGO Syniparxi (Koexistenz). Syniparxi kommt für die Miete des Proberaums auf und hilft bei der Organisation von Live-Auftritten.

Das Publikum bei den Konzerten – vor der Corona-Pandemie – war jedenfalls begeistert, Menschen sprangen zu den Beats auf und ab, tanzten zu Reggae-Klängen und lauschten nachdenklich den Rap-Texten über das Leben im Flüchtlingslager.

„Ich will Freiheit.“ Einige seiner Songs handeln vom Leben als Flüchtling in Zeiten von Corona. So geht es in Kimpiokas Lied „We are all in the same boat“ darum, dass das Virus jeden treffen kann.

Das Lied „Un Mètre de Distance“ beschreibt auf Französisch, was man tun muss, um sich vor einer Übertragung des Virus zu schützen.

Abstand halten, Hände waschen – alles Dinge, die in einem überfüllten Flüchtlingscamp jedoch kaum machbar sind.

Sein neuer Song „Freedom“ handelt vom Leid der Menschen, die in Flüchtlingslagern leben müssen. „Ich will Freiheit“, singt Kimpioka zu eingängigen Reggae-Klängen. Der dazu produzierte Videoclip zeigt Mitglieder von RAD Music auf den Trümmern des verbrannten Geländes von Moria. Betrübt blicken sie auf das neue Lager am Meer. „Freiheit ist das Geheimnis des Erfolgs“, heißt es am Ende.

Anna Kassaras ist freie Journalistin und schreibt für deutschsprachige Zeitungen und Magazine. Sie lebt in Deutschland und Griechenland.

Siehe auch „Auf Lesbos versinkt gerade unsere Würde“ – ein ausführliches Interview, das sich u.a. mit der Situation der Geflüchteten im Mittelmeerraum und auf Lesbos beschäftigt.

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