Angst, Gewalt und ein Hallelujah

Von Anja Bengelstorff · · 2020/Sep-Okt
Burundis Langzeit-Präsident Pierre Nkurunziza 2014. © AU UN IST Photo / Ilyas A. Abukar / Wiki Commons / CC

Der burundische Langzeitpräsident Pierre Nkurunziza ist Anfang Juni im Alter von 55 Jahren verstorben. Das bedeutet wohl keinen Wendepunkt für sein geplagtes Land.

Von Anja Bengelstorff

Die offizielle Todesursache war Herzversagen. Anfang Juni starb Burundis Langzeitpräsident Pierre Nkurunziza. Er war erst 55 Jahre alt, trieb viel und regelmäßig Sport. Die offiziellen Angaben zu seinem Tod werden in Zeiten von Corona stark angezweifelt.

Die Pandemie existierte in dem zentralafrikanischen Land laut Regierung lange nicht. Bis Anfang August, erst dann sagte der neue Präsident Évariste Ndayishimiye dem Virus den Kampf an.

Die Begründung für das Nichtstun in Sachen COVID-19 lieferte der Evangelikale Nkurunziza, der Burundi 15 Jahre geprägt hatte, vor seinem Tod noch selbst: Gott habe die Luft in Burundi gereinigt, weshalb in diesem „gesegneten“ Land keine Masken notwendig seien.

Ungewiss ist, auch abseits Corona, wie der erst im Mai mit Nkurunzizas Segen neugewählte Ndayishimiye Burundis Zukunft gestalten wird. Das kleine Land mit elf Millionen EinwohnerInnen steht vor gewaltigen Herausforderungen, ist durch Nkurunziza wirtschaftlich und politisch isoliert.

Ehemaliger Rebellenführer. Als Nkurunziza 2005 vom Parlament zum ersten Mal zum Präsidenten gewählt wurde, war er der Führer der ehemaligen Hutu-Rebellenbewegung CNDD-FDD (Nationalkomitee/Kräfte zur Verteidigung der Demokratie).

Die CNDD-FDD war die größte Rebellengruppe während des von 1993 bis 2005 andauernden Bürgerkrieges in Burundi. Die politisch und dann auch ethnisch motivierten Massaker zwischen Hutu und Tutsi haben in der Folge geschätzt 300.000 Todesopfer gefordert.

Erfahrungen von Gewalt hatten Nkurunziza schon als Kind tief geprägt: Sein Vater, ein Hutu-Parlamentsabgeordneter, war während des Völkermordes 1972 unter dem Tutsi-Diktator Michel Micombero (von 1966 bis 1976 Präsident Burundis) getötet worden.

Zunächst wurde Nkurunziza für seine Anstrengungen gefeiert, den Bürgerkrieg zu beenden. Doch von Anfang an bediente er sich in der Staatskasse, um seine Macht zu konsolidieren und GegnerInnen auszubremsen. Er ließ in 15 Jahren Präsidentschaft KritikerInnen foltern und morden.

Ein Klima von Angst und Repression überschattete das Leben in Burundi, geprägt von Menschenrechtsverletzungen und Gewalt.

2010 ließ Nkurunziza sich in einer umstrittenen Präsidentschaftswahl ohne Gegenkandidaten im Amt bestätigen. Der Kult um seine Person als von Gott „Auserwähltem“ verstärkte sich. Der Präsident sang im Chor „Komeza Busenga“ (Man bete ständig) und spielte Fußball beim FC Hallelujah.

Burundi

Hauptstadt: Gitega

Fläche: 27.834 km2

EinwohnerInnen: 11,46 Millionen

Human Development Index (HDI): Rang 185 von 189 (Österreich 20)

Gini-Koeffizient (Einkommensungleichheit): 38,6 (2013)

BIP pro Kopf: 261,2 US-Dollar (2019 weltweit niedrigstes BIP pro Kopf)

Regierungssystem: Präsidialdemokratie

Internationale Isolation. Widerstand regte sich, als Nkurunziza 2015 verfassungswidrig zum dritten Mal Präsident werden wollte. Ein erfolgloser Putsch gegen ihn führte Burundi in eine schwere Krise, mehr als 400.000 Menschen flohen aus ihrem Land, regierungstreue Milizen folterten und ermordeten Hunderte.

In seiner dritten und letzten Amtszeit isolierte sich Nkurunziza international: Burundi zog sich 2017 als erstes afrikanisches Land vom Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag zurück, das ohne- hin schon brüchige Verhältnis zum Nachbarn Ruanda verschlechterte sich weiter.

Obwohl ihm eine Verfassungsänderung von 2018 erlaubt hätte, bis 2034 zu regieren, verzichtete Nkurunziza auf eine Präsidentschaftskandidatur 2020. Allgemein wurde erwartet, dass er als „Oberster Führer des Patriotismus“, zu dem ihn seine Partei erklärt hatte, weiter im Hintergrund die Strippen ziehen würde.

Durch Nkurunzizas frühen Tod hat der neue Präsident Ndayishimiye nun zwar die Chance, aus dem Schatten seines Vorgängers herauszutreten und das Land aus der wirtschaftlichen und politischen Isolation herauszuführen.

Von BeobachterInnen wird Ndayishimiye als aufgeschlossen und weniger zu Gewalt neigend als Nkurunziza beschrieben. Doch Letzterer hat ihn persönlich als Nachfolger ausgewählt. Eine radikale Wende in Burundis Politik ist demnach schwer vorstellbar.

Anja Bengelstorff arbeitet seit mehreren Jahren als freie Journalistin in Kenia und schreibt für deutschsprachige Medien.

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