An den Grenzen des Möglichen

Von Stefan Pleger · · 2004/07

Hunderttausende Vertriebene warten in Lagern in der westsudanesischen Provinz Darfur auf internationale Hilfe. Stefan Pleger von der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen berichtet von seinem Einsatz.

Wie ein Ring legen sich die elf registrierten Camps für die Binnenflüchtlinge um El Genina, die Hauptstadt West-Darfurs. Wir passieren das Camp Dourti, müssen kurz anhalten, um einige Esel vorbei zu lassen, die in großen schwarzen Schläuchen aus Leder das Wasser in das Camp bringen. Noch ein, zwei Kilometer und wir sind am Check-Point. Unser Fahrer steigt aus, um dem wenig interessierten Uniformierten am Straßenrand unsere Travel-Permit zu zeigen.
Die Fahrt geht über eine Sandpiste nach Mornay. Selbst mit unserem Geländewagen brauchen wir für die gut 90 Kilometer knapp zweieinhalb Stunden. Immer wieder durchqueren wir trockene Flussbette und kleine Senken. Auf beiden Seiten der Straße aufgestellte Eisenrohre sollen in der Regenzeit den Verlauf des Weges kennzeichnen. Trotzdem ist es nur schwer vorstellbar, dass dann hier ein Fortkommen möglich ist. Die Regenzeit macht aus den jetzt trockenen Senken kleine Seen und aus den sandigen Flussbetten reißende Flüsse. Doch diese Straße wird, wenn überhaupt, für etwa drei Monate die einzige befahrbare Route nach Mornay sein.
Immer wieder passieren wir Dörfer oder das, was davon übrig blieb. Niedergebrannte Hütten, verkohlte Viehzäune. Einmal tauchen am Horizont Rauchschwaden auf. Wir können nur erahnen, dass auch dort wieder ein Dorf in Flammen steht. Erst kurz vor Mornay sehen wir das erste Mal wieder Menschen. Eine Gruppe von zwanzig, vielleicht dreißig Frauen geht schwer beladen Richtung Camp. Sie waren Gras und Feuerholz sammeln. Nur noch gemeinsam trauen sie sich das Camp zu verlassen, aus Angst vor Übergriffen, Plünderungen und Vergewaltigungen. Vor Mornay ist wieder eine Militärkontrolle. Hier wird uns nur von Weitem zugewunken, dass wir weiterfahren sollen. Unser Auto ist durch die Fahne auf der Motorhaube leicht als Fahrzeug der Hilfsorganisation „Ärzte ohne Grenzen“ zu erkennen. Die Kennzeichnung hat etwas Beruhigendes, auch wenn nicht sicher ist, ob sie tatsächlich Schutz bietet. Wenige Tage zuvor war ein als Hilfstransport gekennzeichneter LKW auf dieser Route überfallen und geplündert worden.

Hier in Mornay, einer ehemals 5.000 EinwohnerInnen zählenden Stadt, leben jetzt zwischen 70.000 und 80.000 Vertriebene. Ein erster Spaziergang durch das Camp lässt die Not der Menschen erahnen, die hier Zuflucht suchen. Es sind hauptsächlich Frauen und Kinder, die in kleinen, aus Gras und Stroh zusammengebauten Unterkünften dicht aneinander gedrängt leben. Fast keine dieser Notunterkünfte besitzt ein Dach. An den zwölf Wasserstellen, an denen aus je sechs Hähnen mit Chlor aufbereitetes Trinkwasser an die Binnenflüchtlinge verteilt wird, stehen die Menschen stundenlang an. Ich zähle die Kanister, Töpfe und Schüsseln, die in langen Reihen vor jedem Wasserhahn stehen und versuche hoch zu rechnen Die letzten kommen heute sicher nicht mehr dazu, ihre Kanister zu füllen. Doch mehr Kapazitäten gibt es derzeit nicht. Ärzte ohne Grenzen verteilt bereits jetzt täglich an die 500.000 Liter Trinkwasser.
Vor dem medizinischen Ernährungszentrum stehen zahlreiche Mütter mit ihren Kindern Schlange. Es ist kurz nach sieben Uhr morgens. Viele der Kinder sind nur noch Haut und Knochen. Eine Frau hält mir ihr vielleicht dreijähriges Kind entgegen und redet auf mich ein. Auch wenn ich ihre Sprache nicht verstehe, ist der Sinn ihrer Worte leicht zu deuten. Sie will, dass wir das schwer unterernährte Kind in unser Ernährungsprogramm aufnehmen Doch wie sie warten viele. Täglich werden es mehr Kinder, die in das Programm aufgenommen werden müssen, und unsere Möglichkeiten sind begrenzt. Bereits jetzt sind 380 unterernährte Kinder in medizinischer Betreuung. Weitere knapp 2.000 erhalten zweimal wöchentlich Nahrungsmittel und Aufbaupräparate. Lokale MitarbeiterInnen von Ärzte ohne Grenzen wiegen und messen die Kinder. Ein lokaler Gesundheitsarbeiter führt die medizinischen Konsultationen durch.

Die immer schlechter werdende Gesamtsituation hat Ärzte ohne Grenzen dazu veranlasst, an alle Kinder unter fünf Jahren Lebensmittel zu verteilen. An zwei Tagen wird an etwa 15.000 Kinder eine Ration von fünf Kilogramm Unimix, einer Getreidemischung mit Ergänzungsstoffen, und einem Liter Öl ausgegeben. Nun soll diese Verteilung alle zwei Wochen wiederholt werden. Das bedeutet 90 Tonnen Lebensmittel, die alle vierzehn Tage hierher gebracht werden müssen, besonders in der Regenzeit eine logistische Herausforderung. Am Abend nach der Lebensmittelverteilung gehe ich durchs Camp. Die Frauen zeigen ihre Dankbarkeit. Immer wieder werde ich in eine der Unterkünfte gezogen und man deutet mir, dass jetzt wieder gekocht werden kann. Eine alte Frau nimmt mich beim Arm und gibt mir zu verstehen, dass sie Hunger habe. Gestikulierend erklärt sie mir, dass sie keine Kinder habe und daher keine Lebensmittel erhalten habe. Mir wird klar, wie unzulänglich die Lebensmittelausgabe ist. Doch was können wir mehr machen? Wir sind schon jetzt an den Grenzen unserer Möglichkeiten angekommen.

Stefan Pleger ist Vorstandsmitglied von Ärzte ohne Grenzen Österreich.

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