Alte Bäume, altes Wissen

Von Lioba Suchenwirth · · 2005/10

In einem Naturreservat keimt auch das neue Selbstbewusstsein der indigenen Bevölkerung, die dort aus eigener Kraft ihre Kultur und Umwelt schützt und pflegt.

Im Schulgebäude stinkt es. Dichte Farbnebel dringen durch die Fenster, denn im Garten ist Humberto Tesucun damit beschäftigt, die Rinde von Zitronenschößlingen in Streifen rot zu besprühen.
„In letzter Zeit wurde uns immer wieder Saatgut gestohlen. Wer aber die Bäumchen jetzt verkaufen will, muss erst die rote Rinde abschälen. Und da gehen die Schößlinge ein. Gemein, aber gerecht“, grinst der 24-Jährige.
Humberto Tesucun ist ein Koordinator des Gemeinschaftsprojekts Bio Itzá in San José, einem Dschungeldorf mit 2.000 EinwohnerInnen im Norden Guatemalas.
„Bio Itzá entstand, um die Artenvielfalt unseres Waldes zu bewahren. Die Zitronenbäume verteilen wir im Rahmen einer Kampagne gegen Monokulturen kostenlos an die Bevölkerung in der Umgebung. Als Gegenleistung müssen die Bauern und Bäuerinnen unsere Schulungen über ökologischen Anbau besuchen. Wir möchten so dafür sorgen, dass sich herkömmliche Methoden der nachhaltigen Landwirtschaft wieder verbreiten und gleichzeitig den Menschen eine finanzielle Alternative bieten“, erklärt Humberto.
Bio Itzá, in der „Biosfera Maya“ gelegen, der größten Regenwaldschutzzone Guatemalas, unterscheidet sich von anderen Naturreservaten, da es nicht nur Pflanzen und Tiere, sondern auch Kultur und Wissen der indigenen Bevölkerung, der Mayagruppe Itzá, als schützenswert erklärt.
Das Projekt läuft auf vier Ebenen: die Betreuung eines Reservats, ein Garten mit Heilpflanzen, eine Spanischschule für TouristInnen sowie Aktivitäten im Sozial- und Bildungsbereich.

Ausländische Firmen dringen auf der Suche nach Öl immer wieder in den Wald vor. Wilderer jagen Tiere, die in ausländischen Privatzoos oder in den Kochtöpfen teurer Restaurants landen, und durchstreifen die Wälder auf der Suche nach Edelhölzern.
Am Rand des 2,1 Millionen Hektar umfassenden Schutzgebiets – etwa die Größe Niederösterreichs – gibt es eine Pufferzone, die landwirtschaftlich genutzt werden darf. Dort siedelten sich in der Zeit des 36 Jahre dauernden Bürgerkriegs Vertriebene an, die auf eine neue Chance als Bauern hofften. Später verschenkte die Regierung Land als Abfindung für ehemalige Soldaten und Guerilleros zur Rinderzucht und zum Maisanbau.
Doch für solch intensive Nutzung ist der Boden des Regenwalds nicht geschaffen, und die neuen Siedler haben keine ausreichenden Kenntnisse der lokalen Gegebenheiten.
„Die Humusschicht hier im Regenwald ist nur etwa fünf bis acht Zentimeter stark und muss ständig durch verfaulendes Laub oder Ähnliches gespeist werden“, erklärt Projekt-Koordinator Tesucun. Hinzu komme, dass die Bauern zumeist Monokulturen anbauen, die den Boden innerhalb kurzer Zeit auslaugen. „Zurück bleibt eine Art Kalksteinwüste, auf der nichts mehr wächst – und die Siedler dringen ein Stück weiter in den Dschungel vor“, bedauert er.
Ende der 1980er Jahre, in denen im Schatten des Bürgerkriegs nahezu ungestört Raubbau betrieben wurde, wollten die EinwohnerInnen San Josés der Zerstörung ihres Waldes nicht länger tatenlos zusehen. Insbesondere die älteren BürgerInnen engagierten sich.

„Wir sind direkte Nachkommen der Maya Itzá. Die Itzá sind eines der 23 indigenen Völker Guatemalas. Wir wurden als letzte, erst 1697, von den Konquistadoren unterworfen. Für uns ist der Wald Teil des Erbes unserer Kinder und Enkel, Teil unserer Kultur, Teil unseres Selbst. Mit dem Wald wird unsere Lebensgrundlage zerstört, und das nicht nur im materiellen Sinn“, erklärt Reginaldo Chayax Huex, der Direktor des Projektes Bio Itzá.
Die DorfbewohnerInnen wählten ein Komitee, das die Einrichtung eines Naturreservats forderte. „Nach über einem Jahr gewaltlosen Widerstands, in dem wir Drohungen und Bestechungsversuche über uns ergehen lassen mussten, wurde 1991 ein 35km2 großes Reservat eingerichtet. Tiere und Pflanzen sind dort absolut geschützt. Doch bald war klar, dass mit dem Wald auch unsere Kultur bewahrt werden musste. Itzá, unsere Sprache, stand kurz vor dem Aussterben“, erzählt der 76-Jährige.
Umgangssprache in San José ist Spanisch, eine Folge der offiziellen Politik der letzten Jahrzehnte. Die Mayasprachen wurden in den Schulen und allen offiziellen Einrichtungen verboten. Erst die jetzige Regierung hat die 23 indigenen Sprachen als eigenständige Idiome anerkannt, doch Spanisch bleibt die einzige Amtssprache Guatemalas.
„Jahrelang galt in der Politik der Ladinos, der Mestizen und Weißen, dass wir Mayas keine Kunst haben, sondern bestenfalls handwerkliche Fähigkeiten; keine Geschichte, sondern Mythen; keine Religion, sondern Aberglauben. Erst durch das Abkommen über die Rechte der indigenen Bevölkerung und das anschließende Ende des Bürgerkriegs 1998 wurde es uns überhaupt möglich zu zeigen, dass auch unsere Kultur etwas wert ist“, sagt Reginaldo Chayax Huex. Heute erhält jedes Kind täglich eine Stunde Sprachunterricht in Itzá.
Während der Sommermonate ist die Spanischschule eine gute Einkommensquelle. Besonders StudentInnen aus den USA und Europa nehmen gerne die 40-minütige Holperfahrt von der Provinzstadt Flores durch den Dschungel auf sich, um in dem charmanten Dörfchen am Ufer des Lago Petén Itzá ihre Spanischkenntnisse aufzubessern. Doch der Sprachunterricht dient nicht nur dazu, den Schutz des Reservats zu finanzieren. Zugleich wird interessierten TouristInnen die Kultur und Geschichte der Mayas näher gebracht, und durch Aufenthalte in Gastfamilien kann der Alltag der Indígenas miterlebt werden.
Mit der Kultur der Itzá ging auch überliefertes Wissen über den Gebrauch von Heilpflanzen verloren. Daher legten die MitarbeiterInnen einen Garten mit Pflanzen an, die traditionell für medizinische Zwecke verwendet wurden. Seifen, Cremes, Shampoos und andere Produkte aus diesen Pflanzen werden nun auf dem lokalen Markt verkauft. Zugleich wird das Wissen in Schulungen weitergegeben und für die Nachwelt dokumentiert.

Zum Einzugsgebiet von San José gehörte auch die von der UNESCO als Weltkulturerbe unter Schutz gestellte Tempelanlage Tikal, bis die Behörden der nahen Provinzhauptstadt Flores die Ruinen als lohnende Einnahmequelle erkannten – und ab sofort unter ihre Verwaltung stellten.
In den angrenzenden Wäldern befinden sich noch zahlreiche Maya-Ruinen und Ausgrabungsstätten. Auch im Reservat sind Reste ehemaliger Gebäude und Tempel zu erkennen, wenngleich zumeist völlig von Pflanzen überwachsen.
Die Ruinen müssen vor Raubgräbern geschützt und aufwändig konserviert werden, um sie für die Nachwelt zu sichern. „Natürlich wäre es ganz im Sinne des Reservats, diese Hinterlassenschaft den heutigen Mayas wieder zugänglich zu machen. Aufgrund der knappen finanziellen Mittel bleibt dies vorerst aber nur ein Traum“, bedauert Chayax Huex.
Gleichzeitig bemühen sich die Projekt-Koordinatoren um die offizielle Anerkennung als „Kulturreservat“ durch den Staat. Damit würde Bio Itzá als Reserva Comunitaria Indígena auf offiziellen Landkarten erscheinen – ein weiterer Ansporn für das Selbstwertgefühl der Mayas, und ein potenzieller Anreiz für finanzielle Unterstützung durch internationale Organisationen. Die Weltbank zeigte bereits Interesse, ein Finanzierungsplan wird vorbereitet.

Ein weiteres Ziel ist die Erweiterung der Sprachschule zu einem umfassenden Ökotourismus-Betrieb sowie der Ausbau des Campinglagers, in dem die acht Wächter des Reservats untergebracht sind.
Dafür muss die Straße in das Reservat ausgebaut werden. In der Regenzeit müssen die Wächter bei Schichtwechsel den 20 Kilometer langen Weg zu Fuß zurücklegen; die medizinische Versorgung kann nicht garantiert werden.
Doch eine befahrbare Straße erleichtert Wilderei und Raubbau.
Auf dem Weg in das Reservat steht ein parkender Transporter, der Holz geladen hat. „Genau darum geht es“, überschreit Humberto Tesucun den dröhnenden Motorenlärm des Landrovers, „die haben gerade einen Mahagonibaum aus dem Reservat gefällt“.
Tesucun: „Niemand kommt unbewaffnet hierher, und das kann sehr ungemütlich werden. Uns bleibt nur zu hoffen, dass die Wächter rechtzeitig hier sind. Für Funk im Auto haben wir leider kein Geld.“
Der streitbare Direktor Chayax Huex wird sich noch nicht so bald zur Ruhe setzen können. „In den letzten 20 Jahren haben wir mehr erreicht, als wir uns zu erträumen hofften. Dennoch denke ich: Unser Kampf hat gerade erst begonnen.“


Weitere Information zur Sprachschule in San José unter www.guatemala365.com/list.php?id=16. Die Kooperative Bio Itzá kann unter escuelabioitza@hotmail.com erreicht werden.

Lioba Suchenwirth studiert Friedens- und Konfliktforschung an der Universität Oslo und ist als freiberufliche Journalistin in Deutschland und England tätig. Sie schreibt ihre Master Thesis über friedensjournalistische Arbeit in Guatemala.

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