Am Ziel einer langen Reise

Von Werner Hörtner · · 1999/01

Ein Grundvertrag zwischen dem indianischen Volk der Nisga’a und der Provinzregierung von British Columbia in Kanada garantiert dieser ‚First Nation‘ weitreichende Autonomie.

„Seit mehr als hundert Jahren“, berichtete kürzlich Joseph Gosnell, Vorsitzender des Stammesrates der Nisga’a (sprich Nischga) in Wien, „ringen wir um eine Regelung der Landfrage. Bereits im Jahre 1887 stiegen unsere Vorfahren in ein Kanu, paddelten den ganzen Weg bis nach Victoria – und wurden dort vor den Toren der Gesetzgebenden Versammlung von Premierminister Smithe abgewiesen.“

Es sollten noch viele Jahre vergehen, bis sich die Regierung überhaupt zu Gesprächen bereiterklärte. Erst 1973 erkannte der damalige Premier Pierre Trudeau den prinzipiellen Anspruch der First Nations (Bezeichnung für indigene Völker und Stämme in Kanada und den USA) auf Entschädigung durch den kanadischen Staat an.

Am 4. August 1998 unterzeichneten die Nisga’a mit der Provinzregierung von British Columbia und der Bundesregierung einen Vertrag, der die Koexistenz von indianischem Volk und Staat dauerhaft und für beide Teile zufriedenstellend lösen soll.

Die Nisga’a siedeln im Gebiet des Nass River im Nordwesten von British Columbia, etwa 1500 km nördlich der Provinzhauptstadt Vancouver. Das Volk zählt etwa 5500 Angehörige, von denen allerdings eine Mehrheit in den nahegelegenen Städten Prince Rupert und Terrace und in Vancouver lebt.

Die Nisga’a-Region ist reich an Wald und Wasser, ins Ökonomische übersetzt: an Holz und Fischen. Allein fünf Lachsarten tummeln sich in den Flüssen

Der Vertrag räumt den Nisga’a weitreichende Selbstverwaltung in einem 2000 km2 großen Stammland ein – das ursprünglich beanspruchte Territorium umfaßte allerdings das Zehnfache dieser Fläche. In diesem Kerngebiet verfügen sie voll über die Landrechte und die Nutzungsrechte der über- und unterirdischen Rohstoffe sowie über eine eigene Gerichtsbarkeit – parallel dazu gelten allerdings die Provinz- und Bundesgesetze weiter.

„Go and speak to the white man and make a treaty with them“, so erklärte Gosnell den Auftrag, den die Nisga’a-Stammesführer von den spirituellen Autoritäten erhalten hätten. Der Grand Chief weilte auf Einladung des neugegründeten Zentrums für Kanada-Studien am Institut für Völkerkunde der Universität Wien in Österreich. Seiner Auffassung nach ist das Abkommen ein Kompromiß von Geben und Nehmen – kein Idealvertrag, doch ist das Ergebnis das beste, das herauskommen konnte.

Der auf etwa 800 Seiten niedergeschriebene Vertrag sieht Entschädigungszahlungen des Staates an die Nisga’a in der Höhe von 190 Millionen kan. Dollar (ca. 1,5 Mrd. öS) vor, zahlbar in einem Zeitraum von 15 Jahren. Dafür verzichten sie auf die im Indian Act („Indianergesetz“, das den Umgang der Bundesregierung mit den First Nations regelt) vorgesehene Steuerbefreiung.

Andererseits wird durch den neuen Vertrag die Zuständigkeit des paternalistischen, vielfach restriktiven Indian Act für die Nisga’a außer Kraft gesetzt – ein völliges Novum in der Geschichte der kanadischen Indianerpolitik.

Kritik am Abkommen kommt von mehreren Seiten. Stammesintern, da die Verhandlungsführer zu viele Konzessionen an die Regierung gemacht hätten (vor allem die starke Reduzierung des ursprünglich geforderten Stammlandes). Seitens anderer First Nations, die befürchten, daß dieses Abkommen ihnen nun von der Regierung als Modellvertrag aufgezwungen werden könnte – wobei Chief Gosnell immer wieder betont, daß die Nisga’a nur für ihr Volk verhandelten und der Vertrag deshalb nicht als Muster für andere Völker gelten könne.

Der größte Widerstand kommt jedoch von weißer Seite, organisiert von der in British Columbia oppositionellen Liberalen Partei. Medienzar David Blake, Eigentümer von rund 60 Lokalzeitungen in der Provinz, startete eine Kampagne gegen den Vertrag. Er gab an seine Medien die Devise aus, nichts Positives über das Abkommen zu berichten.

Rund 70 First Nations verhandeln gegenwärtig in Kanada mit der Regierung einen Vertrag aus, 51 davon in British Columbia. Ein Problem dabei sind die Gebietsforderungen, da sich diese oft mit denen der Nachbarstämme überschneiden.

Der im August unterzeichnete Vertrag wurde im vergangenen Dezember von den Nisga’a in einer Urabstimmung bestätigt: 61 % sprachen sich dafür aus, 23 % dagegen.

Es steht nun noch die Ratifizierung durch das Provinz- und das Bundesparlament aus, doch ist eine Mehrheit in diesen Gremien höchstwahrscheinlich. Premier Jean Chrétien hat kürzlich Chief Gosnell persönlich versichert, daß er voll hinter dem Vertragswerk stehe.

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